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Franziska Schaaf

Gute Arbeit Handarbeit? Altes Handwerk, DIY und Geschlechterverhältnisse in den Medien

(Kulturen der Gesellschaft 58), Bielefeld 2022, transcript, 343 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8376-6221-4


Rezensiert von Lydia Maria Arantes
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 23.07.2024

Wer kennt sie nicht – die handgestrickten Socken, die „mit Liebe gemacht wurden“, das Brot, das mit „traditionellen“ Backtechniken hergestellt wurde, die Insta-Story, die von der Selbstfindung im kreativen Schaffensprozess zeugen soll, das Unternehmen, das mit „traditioneller Handarbeit“ wirbt, der Handwerksbetrieb, der seine Produkte seit Generationen nach denselben „althergebrachten Methoden“ herstellt. Hand-Arbeit ist diskursiv wie praktisch regelmäßig in aller Munde, was sich auch in der rezenten Forschungs- beziehungsweise Publikationslandschaft einer sich als Alltagskulturwissenschaft verstehenden Europäischen Ethnologie bemerkbar macht (zum Stricken und Handarbeiten siehe unter anderem Lydia Maria Arantes: Verstrickungen, 2017; zu DIY allgemein siehe beispielsweise Nikola Langreiter u. Klara Löffler [Hg.]: Selber Machen, 2017).

Auch Franziska Schaaf, Referentin am Institut für Soziologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main, hat sich dieses facettenreichen Themenkomplexes jüngst in ihrer Dissertation angenommen. Diese wurde unter dem Titel „Zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit. Mediale Diskursivierungen von altem Handwerk, Handarbeiten und Do It Yourself seit 1990“ im Jahr 2021 an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen verteidigt und erschien 2022 unter dem leicht abgewandelten Titel „Gute Arbeit Handarbeit? Altes Handwerk, DIY und Geschlechterverhältnisse in den Medien“.

Ausgehend von der Beobachtung, dass Handwerkerinnen und Handwerker und ihre Arbeit in Handwerksdokumentationen zumeist in ein gutes Licht gestellt werden, verfolgt die Autorin in ihrer Studie drei Fragen: Wie wird „altes Handwerk(en)“ in medialen Diskursen dargestellt? Welche Subjektpositionen werden den Rezipientinnen und Rezipienten auf Basis dieser Diskursivierungen angeboten? Und: Wie werden diese „vorgefundenen Deutungen, Forderungen, Subjektpositionen in Bezug gesetzt zu Konstruktionen von ‚Arbeit‘/‚Nicht-Arbeit‘ und Gender?“ (19) Besonders zu begrüßen ist die Verwendung des doppeldeutigen Ausdrucks „Handwerk(en)“, wodurch nicht nur Handwerk als Berufsstand abgedeckt ist, sondern eben auch das Handwerken als spezifische Praxis sichtbar gemacht wird.

Etablierten kulturwissenschaftlichen Konzeptualisierungen von Arbeit zufolge wird auch hier Arbeit als relationaler Begriff ins Feld geführt, dessen Bedeutung sich in Bezug zu beziehungsweise in Abgrenzung von Nicht-Arbeit, Reproduktionsarbeit, Care-Arbeit, Selbstsorge, Muße, Freizeit et cetera entfaltet. Um weiter einzugrenzen, was für die vorliegende Studie unter Handwerk(en) zu verstehen ist und was nicht und um insofern auch das umfassende Korpus handhabbarer zu machen, bedient sich die Autorin Hannah Arendts Unterscheidung in „Herstellen“ und „Arbeiten“. „Herstellen“ beschreibt nach Arendt einen abschließbaren Vorgang, während das „Arbeiten“ niemals fertig werde. Dadurch legitimiert die Autorin beispielsweise den Ausschluss von handwerklichen Tätigkeiten, die der Lebensmittelherstellung zuzuordnen sind, wie Brotbacken oder Bierbrauen (gewerblich wie in der heimischen Produktion).

