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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Bernhard Niethammer/Amelie Bach (Hg.)

Frauengestalten sichtbar gemacht! Weibliche Biografien aus Bayerisch Schwaben von 1809 bis heute

(Leben – Wohnen – Arbeiten 3), Meßkirch 2023, Gmeiner Verlag, 294 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8392-0436-8


Rezensiert von Esther Gajek
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 02.08.2024

Unsichtbar – sichtbar ist eine gängige Metapher, wenn es um Frauenbiografien geht. Deren Leben hat sich oft weniger in der Öffentlichkeit vollzogen, mit unscheinbaren, selbstverständlichen Handlungen, noch dazu so, dass kaum dauerhafte Objektspuren oder schriftliche Zeugnisse hinterlassen wurden. Es ist das Verdienst des Leiters des Schwäbischen Freilichtmuseums Illerbeuren, Bernhard Niethammer, und seiner Mitarbeiterin, der Kulturwissenschaftlerin Amelie Bach, weibliche Lebensläufe aus zweihundert Jahren in Bayerisch Schwaben in den Blick genommen und in einem Buch publiziert zu haben. Sicher war es weder einfach, aussagekräftige Quellen für weibliches Leben zu finden noch eine Diversität von Lebensentwürfen abzubilden: Stadt und Land, arm und reich, 19. und 20. Jahrhundert, schon immer im Rampenlicht stehend oder bisher ganz unsichtbar.

Anlass für die vorliegende Publikation bot eine Ausstellung über Frauenleben mit der Kernfrage: „Was bedeutet es, eine Frau zu sein?“ (9), die von 2020 bis 2023 im Schwäbischen Bauernhofmuseum stattfand und als eine Art Intervention Frauenleben thematisierte. Diese Biografien hatten Bezug zum Museum, dessen Entstehungsgeschichte, dessen Häusern oder dessen Exponaten. Der Erfolg der Ausstellung mit lebensgroßen zweidimensionalen Figurinen, Texten und Sachzeugnissen aus den Sammlungen gab den Anstoß, die Lebensläufe ausführlicher und bleibend festzuhalten, mehr Abbildungen zum Leben der Frauen zu zeigen, alles einer thematischen Ordnung zu unterziehen und in größere Zusammenhänge einzubinden.

Vier Kapitel gliedern das Buch: „Familienstand“, „Mutterschaft“, „Arbeit“ sowie „Bildung und neue Chancen“.  Amelie Bach hat diese jeweils mit einem grundsätzlichen Text eingeleitet, der sowohl nationale, regionale wie exemplarische Bezüge herstellt. Fußend auf reichem Quellenmaterial örtlicher und überregionaler Archive und breit mit Sekundärliteratur belegt, weisen diese Seiten weit über das Erhebungsgebiet hinaus und können über weite Strecken stellvertretend für Frauengeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts in Deutschland gelesen und damit auch in anderen Zusammenhängen gewinnbringend verwendet werden.

Beispielhaft sei das Vorgehen beim Abschnitt zum „Familienstand“ vorgeführt: Die Kapitelüberschrift „Eheschließung im 19. Jahrhundert – die ‚in socialer Beziehung wohl wichtigste Willenshandlung‘“ (16) zitiert eine Passage aus dem Statistischen Jahrbuch von 1869, mit der die Bedeutung der Ehe für die Existenz der Frauen betont wird. Ehefrau und Mutter galten – bis weit in das 20. Jahrhundert hinein – als einzige Lebensentwürfe für Frauen. Sie heirateten nicht selbst, sondern wurden verheiratet, denn beide Elternteile mussten zustimmen. Demgegenüber stand das Ledig sein. Keinen Mann und keine Kinder zu haben, machte einen sehr großen Unterschied zu den verheirateten Frauen aus: in rechtlicher Hinsicht, in Bezug auf das gesellschaftliche Ansehen und auch von den Handlungsmöglichkeiten her, die den Frauen zugebilligt wurden. Für nicht verheiratete Frauen bestand die Notwendigkeit, berufstätig zu sein. Sie wurden aber schlechter als ihre Kollegen entlohnt und mussten sich auch anderen Benachteiligungen aussetzen. Amelie Bach führt dafür die Geschlechtervormundschaft an, die bis 1861 in Bayern galt und vorsah, dass sich Frauen jeweils einen Vormund (Ehemann oder – bei ledigen Frauen – einen männlichen Verwandten) suchen und sich dessen Entscheidungen fügen mussten,  zum Beispiel vor Gericht. Der im BGB im Jahr 1900 noch vorhandene sogenannte Gehorsamsparagraf zeugt von diesen Zusammenhängen weit über Schwaben hinaus.

