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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Margret Ribbert (Hg.)

Ausser Gebrauch. Alltag im Wandel. Katalog zur Ausstellung im Historischen Museum Basel, 23.3.2023 – 17.9.2023

Basel 2023, Christoph Merian, 224 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-85616-987-9


Rezensiert von Esther Gajek
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 02.08.2024

Was haben Puderbläser, Kochkiste, Zimmertoilette, Affenpelz, Eiskasten, Geldstrümpfe, Sänften und der Potsdamer Boiler gemeinsam? Sie waren beliebt, modern, wurden verwendet und sind inzwischen entweder aus der Mode gekommen oder gar nicht mehr in Gebrauch; alle genannten Objekte entstammen Haushalten aus den letzten dreihundert Jahren, gehören in die über 300 000 Stück umfassende Objektsammlung des Historischen Museums Basel, wurden 2023 meist erstmals in einer Sonderausstellung gezeigt und sind für den vorliegenden Band – zusammen mit weiteren über 100 Objekten – fotografiert, exakt beschrieben und zeitgeschichtlich eingeordnet worden.

Auf das Vorwort des Museumsdirektors Marc Zehntner mit der Nennung der Rahmendaten der Ausstellung folgt die knappe Einführung der Kuratorin und Herausgeberin Margret Ribbert. Sie weist auf Grundsätzliches hin: „Das Verschwinden der Dinge ist häufig Anlass, auch den Verlust von Verhaltensweisen, von Erscheinungen des Alltags, von Rhythmen des Tages, der Woche und des ganzen Lebens zu thematisieren.“ (8) Innovationen führten zur Ablösung von Objekten (Wählscheibentelefon), ebenso veränderte Ästhetiken (Kochtopf statt Suppenterrine), aber auch Gesetze, die Tiere schützen (Pelze), Materialien (Plastik für Strohhalme) oder Praktiken (Rauchen im öffentlich zugänglichen Innenraum) verböten, was jeweils mit dem Verschwinden von Produkten beziehungsweise deren Variation einhergehe. Nicht zuletzt käme es durch veränderte Geschlechterrollen zu Umbrüchen in der Dingwelt, wie das Verschwinden von Aussteuerfachgeschäften oder das Fehlen gestickter Sprüche in Küchen beweisen. In einer Gegenwart, in der wir uns Dingen mit einem nachhaltigen Bewusstsein zuwendeten, ihre Produktionsprozesse nachverfolgten, die Materialien hinterfragten, Gegenstände auseinanderbauten und reparieren wollten, sei es angeraten, sich auch mit historischen Objekten zu beschäftigen. Hinzu käme, dass unsere Gegenwart immer weniger gegenständlich und sinnlich sei.

Der Hauptteil des Buches besteht aus den neun Kapiteln „Technischer Fortschritt im Haushalt“, „Vergangene Hygieneverhältnisse“, „Veränderungen in der Tafelkultur“, „Raubbau an der Natur“, „Mode im Wandel“, „Entwicklungen in Transport und Kommunikation“, „Leben ohne Überfluss und in Kriegszeiten“ und „Gesellschaft im Umbruch“. Damit klingen zentrale gesellschaftliche Themen des Alltags und deren Wandel an, für die das hier Ausgewählte und dessen Verwendung exemplarisch interpretiert wird. In den jeweils eine Seite umfassenden Texten, die den großformatigen Fotos der Objekte gegenüberstehen, geht es ins Detail, sei es, dass die Gegenstände kontextualisiert werden, ihr Gebrauch beschrieben und dann ihr „Außer-Gebrauch“-Kommen angedeutet beziehungsweise ihr Ersatz erläutert wird. Zwei Beispiele mögen das veranschaulichen: Die Sänfte von 1698 aus dem Besitz einer Basler Familie der Oberschicht, über viele Jahrzehnte in Gebrauch, wurde mit dem Ausbau besserer Straßen und schnellerer Transportmittel im 19. Jahrhundert überflüssig; der Garnspulenhalter aus der Mitte des 18. Jahrhunderts aus getriebenem, ziseliertem Silber wurde von einer wohlhabenden Frau am Rockbund getragen, um jederzeit einer Handarbeit nachgehen zu können. „Geduld, Fügsamkeit und Genauigkeit zählten zu den weiblichen Tugenden, die anhand von selbstgefertigten Handarbeiten belegt werden konnten. Allzeit tätig zu sein und sich ruhig auf die jeweilige Arbeit zu konzentrieren – auch das waren Erwartungen, welche sowohl an junge Mädchen wie an ältere Frauen gestellt wurden.“ (110) Spätestens im 20. Jahrhundert kam diese Art von Handarbeit aus der Mode, weil sich die Bildungs- und damit auch Wirkungsmöglichkeiten für Frauen veränderten.

Der Band hat viel zu bieten: die Diversität der Objekte, die Qualität der Fotografien, informative Texte, historische Abbildungen von Dingen im Gebrauch, einen Anhang mit exakten Maßangaben, Inventarnummern, Herkunftsbezeichnungen und weiterführender Literatur. Aber es bleiben auch Fragen offen, zum Beispiel ob es Ausdruck der Sammlungsstrategie des Historischen Museums Basel ist, dass vor allem intakte und sehr ästhetische Objekte gesammelt und hier präsentiert werden? Hat das etwas mit dem Reichtum Basels und seiner Bürgerinnen und Bürger zu tun? Wo sind die Alltagsobjekte einer weniger wohlhabenden Bevölkerung, wo sind die geflickten, abgenutzten Stücke – so stark verwendet, dass sie außer Gebrauch genommen werden mussten? Diese Dinge zu präsentieren wäre eine nächste Ausstellung wert.