Knapp ein Drittel im beinahe 350 Seiten umfassenden Buch widmet sie der Einleitung (Kapitel 1) – in welcher sie den Zugang zum Thema, Fragestellungen, Ziel sowie den Forschungsstand abhandelt –, einem Abriss der theoretischen Perspektivierungen (Kapitel 2) und einer Einführung in die methodisch-analytischen Zugänge samt Überblick über das der Analyse zugrundeliegende Materialkorpus (Kapitel 3). Gerade der Forschungsstand ist sehr breitgefächert und gibt Einblicke in diverse Disziplinen, die sich mit diesem Themenkomplex beschäftig(t)en. Dabei differenziert die Autorin in Fachdiskurse, die sie zur theoretischen Kontextualisierung heranzieht (zum Beispiel Gender Studies oder soziologische Arbeiten, die Fragen nach sozialer Anerkennung oder den Ausgleich prekärer Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit Handwerksberufen erforschen) und solche, die sie als Forschungsmaterial beziehungsweise für die „genealogische Untersuchung“ (20) einbezieht, weil in ihnen „Deutungen vorgenommen werden, auf die in Mediendiskursen zurückgegriffen wird“ (20). Hierzu gehört auch Literatur aus der Volkskunde beziehungsweise Europäischen Ethnologie, da hier „nicht nur am deutlichsten definiert [wird], was ‚altes Handwerk(en)‘ ist, sondern bereits seit dem 19. Jahrhundert darüber debattiert [wird], welche Einflüsse für Veränderungen verantwortlich sind“ (20).

Schaaf wählt, wie bereits erwähnt, einen diskursanalytischen Zugang, um ihr Materialkorpus analytisch aufzubereiten. Dabei verbindet sie Ansätze der Interdiskurstheorie (nach Link, Link-Heer und Parr) mit der Wissenssoziologischen Diskursanalyse (nach Keller). Das Korpus umfasst unter anderem die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS); auf Basis dieser beiden Medien nimmt sie eine erste chronologische Analyse des Zeitraums von 1990 bis 2000 vor (Kapitel 4) und arbeitet in Zehnjahresabschnitten dominante diskursive Darstellungsweisen und damit verbundene Forderungen sowie angebotene Subjektpositionen heraus. Für die Jahre 1990 bis 1999 identifiziert sie den „drohenden Niedergang des ‚alten Handwerks‘“ in der medialen Darstellung; 2000 bis 2009 wird medial die „Erfolgsgeschichte der ‚Renaissance‘ des ‚alten Handwerks‘“ (herbei)geschrieben, 2010 bis 2020 spielt „DIY und ‚altes Handwerk‘ als Mode und ‚Lifestyle‘“ im Mediendiskurs eine tragende Rolle (129).

Für die „Analyse der Deutungsmuster“ (Kapitel 5, 6 und 7), welche gut die Hälfte der Monografie einnimmt, erweitert sie das Korpus beispielsweise um die Zeitschrift Landlust, das Missy Magazine, die Zeitschrift Flow und das Outdoor-Männermagazin Walden. Auch zahlreiche Handarbeitsblogs, Online-Tutorials sowie Fernsehsendungen finden Eingang in das zu analysierende Material. Jedes der drei Analysekapitel folgt derselben Struktur, auch wenn diese in den Unterüberschriften nicht immer so leicht erkennbar ist. Zunächst wird der Aufbau des Deutungsmusters, dann die darin artikulierten Forderungen und die angebotenen Subjektpositionen dargelegt. In einem weiteren Schritt werden jeweils Bezüge zu relevanten Fachdiskursen hergestellt.

