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Karin Guggeis

Star oder Loser? Zum Making-of von Objektkarrieren in einem ethnologischen Museum

(Bayerische Studien zur Museumsgeschichte 5), München 2022, Deutscher Kunstverlag, 208 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-422-98821-7


Rezensiert von Manuela Klotzbücher
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 14.08.2024

Ethnologische Museen besitzen eine Vielzahl materieller Zeugnisse verschiedener Ethnien und indigener Völker, an die zwei Fragen der Zirkulation zu stellen sind: erstens die Frage nach Herkunft und Aneignungswegen der Museumsdinge, bevor sie in das Museum kamen.[i] Zweitens, ist ein Artefakt im Museum als Ausstellungs-Objekt angelangt: Wer entscheidet darüber, ob, wann, in welchem Rahmen und wie lange es für das Museumspublikum zu sehen ist?

Die Dissertation der Ethnologin Karin Guggeis, „Star oder Loser? – Zum Making-of von Objektkarrieren in einem ethnologischen Museum“, stellt aufgrund ihrer Perspektive auf diesen zweiten und bis dato von der Forschung wenig beachteten Lebensabschnitt von musealen Artefakten einen bedeutsamen Beitrag zur museumswissenschaftlichen Forschung dar. Guggeis’ erklärtes Ziel ist es, „dynamische Prozesse in den sozio-kulturellen Karrieren von Museumsobjekten aufzuzeigen“ (11).

Zentral in der Analyse ist eine biografische Befragung von neun Objekten des Münchner ethnologischen Museum Fünf Kontinente (ehemals Münchner Völkerkundemuseum): Acht sind aus der Sammlung Afrika, eines aus der Sammlung Ozeanien. Guggeis geht in einer Art Prominenz-Forschung zum „zweiten Leben“ (12) von museal-ethnologischen Sammlungsbeständen den Gründen nach, wie und warum manche Artefakte in Position gebracht werden, um in Ausstellungen und Publikationen gefeiert zu werden und warum manche in den Depots dem Vergessen preis gegeben werden – durchaus auch nachdem sie einmal gefeierte Stars waren.

Die Monografie wird vom Herausgeber, der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern, als ein Beitrag zur Museografie kategorisiert, der aufzuzeigen vermag „wie einzelne Personen […] durch ihr unterschiedliches Verständnis die Wertschätzung von Sammlungsobjekten und -teilen beeinflussen, wie auch der Kunstmarkt, Zeit- und Modeströmungen und das Fortschreiten wissenschaftlicher Erkenntnisse jenes Verständnis verändern kann“ (7). Guggeis kombiniert in ihrer methodischen Herangehensweise dabei multiperspektivisch archivalisches und empirisches Forschen. Die Archivarbeit der Autorin folgt dem Ansatz der Anthropologin Ann Laura Stoler zu einer „minor history“ der Dinge: Guggeis befragt in ihren neun Objekt-Fallstudien in diachroner und synchroner Perspektive akribisch ihr Quellenmaterial nicht nur zum Offensichtlichen der Akten, sondern birgt aus den Dokumenten auch „Verwerfungen, Auslassungen, Widersprüche[n] und den Bedeutungswandel“ (15). Ihre Feldforschung erfolgte von 2010 bis 2016 im genannten Museum, das sie als einen Akteur des Kunstmarkts versteht (14). Sie beobachtete „dicht teilnehmend“ (Spittler 2001), führte Gespräche und Interviews. Das Feld betrat sie als vorinformierte und bereits gut vernetzte Akteurin in Bezug auf Afrikanische Kunst: Seit Mitte der 1990er Jahre war Guggeis zum Thema ausstellungsvorbereitend, sammlungsbearbeitend und museumspädagogisch praktisch tätig. Ein vielfältig vorbereiteter Feld-Zugang mit Expertise also, um Bedeutungsgewebe und Aneignungsprozesse im „zweiten Leben“ in einem Kontinuum von Objektstars bis zu Verlierern zu erforschen.

