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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Jörg Jochen Berns (Hg.)

Von Strittigkeit der Bilder. Texte des deutschen Bilderstreits im 16. Jahrhundert

(Ergänzungsband 3), Berlin 2023, De Gruyter, XIX, 748 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-11-077989-9


Rezensiert von Wolfgang Brückner
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 01.08.2024

Zum Autor und Gesamtwerk, vornehmlich der ersten zwei Bände aus dem Jahre 2014, ist das Wesentliche im BJV (2015), S. 222–224 gesagt. Warum nun eine Art Ergänzungsband? Der Herausgeber Jörg Jochen Berns schreibt in seiner „Vorbemerkung“, dass er nach dem Ausscheiden aus der Universität ohne Hilfsdienste weitergearbeitet hat. Seine jetzige Einleitung vermerkt die Erweiterung der bisherigen 60 Textdokumente um weitere 39, ermittelt durch die Auswertung ständig neu erscheinender Digitalisate alter Drucke. Dadurch erhöht sich die Gesamtzahl der dokumentierten Texte auf 99. Das Fazit beschäftigt sich allein mit den neuen Autoren und deren Ansichten. Alles wird wiederum in Registern erschlossen. Ein weiteres Quellen- und Literaturverzeichnis möchte Hinweise für die nächste Forschergeneration bieten. Die einzelnen Dokumente lassen sich leicht aus dem Inhaltsverzeichnis entnehmen, das online zur Verfügung steht (https://d-nb.info/1290722730/04).

Aus der Übersicht wird deutlich, dass es sich vornehmlich um die seinerzeit üblichen Kontroverspublikationen der streitenden drei großen Konfessionen handelt. Die volkskundliche Frömmigkeitsforschung erkennt dahinter zwei sprachliche Verschiebungen. Luthers rhetorisch-polemische Beschimpfung des Papsttums als „heidnisch“ meinte den Lebenswandel in Rom. Bald aber wurde daraus „Heidentum“ als Qualität der Glaubensinhalte und der Abstammung des Christentums. Das aber stellt eine mythische Perspektive dar wie sie später im 19. Jahrhundert nationalistisches Denken überall in Europa zu Vorstellungen führte, regionale Kulturen auf Vorzeitüberlieferungen zurück zu führen. In der Praxis der lutherischen Konfession unserer Tage hingegen läßt sich schon im Gottesdienst erkennen, wie sehr der Protestantismus seit längerem wieder die mittelalterliche Messe zelebriert und auch sonst viele der einst zwar erlaubten, aber eher verlachten Adiaphora neuerlich pflegt. Benno Haunhorst hat in der jesuitischen „Herder Korrespondenz“ (77 [2023], H. 1, S. 29–32) für eine lebendige Ökumene konstatiert: Viele protestantische Gemeinden werden seit einer Weile in der Liturgie gewissermaßen katholischer und die Katholiken generell in der Bibelexegese und der entsprechenden Predigt und Pastoral protestantischer.

Die zweite zu beobachtende Sprachverschiebung ist auf dem Felde der Wallfahrtsforschung geschehen. Luther hatte, wiederum pastoral argumentierend, sich gegen den concursus populi, sprich das Auslaufen zu Nebenkapellen, gewandt, weil er den Pfarrgottesdienst und die dortige Predigt für vordinglich hielt, also keine Prozessionen statt Messfeiern und der Vorliebe für „Gnadenbilder“. Da im Südwestdeutschen solche Umgänge „wallen“ heißen, im altbayerischen „Kirchfahrten“ (selbst die Fronleichnamsprozession), machten die Kontroversisten „verdienstliche Pilgerfahrten“ daraus. Auch die Augustana verneint noch ausdrücklich die (angebliche) Verdienstlichkeit von Prozessionen, während im 19. Jahrhundert „Dienewerk“ eine theologische Kategorie für die gottgewollten Leistungen von Diakonissen werden sollte (eben nicht als Verdienst). Schon in der spätmittelalterlichen devotio moderna hieß es unter damals Dienenden gegen das religiöse „Geläuf“: Wer viel wallfahrtet, kommt nicht in den Himmel. Jedenfalls stilisierten überall in Mitteleuropa die späten Katholikenfresser das Pilgern zur Todsünde und sahen es aller Orten von Wallfahrten wimmeln. Auf einmal hießen dort jegliche Nebenkirchen Wallfahrtsorte. Damit aber war die aus methodischen Gründen erforderliche Statistik in der Forschung desolat, wie sich zeigen läßt.

Auffällig erscheint mir noch der Begriff der „Götzen“ (siehe im Inhaltsverzeichnis die Nummern 68, 78, 79, 86, 96 und 97). Mit Recht macht Berns darauf aufmerksam, jeglichen „Bildersturm“ in der Fachliteratur doch neu zu überdenken, nämlich zu fragen wer, was, wann etc. In jüngster Zeit sind die sogenannten „Götzenkammern“ wiederentdeckt worden, als Asservaten mittelalterlicher Kunst, wo es zum Beispiel nicht gelungen war, Bildwerke umzuschnitzen für neuen Gebrauch. Sie gehören zu dem heute so benannten Phänomen der „bewahrenden Kraft des Luthertums“ für die weiterverwendeten alten Vasa sacra oder die Schonung der Reliquiare und aufwändiger Votationsgeschenke in Deponien, einst Kirchenschatz geheißen.