Kapitel 5, „‚Handwerk(en)‘ als kulturelles Erbe“, handelt Bedrohungsszenarien sowie Verlustnarrative vielfältiger Art ab und ist möglicherweise das für Europäische Ethnologinnen und Ethnologen spannendste Kapitel, werden hier doch die Mediendiskurse in Beziehung gesetzt mit Fachdiskursen und Forschungsprojekten aus der (Post)Volkskunde, wie beispielsweise das vor wenigen Jahren an der Universität Göttingen durchgeführte Projekt „Objekte der Könner. Materialisierungen handwerklichen Erfahrungswissens zwischen Tradition und Innovation (OMAHETI)“. Ohne das Göttinger Projekt kritisieren zu wollen, artikuliert die Autorin die Beobachtung, „dass das Bedrohungsszenario des ‚Niedergangs‘ in der Negierung wiederholt wird, um damit auch für eine, kulturwissenschaftlich als ‚Wandel‘ umgedeutete […], zukunftsfähige Traditionsbewahrung einzustehen“ (187).

Dem im Dunstkreis von Handarbeitsthemen gegenwärtig schwer entrinnbaren Topos „Kreativität“ wendet sich die Autorin in Kapitel 6 zu, „‚Handwerk(en)‘ als kreative Selbstverwirklichung“. Die von ihr identifizierten, medial-diskursiv offerierten Subjektpositionen sind beispielsweise die der „DIY-Unternehmerin“ (217), der „passionierte[n] Hobby-Handarbeiter*in“ oder auch der „Künstler-Handwerker*innen“ (220). Dabei wird deutlich, dass Affektsemantiken nicht nur im Hobbybereich schlagend werden, sondern auch im erwerbsmäßigen „Handwerk(en)“, womit die „Liebe zur Arbeit“ zur Norm werde. Im Tandem mit Jacques Rancières Einsicht, „dass die Annahme, wonach Handwerker*innen besonders zufrieden und identifiziert mit ihrem Beruf seien, ihre Möglichkeiten zu sozialem Aufstieg und zu politischer Autonomie stark einschränke“ (201), hält sie fest, dass das Narrativ handwerklicher Selbstverwirklichung nicht nur im Medien- sondern auch in den Spezialdiskursen als „Projektion von Akademiker*innen entsteht“ (201), womit in letzter Konsequenz auch die Gefahr einer Entwertung von handwerklicher Arbeit einhergehen mag.

Kapitel 7, „‚Handwerk(en)‘ als Therapie“, folgt einem Deutungsmuster, das bereits in psycho-medizinischen Spezialdiskursen des 18. Jahrhunderts nachweisbar ist, nämlich dass handwerkliche Praktiken eine therapeutische Wirkung erzielen. Zwar ist dies in enger Verbindung zu sehen mit dem im vorigen Kapitel behandelten Deutungsmuster; ein genauer Blick zeigt jedoch, dass hier Disziplinierungs-, Normierungs- und Produktivitätsdiskurse miteinander verwoben werden – mit dem Subjekt, dem ständig werdenden, sich-um-sich-selbst-sorgenden Subjekt als Ziel. Während das therapeutische Handarbeiten gerade auch in Erwerbsbiografien (von vorwiegend weiblich kodierten Subjekten) eine narrative Funktion einnimmt, wird es im klinischen Setting weiterhin als „Heilungstechnik“ oder auch als „Beschäftigungsmöglichkeit“ entworfen.

Ein Wermutstropfen für Leserinnen und Leser mag sein, dass es sich hier – und darauf verweist die Autorin mehrmals – um keine Rezeptionsstudie handelt. Dies bedeutet, dass die Alltags- beziehungsweise die Akteursperspektive in dieser Studie ausdrücklich nicht bearbeitet wird. Schaafs Fokus liegt einzig und allein auf der Ebene der Mediendiskurse beziehungsweise der Spezialdiskurse (aus diversen Wissenschaftsdisziplinen etc.). Die Frage danach, wie und ob überhaupt die im Diskurs offerierten Subjektpositionen tatsächlich gelebt und angeeignet werden, wird insofern völlig außen vorgelassen. Nichtsdestotrotz bietet die umfangreiche Arbeit einen detaillierten Einblick in dieses von großer Ambivalenz geprägte Themenfeld und macht jedenfalls Lust darauf, sich dieses vielfältigen Themas als Leser wie als Forscherin anzunehmen.