Einleitend knüpft die Autorin an allgemeines Wissen über den fragilen Starstatus zeitgenössischer Sportlerinnen und Sportler beziehungsweise Schauspielerinnen und Schauspieler an, um das von der Filmbranche entliehene Konzept eines ‚Making-of‘ vorzustellen. Sie führt in ihre Grundthese ein, dass analog auch im ethnologischen Ausstellungsbetrieb der Karrierestatus eines Objekts ab dem Eintritt ins Museum als volatile Setzung zu verstehen sei. In Referenz auf Erving Goffmans Interaktionsforschung (Goffman 1959 [2003]) gebe ihre „Untersuchung und Darstellung des Making-of bei Museumsobjekten Einblicke in die Bühnen und Hinterbühnen“ (11) eines ethnologischen Museums und des damit verbundenen Kunstmarkts. Der Vorderbühne entspreche dabei die publikumsöffentliche Ausstellungsfläche, der Hinterbühne das Sammlungsmagazin. Entscheidungsprozesse, Marktdynamiken und (kultur-)politische Hintergründe von Aufstiegs- und Abstiegsmobilitäten der betrachteten neun Objekte fasst die Autorin mit beschreibenden Begriffen von (Objekt)-Karrierepositionen: „gehypte Superstars“, „klassische Stars“, „Coverboy“, „Publikumsliebling“, „Comebacker“, „gesunkenes Sternchen“, „gefallene Sternchen“ und „verstoßener Hinterbühnler“. Wohl um Ausstellungspraktiken unter performativen Bedingungen zu reflektieren, greift sie auf verständliche sport- und filmmetaphorische Bezeichnungen zurück. Im jeweiligen Karrierestatus von Artefakten „Afrikanischer Kunst“ (14) legt Guggeis als Treiber einer ethnologisch-musealen Kunstkanonisierung (postkoloniale) Muster der Inszenierung des Exotischen und ökonomische Sammlungsinteressen offen. Ethnologische Museumsobjekte auf Basis von menschlichen Laufbahnlogiken der Arbeit zu kategorisieren, bildet Wechselwirkungen zwischen dem ökonomischen Einfluss des Kunstmarkts und den inwertsetzenden Ausstellungspraktiken ab.

Ausgangspunkt von Guggeis’ Analyse des Making-of ist das formal Sichtbare der historischen Abfolge von Museums- und Direktionsbezeichnungen im untersuchten Museum. Der Wandel verweist auf Veränderungen in politischen, wissenschaftlichen und repräsentativen Schwerpunktsetzungen. Indes, für die „Sammlung Afrika“ des Hauses diagnostiziert Guggeis über längere historische Zeitabschnitte sogar das Fehlen einer wissenschaftlichen Inhouse-Expertise (18). Den theoretischen Rahmen spannt die Autorin im dritten Kapitel auf, in dem sie ihr Begriffs- und Konzeptrepertoire verständlich erklärt: Die „kulturelle Biografie von Dingen“ nach Igor Kopytoff (2003 [1986]) dient ihr als „Werkzeug, um sonst verborgene Aspekte“ (21) deutlich zu machen. Es geht also darum, Prozesse der Herstellung der neun Objektkarrieren in der Tiefe re- und dekonstruieren zu können. Kopytoffs Singularitätslogiken folgend, definiert sie für eine „erfolgreiche Biografie […] eine öffentliche Präsenz in Ausstellungen“, für eine „gescheiterte Biografie […] ein Dasein im Museumsdepot“ (22), sei es in diachroner oder synchroner Betrachtung. Des Weiteren macht sie das Konzept der Aneignung nach Gerd Spittler und Kurt Beck für ihre Untersuchungen produktiv, um die Frage zu beantworten, wie „Objekte aus dem Globalen Süden in einem Museum des Globalen Nordens […] mit dem dort vorherrschenden lokalen Sinn aufgeladen“ (23) werden. Die für die Herstellung von Karrierepositionen nötige Kunstexpertise untersucht Guggeis mit dem Konzept der „Community of Practice“ nach Jean Lave und Etienne Wenger (1991). Einflussmächtig seien bei den Aneignungs- und Zuschreibungsprozessen jeweils Museumsleitende und Kunsthandelnde, ebenso wie Afrika-Ethnologinnen und -Ethnologen, aber auch beispielsweise Fotografinnen und Fotografen, die Objekte für die Ausstellung oder für Publikationen visuell inszenieren. Vor allem deren über die Zeit erlernte „skilled vision“ (27) und „skilled practice“ (29) determinierten die Entscheidungen der Museumsexpertinnen und -experten: Die Wirkmächtigkeit eines kunstmarkt-„kundigen Blicks“ und von „geteilten Seh-Weisen“ (27) stelle kanonisiertes Wissen und Geschmack her, ein geteiltes Wissen der Community bestimme Marktpreise und forme unter anderem publikumsverwertbare Ruhmesqualitäten bezüglich der Ästhetik von Objekten aus (post-)kolonialen afrikanischen Kontexten. Dies geschieht zum Beispiel im Sinne eines Einverständnisses der Community of Practice über Potenziale eines „good looking“ (29) in Bezug auf die Objekt-Präsentation auf der Vorderbühne „Ausstellung“. Dazu komme als objektkarriereentscheidendes Bewertungskriterium auch eine „Resonanz der Fachwelt“ (30), die den museumsinternen Verwertungslogiken Sichtbarkeit auf externen Bühnen (Leihgaben, Publikationen etc.) gibt – Ruhm zieht Ruhm an. Um diese museumsexternen Mechanismen des Star- oder Loser-Machens zu ergründen, identifiziert Guggeis renommierte oder unbekannte Namen aus den Akten, die ein internationales Netzwerk von als wichtig angesehenen Ausstellungsorten, Leihgeberinnen und Leihgebern oder Publikationen offenbaren. Diese kategorisiert sie anschließend als „Big-Names“ oder „No-Names“ bezüglich des Bekanntheitsgrades oder als „Good-Names“ oder „Bad-Names“ bezüglich der Reputation. Im Kapitel 4, dem Hauptteil, erstellt Guggeis für jedes der neun Objekte einen empirisch-archivalisch erhobenen Prominenzbefund und skizziert die Auf- und Abstiegsmobilität.

