Aktuelle Rezensionen
Hans R. Amrein
Parkhotel Margna Sils. Geschichte – Menschen – Kulinarik – Natur
Thun/Gwatt 2022, Weber, 320 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-03922-121-9
Rezensiert von Esther Gajek
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 02.08.2024
Ja, es ist ein Coffee-Table-Book: groß, schön, reich illustriert und repräsentativ: zur Wiedereröffnung des Silser Parkhotels Margna nach dessen längerer Umbauphase von Hans R. Amrein, Publizist und Journalist, zusammengestellt und sicher gedacht als Dokumentation des Umbaus, als Werbung für (Stamm-)Gäste, als Geschenk für alle Beteiligten und als eine Form der Selbstvergewisserung. Aber: Der Band enthält auch viel Lesenswertes über den Ort Sils im Oberengadin (Schweiz), der zum ersten Mal im 11. Jahrhundert nachweisbar ist und an einer wichtigen Passstraße von Österreich nach Italien liegt. Seit 1536 eine eigene politische Gemeinde, etablierte sich hier, am Silser See, ein bedeutender Fischhandel. Der Band ist aber vor allem dem Haus selbst gewidmet, das eine reiche und bedeutende Geschichte hat, und er enthält zahlreiche, bisher kaum bekannte Fotos von Ort und Gebäude aus der Zeit um 1900.
Vor gut zweihundert Jahren wurde der Vorgängerbau des heutigen Margna von Johann Josty (1773–1826) als Privathaus gebaut. Sein Porträt – entschlossener Blick, kostbare Kleidung – hängt bis heute im Eingangsbereich. Als junger Mann aus dem Engadin zog er, wie schon sein Vater und tausende andere Graubündner, in die Ferne, um als Zuckerbäcker sein Glück zu suchen und nicht als Ziegenhirt zu enden. Josty machte seine Ausbildung bei einem Engadiner in Magdeburg, lernte dort die Kunst, Patisserien herzustellen, eröffnete 1796 in Berlin das Café Josty und hatte mit seinen Produkten bald großen Erfolg bei Hofe. Auch Literaten kehrten bei ihm ein und priesen, wie Heinrich Heine, seine Kunst. Die Geschäfte liefen so gut, dass Josty mehrere Cafés und Patisserien in Berlin und dann in anderen deutschen Städten gründete und betrieb. Im Alter zog er sich, zu großem Reichtum gekommen, wieder in seine Heimat zurück. Auch das war eine nicht untypische Entscheidung von Bündner Zuckerbäckern. In Sils ließ der Geschäftsmann ein Gebäude bauen, das architektonisch so stark von den es umgebenden, kleinteiligeren und viel niedrigeren (Bauern-)Häusern abwich, dass es 1825 in einem Buch als „ohne Geschmack“ (zitiert nach 30) charakterisiert wurde. Josty zeigte seinen Reichtum mit einem mehrstöckigen Patrizierhaus mit Auffahrtsrampe und hohen Räumen, soll aber, so die Quellen, zeitlebens sehr leutselig geblieben sein und so großzügig, dass auf seinem Grabstein der Zusatz „Vater der Armen“ (37) eingemeißelt wurde.
1869 übernahm Johannes Badrutt, der wohl berühmteste Engadiner Hotelpionier und Initiator des Wintertourismus im Engadin, das Haus für Wohnzwecke. 1901 beginnt die Geschichte des Hotels Margna, benannt nach einem naheliegenden Berg: Um- und Ausbauten im Bündner Heimatstil, der regionale Elemente integrierte, vor allem durch den Engadiner Architekten Nikolaus Hartmann jun., führten zu einer deutlichen Vergrößerung. Eine Fotografie von 1913 zeigt das Josty-Haus bereits mit zwei Anbauten und einem Seitenflügel. Durch die regelmäßige Postkutschenverbindung von Chur nach Silvaplana ab 1834 kamen immer mehr „Fremde“, um in dem besonderen Klima auf über 1 800 Metern Höhe Erholung oder gar Heilung zu suchen. Die Eröffnung des Hotels Alpenrose 1865 bezeichnet den Beginn einer weiteren Ära in Sils. Friedrich Nietzsche, der berühmteste Gast des Orts, nächtigte in den Sommermonaten von 1881 bis 1888 in einem kleinen möblierten Privatzimmer und war zu dieser Zeit besonders produktiv. Von ihm ist das Zitat überliefert: „Das Genie ist bedingt durch trockne Luft, durch reinen Himmel“ (zitiert nach 103). Beides ist in Sils reichlich vorhanden, und so entstanden hier wichtige Werke und Ideen.
Die Eisenbahnlinie von Chur nach St. Moritz ermöglichte Touristen ab 1903 aus ganz Europa ins Engadin kommen – der Fremdenverkehr erlebte einen enormen Aufschwung mit zahlreichen weiteren Hotelbauten. Im Margna nächtigten unter anderem Rainer Maria Rilke, Arthur Schnitzler, Max Frisch, Carl Zuckmayer. Die Familie Badrutt betrieb das Hotel bis 1917, dann übernahmen andere Eigentümer. Seit 2003 sind es Isot und Christoph Sautter. Ihnen ist ein eigenes Kapitel gewidmet, ebenso den Mitarbeitenden (vor allem durch Fotos), der Geschäftsführung wie auch der für das Margna charakteristischen Gastronomie und Innenarchitektur.
Die Autorinnen- und Autorenschaft für die einzelnen Artikel wird, wie bei Isabelle Azoulay und ihrer romanhaften Monografie über Josty, nicht immer genannt und lässt sich nicht im Detail nachvollziehen, auch nicht diejenige der Fotografinnen und Fotografen. Das ist schade, schmälert aber nicht den Wert eines Bandes, der sehr neugierig macht auf weitere, dann gerne auch differenziertere Informationen zur Biografie des Erbauers, zur Geschichte des Hauses vom Privathaus zum Hotel, zur Entwicklung des Fremdenverkehrs in Sils und vieler Themen mehr. Man kann auf kommende Arbeiten über die Gemeinde und das Oberengadin hoffen, gerne dann auch mit mehr Quellen- und Literaturnachweisen und – bestenfalls – eigenen, neuen Forschungen.