Weitere thematische Einheiten dieses Kapitels seien genannt: Der Erhalt einer Aussteuer, bis 1957 eine gesetzliche Verpflichtung der Eltern in der BRD, Hofübergabe an den (männlichen!) Erben, Unterhaltszahlungen, Erbrecht, die Festschreibung der Gleichberechtigung im Grundgesetz von 1949 und deren langsame Durchsetzung. Besonders die Neuerungen im Bereich des Ehe- und Familienrechts hatten weitreichende Folgen für die Emanzipation der Frauen, sei es im Falle von Scheidungen, Aufgaben im Haushalt, Verwalten der eigenen Finanzen, Möglichkeit zu arbeiten oder bei der rechtlichen Vertretung der Kinder. Amelie Bach fasst das Kapitel „Familienstand“ wie folgt zusammen: „Der Rückgang des kirchlichen Einflusses und das Aufbrechen der klassischen Rollenbilder sorgten für die Existenz und Toleranz vielfältiger weiblicher Lebensmodelle. Neue Bildungs- und Erwerbschancen für Frauen sowie staatliche Versorgungs- und Vorsorgemodelle, die das Lebensmodell der alleinstehenden beziehungsweise ledigen Frau einschließen, ermöglichten, dass Frauen immer weniger auf die Versorgung durch einen Ehemann angewiesen waren.“ (33)

In den vier Einführungskapiteln werden – das ist hervorzuheben – durchgängig sehr präzise quantitative Angaben über die schwäbischen Verhältnisse gemacht, die erheblich zur Auflösung von gängigen Meinungen beitragen. Im Erhebungsgebiet wurde zum Beispiel nicht jung geheiratet; das Durchschnittsalter der Bräute lag zwischen 1862 und 1868 bei 30 Jahren. Uneheliche Geburten bildeten eine nicht zu vernachlässigende Realität: Ein Fünftel der Kinder kam zwischen 1851 und 1860 außerehelich auf die Welt.

Auf die (kultur-)historischen Einführungen folgen exemplarische Biografien, die einen besonderen Bezug zum Kapitelthema haben. Die durchgängig materialreichen und auch jeweils für sich sehr gut lesbaren Porträts stammen von Kolleginnen und Kollegen aus Illerbeuren und anderen Museen, sei es Kaufbeuren, Oberschönenfeld, München, Lindau und Lindenberg. So sind unter „Arbeit“ heterogene Lebensgeschichten aufgeführt, allen voran Biografien von Frauen, die in einem Männerberuf gearbeitet haben, aber zum Beispiel rechtlich nicht als solche geführt werden durften. Es geht ferner um weibliche Fürsorge-Arbeit innerhalb der Familie eines erfolgreichen im Ausland tätigen Ehemannes, eine politische Widerstandskämpferin und eine Milchverkäuferin. Ebenso ist von einer selbstständigen Wäscherin als Beispiel für einen frühen weiblich geführten Betrieb die Rede sowie von einer wohltätigen Geschäftsfrau und von Heimarbeiterinnen in der Westallgäuer Hutherstellung. Dieser Gewerbezweig wurde 1668 erstmals in Lindenberg erwähnt. Die sogenannten Hutcompagnien arbeiteten ab 1755 im großen Stil, noch 1906 gab es 14 Hutfabriken mit 1440 Hutnäherinnen, die in Heimarbeit tätig waren. Wie aus den Alterserinnerungen dreier Frauen um 1920 hervorgeht, die Angelika Schreiber, die Leiterin des Deutschen Hutmuseum zitiert, nähten sie zum Teil 60 Hüte am Tag und damit über 200.000 Stück während ihres gesamten Arbeitslebens: bis zu elf Stunden täglich, sechs bis sieben Tage die Woche, lange ohne jeglichen gewerkschaftlichen Schutz. Die finanzielle Selbstständigkeit, mitunter auch der Bau eines kleinen Hauses waren sehr hart erkauft.

Ein bisher eher vernachlässigtes Thema, regionale Frauengeschichte aus über zweihundert Jahren, bildet den Ausgangspunkt des Bandes „FrauenGestalten“, 23 zwar verschiedene, sich aber auch ergänzende Frauenbiografien das Zentrum. Sie sind beeindruckend recherchiert, jeweils eingeleitet durch fachlich präzise, dicht geschriebene Kapiteleinführungen und insgesamt reich bebildert wie exakt belegt. Die Beiträge stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern werden durch Querverweise miteinander verwoben, so dass die allgemein gehaltenen Einführungen durchzogen sind von – auch grafisch abgesetzten – Textfeldern, in denen das jeweilige Thema (zum Beispiel „ledige Frau“) mit einem Verweis aus den Biografien ergänzt und auf die entsprechende Seite im Buch verwiesen wird. Dies alles und die Qualität der Abbildungen, die gute Lesbarkeit des gesamten Bandes, vor allem aber die Argumentation im Großen wie im Kleinen sind bemerkenswert. Nachahmungen dieses Konzeptes und dessen Qualität sind nur zu wünschen!