Exemplarisch sei ihr Vorgehen anhand der Top-Kategorie der „akutell gehypten Superstars“ erläutert: Für das Star-Dasein nimmt Guggeis zwei „Großplastiken“, Holz-Pfosten des Yoruba-Schnitzers Olowe aus Ise (35–58), in den Blick und attestiert ihnen einen „kometenhaften Aufstieg“ (54). Der Ankauf erfolgte im Jahr 1998 auf Auftrag des Museums durch den kunsthandelnden „Big-Name“ für westafrikanische Kunst, Gert Stoll (54). Die damalige Afrika-Abteilungsleiterin weist den Objekten in den Inventarnotizen des Eingangsbuchs aufgrund ihrer ethnologisch und Kunstmarkt-grundierten „skilled vision“ Attribute wie „Priester oder Heiler“ beziehungsweise „Jäger auf Pferd“ (35) zu. Sie stellt damit einen (wertsteigernden) rituellen Kontext her. Auch authentifiziert sie den am Kunstmarkt hoch bewerteten Schnitzer als Werkschöpfer – ein „Big-Name“ dieses Handwerks. Eine relevante Praktik des Starmachens ist also ein Authentizitätsnachweis für das Objekt. Hochwertige Gutachten zum Objekt (Foto und Text) durch internationale „Big-Names“ vergrößern dessen Wert und Aufmerksamkeitspotenzial für die 1999 zu eröffnende Dauerausstellung des Hauses. Zugleich erhöht die museale Prominenzsteigerung auch den Wert weiterer auf dem Kunstmarkt oder in privaten Sammlungen befindlicher Objekte gleicher Provenienz. Noch vor dem „Auftritt auf der Münchner Heimat[sic!]-Bühne“ (54) wurde das nun noch mehr begehrte Objekt ausgeliehen und es erfolgte mit einer Ausstellung auf einer musealen „Big-Name“-Bühne in Washington, USA, ein nächster immenser Karriereschub. Guggeis ethnografiert kleinteilig, wie Publikationen (weitere Vorderbühnen) über US- und Münchner Ausstellungen die „symbolische und finanzielle Aufwertung“ (38) – bis um das 20-fache seit dem Ankauf (53) – zudem vorantrieben. Dazu verknüpft sie Publikationsanalyse mit Interview-Informationen. Auch kurzzeitige Depotaufenthalte auf der Hinterbühne (zum Beispiel während neuer Raumgestaltungsmaßnahmen) schadeten dem Starstatus nicht, die kurzzeitige Nichtverfügbarkeit erhöhte die Rarität sogar eher noch (44). Zusammen mit museumsexternen Akteurinnen und Akteuren stellte das ankaufende Münchener Museum also über die Zeit einen internationalen Top-Starstatus her, den es allein nicht zu produzieren vermocht hätte.

