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Isabel Klein

Prekäre Intimität. Eine Ethnografie der Körperarbeit in Nagel- und Kosmetikstudios

(Geschlecht und Gesellschaft 78), Wiesbaden 2022, Springer VS, XV, 248 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-658-39102-7


Rezensiert von Joely Rosa Krabel
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 21.08.2024

Die an der Ludwig-Maximilians-Universität München 2020 eingereichte und später veröffentlichte Dissertation von Isabel Klein untersucht sozial- sowie arbeitswissenschaftlich Arbeitspraktiken und soziale Dynamiken in Nagel- und Kosmetikstudios. Spezifisch die dem Beruf inhärente Prekarisierung und wie sich diese im Alltag von Kosmetikerinnen und Kosmetikern und ihrer Kundschaft äußert, wird hervorgehoben. Forschungsschwerpunkte von Isabel Klein liegen vornehmlich in der Geschlechtersoziologie, der Arbeitssoziologie und der Körperarbeit. So hat sie bereits soziologische Aufsätze zur Beziehungsarbeit in prekären feminisierten Dienstleistungsbeziehungen geschrieben sowie gemeinsam mit Käthe von Bose zur intimen Arbeit und prekären Körpern.

Die Ethnografie stützt sich empirisch verstärkt auf die Methode der teilnehmenden Beobachtung. Es wird, ausgehend von den Arbeitenden, der Frage nachgegangen, „wie sich intime Arbeit in feminisierten und schlecht bezahlten Dienstleistungsberufen vollzieht“ (4). Das Vorgehen ist dabei in drei Phasen eingeteilt. In einem ersten Schritt besucht Klein einen Wochenendkurs für klassische Gesichtspflege. Dieser ermöglicht einen direkten Zugang ins Feld und etabliert spezifische Sichtweisen der Kosmetikerinnen und Kosmetiker auf ihre Berufswahl. In einer zweiten Phase werden die Erwerbstätigkeit sowie ihre Arbeitstechniken in gezielten Interviews und Beobachtungen herausgearbeitet – es entsteht ein Gesamtbild über die räumlichen und sozialen Strukturen der Arbeit und es wird deutlich, wo sich in ihr Grenzen auftun. In dieser Phase finden Feldaufenthalte, unter anderem in Studios von Bekanntschaften aus dem Wochenendkurs, statt. Dritte und letzte Phase ist das „theoretical sampling“. Gewonnenes Wissen nutzt Isabel Klein hier für einen letzten Zugang mittels Interviews und dem Besuch einer „Beauty Messe“.

Insgesamt ist das Buch in sieben Kapitel mit mehreren Unterkapiteln und einem anschließenden Fazit gegliedert. Den Anfang jeden Kapitels bildet eine dichte Beschreibung, basierend auf der Empirie, die die Themen praxeologisch verortet. Nach einer Einleitung zum Forschungsvorhaben und einer Einordnung der arbeitswissenschaftlichen Begriffswelten „bodywork“ und „Pink Collar Work“ wird in Kapitel 2 der Forschungsstand zur Prekarisierung und der sich dauerhaft wandelnden Arbeits- und Geschlechterverhältnisse dargelegt. Die untersuchte Arbeitsform wird als „prekäre, feminisierte und intime Dienstleistung“ (28) definiert. Der Begriff „intime Arbeit“ wird beschrieben und der wissenschaftliche Stand zu emotionaler Arbeit und Körperarbeit zusammengefasst. Kapitel 3 beschäftigt sich, gestützt auf Aussagen von Andreas Reckwitz und Pierre Bourdieu, mit dem „praktischen Sinn“ von Kosmetikarbeit im Alltag. Isabel Klein merkt an, dass sich „der Habitus der Arbeitenden, ihr praktischer Sinn […], vor dem Horizont einer kapitalistisch-geschlechtlichen Arbeitsteilung aus[bildet]“ (47). Hier werden methodologische und methodische Überlegungen der Ethnografie angebracht und praxistheoretische Grundlagen für das Vorgehen verdeutlicht. Kapitel 4 nutzt Klein, um eine Einordnung der Arbeitsform als in „Zwischenräumen“ stattfindend vorzunehmen. Es geht um die Dichotomie des Raumes zwischen öffentlich und privat und wie Praktiken der Körperarbeit diesen gestalten, um prekären Strukturen entgegenzuwirken.

