Aktuelle Rezensionen
Martina Blank/Sarah Nimführ (Hg.)
Writing Together. Kollaboratives Schreiben mit Personen aus dem Feld
(Postcolonial Studies 45), Bielefeld 2023, transcript, 251 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8376-6399-0
Rezensiert von Judith Laister
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 21.08.2024
Der Sammelband „Writing Together“ basiert auf der Identifikation einer veritablen Lücke: Zwar gibt es große Mengen an theoretischer Literatur zum repräsentationskritischen Dilemma des „Writing Culture“. Praxisbezogene Reflexionen zur Überwindung hegemonialer Veranderung in wissenschaftlichen Texten sind allerdings nur wenige zu finden. Dieser Leerstelle widmen sich Martina Blank und Sarah Nimführ in ihrem aktuellen Sammelband, der das Problemfeld hierarchisierter Wissensproduktion anhand von konkreten Beispielen sowie konsequent inter- und transdisziplinär angeht.
Das in der transcript Reihe „Postcolonial Studies“ erschienene Buch folgt dabei auf gleichermaßen engagierte wie theoretisch anspruchsvolle Weise der Leitfrage „Warum und wie gemeinsam mit Personen aus dem Feld schreiben und publizieren?“ (12), wobei sowohl forschungstheoretische und methodologische als auch praktische Fragen eines „Writing Together“ erörtert werden. Der Redaktionsprozess erfolgte in enger Zusammenarbeit der insgesamt sechzehn Autorinnen und Autoren, die ihre Texte im Rahmen einer „niederschwellig interdisziplinär und international“ angelegten Vernetzungsarbeit wechselseitig kommentierten und entwickelten. Das Ergebnis sind elf Beiträge (sechs davon in Ko-Autorinnen und -Autorenschaft), verknüpft mit so unterschiedlichen Feldern wie etwa Politikwissenschaft, Kommunikationsdesign, Kulturanthropologie, Kunstpädagogik, Food-Aktivismus, Schreibpädagogik, Geschichtswissenschaft oder International Development.
Den konzeptuellen Rahmen für das vielfältige Spektrum an Schauplätzen und Formen einer „dekolonialen Wissensproduktion“ (9) bilden zwei Texte der Herausgeberinnen Blank und Nimführ. Einleitend positionieren sie das Buchprojekt in Anknüpfung an „verschiedene Interventionen aus marxistischen, feministischen, antirassistischen, postkolonialen und anderen kritischen Perspektiven“ (9) der vergangenen Jahrzehnte und legen schlüssig deren Aktualität vor dem Hintergrund einer interdisziplinären Agenda der „Dekolonisierung bestehender Wissenssysteme“ (9) dar. Im Schlusskapitel bieten die beiden zusammenfassende „Handlungsempfehlungen für kollaboratives Schreiben in der Wissenschaft“, die darauf abzielen, „Marginalisierungen von nicht akademischen Wissensproduzentinnen und Wissensproduzenten und Wissensformen entgegenzuwirken“ (239). In neun Punkten – vom Hinwirken „auf pluriversale Wissensordnungen“ über das Gestalten von „transparenten Fahrplänen“ und dem Zulassen „multipler Ausdrucksformen“ bis hin zum „vielfältigen Zitieren“ – werden kompakte Überlegungen zu Schlüsselfragen gemeinsamer Textproduktion klar verständlich vermittelt. Wie auch die einzelnen Artikel selbstreflexiv aufzeigen, liegen die zentralen Herausforderungen kollektiven Schreibens in der Tatsache asymmetrischer Machtverhältnisse, heterogener Erwartungshaltungen und unterschiedlich verteilter (Zeit-)Ressourcen.