Auch für die weiteren acht Objekte beschreibt und analysiert die Autorin die jeweilige Biografie und Geschichte. In ihrem Schluss-Fazit betont sie, dass verschiedene Leiterinnen und Leiter es vermochten, je „neue kundige Blicke und Praktiken“ (186) einzuführen und als wertbestimmend zu etablieren. Anhand sehr langer Objektverweildauern im Museum kann die Autorin skizzieren, wie sich „der ethnologisch-typisierende zu einem kunstethnologisch-individualisierenden Blick“ (186) verschoben hatte. Starstatus erlangt unter dieser Prämisse nur ein Unikat. Allerdings unterliegen auch Authentizitätsvermutungen Konjunkturen, die entscheidend von den Mitgliedern der Community of Practice determiniert werden. Immer wieder scheint durch, welch starken Einfluss das symbolische Kapital eines „guten Namens“ auf eine Objektkarriere hat: „Big-Names“ verheißen Karrierepotenzial – dies gilt für Sammlerinnen und Sammler, Urheberinnen und Urheber oder auch Herkunftsregionen –, dadurch begründete Aufstiegsgarantien gebe es jedoch nicht. Guggeis bewertet jede einzelne Objektkarriere (einschließlich deren Wendungen) aufgrund dynamischer Wissens- und Machtstrukturen innerhalb der Communities of Practice als „unvorhersehbar“ (194).

Die gut verständlich geschriebene Re- und Dekonstruktion der neun Objektkarrieren innerhalb dicht verflochtener Kunstmarkt- und Aneignungspraktiken des Museums Fünf Kontinente haben die Lektüre auch zu einem nahezu detektivischen Vergnügen werden lassen. Mit ihrer kleinteiligen Analyse von je neu auszuhandelnden Statuszuweisungen innerhalb museal-kunstmarktlicher Ordnungen gelingt der Autorin eine kritische Distanz gegenüber objektivistischen Kategorien eines unhinterfragten „Best-of“ -Ausstellens außereuropäischer Artefakte: Stars (und Loser) werden nicht geboren, sondern gemacht. Schade, dass der Einfluss des Publikums auf das „Starmachen“ im Text ausspart bleibt. Selfiepraktiken und Instagrammability treten aktuell zunehmend neben die Deutungs- und Aneignungsmacht der Community of Practice-Mitglieder von Museen und Kunstmarkt. Leider verleiht Guggeis den Objekten am anderen Ende der Skala, den vergessenen Objekten, keine Stimme: Jene aus der Zeit kolonialer Gier stammenden „Objekte des Begehrens“, die „in großer Zahl in Depots vernachlässigt und häufig niemals bearbeitet worden“ sind, wie es der Kunsthistoriker Christian Kravagna[ii] formuliert.

 


[i] Siehe hierzu u. a. Felwine Sarr u. Bénédicte Savoy: Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter. Berlin 2019; Ulrike Saß: Provenienzforschung als Instrument der Erinnerungspolitik. In: Esther Gardei,  Hans-Georg Soeffner u. Benno Zabel (Hg.): Vergangenheitskonstruktionen. Erinnerungspolitik im Zeichen von Ambiguitätstoleranz. Göttingen 2023. S. 209–222.

[ii]

Christian Kravagna: Vom ethnologischen Museum zum ‚unmöglichen‘ Kolonialmuseum. In: Zeitschrift für Kulturwissenschaften 9 (2015), Nr. 1, S. 95–101, doi.org/10.14361/zfk-2015-0113 [2.5.2024].