Um die „Unbestimmte Arbeit“ geht es in Kapitel 5, in dem der eigenlogischen Praxis der Kosmetik- und Körperarbeit nachgespürt wird. Es wird gefragt, wie verkaufte Produkte den affektiven Mehrwert der intimen Arbeit am Körper materialisieren und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Anwendung, Produkt und Kundschaft etablieren. Motive für die Aufnahme einer Selbstständigkeit werden definiert, „[s]o ermöglicht die Selbstständigkeit Autonomie und Ent-Hierarchisierung, die dafür, zumindest immer wieder situativ, gegen Abhängigkeit und Angewiesenheit gegenüber den Kund*innen ausgetauscht wird“ (122). Kapitel 6 mit dem Titel „Prekäre Intimität“ thematisiert mit affekttheoretischen Annahmen Sinnhaftigkeiten der Körperbearbeitung und deren Grenzen. Es wird verdeutlicht, wie in der Branche ein „eigener“ und „anderer“ Körper hergestellt wird – dadurch werden materielle Grenzen sichtbar, etwa in körperlichen Eigenschaften der Kundschaft. Kapitel 7, „Unsichtbare Arbeit“, kommt zurück auf den prekären Aspekt unregulierter Arbeit an Körpern und wie Arbeitende aktiv gegen Entwertungen ankämpfen und diese gleichsam mit reproduzieren. Logiken der Naturalisierung und die Besonderheiten der Beziehung zwischen Kunden und Kosmetikerinnen als inszenierte Freundschaft werden verdeutlicht. Die Autorin stellt Thesen zur Entgrenzung und Unsichtbarkeit des Berufsfeldes auf – die Befragten aus der Kosmetikbranche sprechen laut Klein etwa von Leidenschaft und Hobby, betonen aber auch die Wichtigkeit angemessener Schulungen und Professionalität. Ebenso werden internalisierte Geschlechterklischees anhand von Aussagen aus dem Feld verdeutlicht. Im abschließenden Fazit gibt Isabel Klein einen Überblick zu den Dienstleistungen als „permanente[n] Grenzgänge[n]“, zur Kommodifizierung und De-Kommodifizierung der Arbeit sowie der Autonomie und Abhängigkeit von Beteiligten.

Das Buch konzentriert sich auf eine weiblich dominierte Körperarbeit, welche sowohl physische als auch emotionale Arbeit erfordert und vornehmlich als im privaten Raum geprägt verstanden werden kann. Speziell im anglo-amerikanischen hat sich diese Form der Erwerbstätigkeit in der Arbeitswissenschaft als „bodywork“ etabliert. Isabel Klein spitzt den Begriff auf die Intimitätsarbeit von in der Kosmetikbranche Arbeitenden im Sinne einer „Pink Collar Work“ zu, die, eingebettet in den Weltmarkt und gekennzeichnet durch die Kommodifizierung von Nähe und Intimität, mit einer inhärenten intersektionalen Ungleichheit verbunden ist. Dieser Ansatz eröffnet insbesondere im deutschsprachigen Raum erweiternde Perspektiven in der Arbeitsforschung prekärer Weiblichkeit und wie sich diese in einer postfordistischen Arbeitswelt materialisiert. Ergänzt durch die empirischen Befunde konzeptualisiert Klein, unter anderem gemeinsam mit Käthe von Bose, ein Körperarbeits-Verständnis, das lange Zeit im wissenschaftlichen Kanon zu kurz gekommen ist. Sie bringt, vor dem Hintergrund der steigenden Erwerbstätigkeit von Frauen in Teilzeit- und Pflegeberufen im Sinne einer Care-Arbeit, auch Elemente der Gender Studies in die Ethnografie ein.