Es ist die Ehrfurcht für Überkommenes aus dem Bewusstsein sinnvoller Zusammenhänge, für die Generationen verantwortlich sind. Luthers Verhältnis zu den Bildern und seinem großen Verehrer Lucas Cranach d. Ä. ist gut bekannt, so dass uns heute katholisch erscheinende Holzschnitte als „Kistenbriefe“ in Möbeln oder sogar als Auslegware in Gesangbuchfächern von Kirchengestühl möglich wurden. Er schätzte nicht nur die Bibelillustrationen, sondern empfahl auch „wegen der Allegorese“ die Legenden von St. Georg und St. Christophorus, so dass letztere oft riesenhafte Darstellungen in und an Kirchen erhalten bleiben konnten. Im lutherschen Lübecker Dom wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts eine solche Riesendarstellung neu angebracht. Das entsprach ganz dem Verständnis der ikonographischen Bildentstehung. Einem Christusträger im oder vor dem Herzen hat man das Kind erzählerisch auf die Schulter gesetzt. Luthers Verhältnis zur hl. Maria ist durch seine Auslegung des Magnificat (aus Lukas 1,46–55) berühmt, seine Predigten zum Michaelstag repräsentieren seine Engelanschauungen. Die Vielzahl an Bildern und Kunst in protestantischen (sprich lutherischen) Kirchen rührt natürlich bisweilen auch an Eigentümerrechten der Stifterfamilien gleich den Denkmalen an Bilder-Epitaphien und adeligen Wappenschildern, gar nicht zu reden von den biblischen Emporenmalereien. Im Privathaushalt von Evangelischen begann nach einschlägigen „volkskundlichen“ Studien der Bildbesitz mit den kolorierten Patenbriefen aus Imgerieanstalten, gefolgt von den Konfirmationsurkunden, den regionalen Hochzeitsandenken als Eglomisés, den Haussegen aus frühen Holzschnitten oder späten Kanevasprodukten, den abergläubischen Himmelsbriefen oder frommen Rebusblättern, bisweilen handgeschriebenen und miniaturisierten Gesangbüchern und schließlich sogar sogenannten Kleinen Andachtsbildchen und Bilderbogen der Inneren Mission und christlicher Jungmännervereine oder kolorierte Papierkrippen zum Ausschneiden und Aufstellen.

Die Öldruckfabriken produzierten auch für evangelische Familien Schlafzimmerbilder, Kinderzimmer-Gebetsvorbilder, Schutzengeldarstellungen, Elterngedenken und Totenerinnerungen an verstorbene Kinder. Martin Scharfe hat diesen visuellen Kosmos „Evangelische Andachtsbilder“ (1968) genannt und in theologische Konzepte eingebunden erklärt. Sie gehören hier eigens erwähnt, weil die Frühe Neuzeit nur indirekt spätere Entwicklungen hervorgebracht hat, die den Autor Berns stets faszinierten, ohne dass er auf sie eigens verweisen musste oder sie jetzt nachgetragen bekommt.

Berns bietet eine ausführliche Erörterung seiner speziellen Erkenntnisse aus dem von ihm vorgestellten Material. Seine klaren Kapitelüberschriften vermitteln einen guten Einblick:

„I. Das Profil der Autoren. 1. Konfessionelle Zugehörigkeit. 2. Soziale Zugehörigkeit.

II. Die Dynamik des Bilderstreits. 1. Verbreitungsweisen. 2. Publikumsfraktionen. 3. Bildskepsis und deren Gründe. 4. Policey [Verwaltung].

III. Psychologische Implikationen des Bildstreits. 1. Bilder als Irritations- und Kompensationsmittel oder Störfaktoren. 2. Stratageme von Bildvernetzung. 2.1 Luthers Konzept. 2.2. Utopistische Bilddidaxe. 2.3. Das Pietaskonzept im bayerisch- österreichischen Raum.

IV. Textgruppen. 1. Kontroverstexte zur Heiligenverehrung. 1.1. Mathematisch angeleiteter Illusionismus. 1.2. Drucktechnische Reproduzierbarkeit. 1.3. Druckgraphische Gelehrten- und Heiligenporträts. 1.4. Verinnerlichung und Veräußerlichung von Bildern. 2. Kontroverstexte zur Geltungsweite von Ceremonien. 2.1. Zur ikonologischen Relevanz von Ceremonien. 2.2. Nichtceremoniale Sakralbilder. 3. Poetische Texte. 3.1. Knittelverspoeme. 3.2. Satirische Blickweisen.

V. Effekte und Folgen des deutschen Bildstreits. 1. Aufwertung des Mediums Bild. 2. Vielfalt der Bildarten. 3. Erweiterung der Ausstellbarkeit. 4. Psychologisierung der Bildkritik. 5. Volkssprachliche Öffentlichkeit.“

Es lässt sich meiner Meinung nach nur wiederholen, was schon für die ersten beiden Bände galt: Historische Kulturwissenschaften bewegen sich zwischen den alten Disziplinen der Kunstgeschichte und der Gesellschaftsstudien. Die einstigen „Volkskundler“ waren zum Teil Fachleute des Kuriosen oder Hundsgemeinen. „Texte des deutschen Bilderstreits im 16. und 17. Jahrhundert“ gingen und gehen uns immer noch in vielfacher Hinsicht besonders an. Es wird nämlich deutlich, wie sehr die Reformation in allen Schattierungen gerade wegen ihrer Fokussierung auf das „Wort“ mit dem Bild und mit den Bildern Probleme besaß. Sie schließt die Diskussionen um Welterkenntnis und Weltbewältigung des Visuellen nicht einfach aus, sondern hebt sie in ein besonderes Bewusstsein. – Neuerlicher Dank an Jörg Jochen Berns.