Neben diesem editorischen Rahmen der „Annäherungen“ und „Schlussbetrachtungen“ gliedert sich der Band in drei Teile mit je drei Texten. Teil I widmet sich der „Umgestaltung universitärer Wissenspraktiken und Wissenskulturen“, Teil II den „Forschungsbeziehungen und Machtasymmetrien“ und Teil III den „Repräsentationen und ethischen Implikationen am Beispiel von Flucht_Migration“. Thematisiert wird dabei eine breite Palette an aktuellen gesellschaftlichen Problemfeldern: Herausforderungen globaler Geschichtsschreibung durch lokal situierte Oral History Projekte auf fünf Kontinenten kommen ebenso vor wie Fragen der Ko-Autorinnen- und -Autorenschaft mit Kindern, Bienenzüchtern oder Fluchtmigrantinnen und Fluchtmigranten. Diese Bandbreite an Forschungsthemen beziehungswiese Forschungspartnerinnen und Forschungspartner wirkt auf den ersten Blick recht weit gefasst. Bei genauerer Lektüre erschließt sich gerade in der Diversität der Themen und „Personen aus dem Feld“ deren methodologische Produktivkraft. Da die Autorinnen und Autoren ihre jeweiligen Texte in wechselseitigem Austausch miteinander entwickelten, konnten im Spiegel der anderen Disziplinen und sozialen Akteurinnen und Akteuren verdeckte Problemlagen identifiziert und Argumente geschärft werden.
Neben der Aktivität des kollektiven Schreibens mit Fokus auf die akademische Textproduktion widmet sich das Buch auch anderen Arten der kollaborativen Repräsentation von Forschungsthemen. So bietet „Writing Together“ einen Ausblick auf die Potentiale eines gemeinsamen multimodalen Experimentierens in transdisziplinären Möglichkeitsräumen – mit Bezug auf George Marcus als „para-sites“ bezeichnet. Die Integration von visuellen Elementen durch die Kollaboration mit Bild-Expertinnen und Bild-Experten, wie zum Beispiel Designerinnen und Designer, macht dabei deutlich: Das Format eines schriftlichen akademischen Artikels ist nur eine von vielen Möglichkeiten der Darstellung von Wissen. Die Tatsache ungleicher Macht- und Kapitalverteilung – ökonomischer, kultureller und sozialer Art – ist in transdisziplinären multimodalen Experimenten allerdings genauso gegeben, wie unter detaillierter Beschreibung von Konfliktmomenten in kollaborativen Arbeitsprozessen „beyond text“ transparent dargelegt wird.
So unterschiedlich die (mit-)schreibenden Akteurinnen und Akteure und verhandelten Themen im Sammelband „Writing Together“ auch gelagert sind, es eint sie das praktisch erprobte Anliegen eines „kollaborativen Forschens quer zu hegemonialen Wissensordnungen“. Gemeinsam ist den Artikeln ein selbstreflexiver, gleichzeitig pragmatischer wie programmatisch utopischer Umgang mit dem alle Felder durchdringenden Faktum sozialer Hierarchien und Konflikte. Mit Bezugnahme auf dekoloniale Strategien und spekulative Anthropologien denken die Autorinnen und Autoren konsequent und überzeugend über die (Un-)Möglichkeit epistemische Gerechtigkeit im Sinne einer „academia of the possible“ nach. Sie stellen abwägende Überlegungen zu Beziehungsarbeit an und denken über Freund- und Komplizenschaft, Freundlichkeit, Paternalismus, Respekt und Anerkennung im Forschungsprozess nach. Mit kritischem Blick wägen sie Ansätze des Studying-up und Studying-down ebenso ab wie die Problematik dialogischer Feldforschung als immer ungleiches Tauschgeschäft, auf das sich so manche Personen aus dem Feld erst gar nicht einlassen können oder auch wollen. So sondieren die Texte auch zahlreiche Tücken und Fallstricke des Ideals epistemischer „Togetherness“ – und ermutigen trotzdem in einem optimistischen und realistischen Grundton zum gemeinsamen Forschen und Repräsentieren mit Personen aus dem Feld: „Nicht in Verzweiflung verfallen. Stattdessen gemeinsam an Interventionen im ‚Jetzt‘ arbeiten, um so ein ‚Morgen‘ gestalten zu können, das wir uns ‚heute‘ erhoffen.“ (98)