Isabel Klein untersucht die prekäre Natur der Körperarbeit, indem sie Unsicherheiten, niedrige Löhne und begrenzte Formalisierungen der Beschäftigung empirisch verdeutlicht. Dabei stellt sie heraus, dass in der Kosmetikbranche affektiv mit der Beziehung zur Kundschaft gearbeitet wird, um einen Kundenstamm zu generieren, der eine angestrebte neo-liberale Autonomie und Solo-Selbstständigkeit sichern soll. Dieser Denkansatz bedient sich arbeitswissenschaftlicher Theorien wie Arlie Russell Hochschilds Emotionsarbeit. Klein weist auf Kritikerinnen und Kritiker hin, die anmerken, dass Emotionen und Affekte keine Ware seien, da sie vom Arbeitenden nicht kontrolliert und besessen werden könnten. Die negative Konnotation der Emotionsarbeit nach Hochschild schreibe positive Affekte ab, die Kosmetikerinnen und Kosmetiker durch Kundenkontakte erhalten und herstellen. Eine Trennung von öffentlichen und privaten Emotionen sei also unmöglich, da das Zusammenspiel aus beiden den Beruf ausmache. Es geht um Schönheits- und Körperpflegearbeit als Praxis, in der auf multidimensionale Weise ein affektiver Mehrwert geschaffen wird, der sich als prekäre Intimität äußert. Die fehlende Professionalisierung im Berufsfeld führt zu einer speziellen Herangehensweise von Kosmetikerinnen und Kosmetikern, diese Prekarität zu umgehen – so ist es für sie wichtig, keine Heilung zu versprechen und den Erfolg von Behandlungen auf die Produkte zu verlagern, die genutzt werden. Isabel Klein beschreibt diese als „Happy Objects“, die mit Affekten wie Glücksgefühlen aufgeladen und an die Kundschaft verkauft werden.

Insgesamt leistet die Dissertation einen wichtigen Beitrag zur Arbeits- und Geschlechtersoziologie. Die gründliche Analyse der Arbeitspraktiken und der affektiven Dimensionen zwischen Kosmetikerinnen und Kundschaft sowie der prekären Bedingungen in der Branche ermöglicht ein tiefes Verständnis für die Herausforderungen, mit denen die Beschäftigten konfrontiert sind. Kleins Annahmen zum affektiven Beziehungsaufbau und den „Happy Objects“, die von Unternehmen an Kosmetikerinnen und Kosmetiker und über diese an Kundinnen und Kunden vermarktet werden, erinnern an Mechanismen von Influencer-Kanälen im Internet. Hier werden Produkte aus Werbepartnerschaften und Sponsorships auf eine ähnliche Weise genutzt, um sich als öffentliche Person affektiv an ein Publikum zu binden. Die Relevanz der Thematik zeigt sich auch in der kulturellen Rezeption körperbezogener Arbeit. So sind Videos von Nageldesignerinnen auf der Plattform TikTok zunehmend beliebt. Nutzerin „@cherry_nails_by_liza“ hat beispielsweise 1,6 Millionen Followerinnen und Follower generiert (Stand August 2023).

Die strukturierte Gliederung sowie Einbindung theoretischer Diskussionen und methodologischer Überlegungen vermittelt einen umfassenden Überblick über das Forschungsthema. Immer wieder führt Isabel Klein während ihrer Argumentation in Gedankengänge späterer Kapitel ein, um Aussagen zu stützen. Dies macht es auf den ersten Blick schwer, die Ethnografie chronologisch zu erfassen, schafft jedoch ein ganzheitliches Bild der wichtigsten Befunde und Argumente zum jeweils besprochenen Aspekt. Empirische Beschreibungen bieten greifbare Vergegenwärtigungen theoretischer Überlegungen und machen die Ethnografie zu einem relevanten wissenschaftlichen Werk. Nicht zuletzt, da, wie Klein selbst anmerkt, „Kosmetikarbeit zeigt, wie ambivalent Prekarität ist“ (10) und demnach ein Sichtbarmachen der ihr inhärenten alltäglichem Mechanismen zum Verständnis des Wandels der Arbeit beiträgt.