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Sharon Macdonald (Hg.)

Doing Diversity in Museums and Heritage. A Berlin Ethnography

(Cultural Heritage Studies 1), Bielefeld 2023, transcript, 321 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8376-6409-6


Rezensiert von Brigita Malenica
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 23.08.2024

Der Sammelband „Doing Diversity in Museums and Heritage. A Berlin Ethnography“ ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts, das unter dem Namen „Making Differences: Transforming Museums and Heritage“ am Center for Anthropological Research on Museum and Heritage (CARMAH) unter der Leitung der Herausgeberin Sharon Macdonald durchgeführt wurde. Im Laufe der Jahre waren an die zwanzig Forschende mit ihren jeweiligen Einzeluntersuchungen an dem Projekt beteiligt, die sich zu einem großen Teil im Sammelband wiederfinden. Im Fokus der Untersuchungen steht die Frage, wie sich die Aushandlung von Diversität in der gegenwärtigen Neugestaltung von Museen niederschlägt. Diversität bestimmt schließlich seit Mitte der 2010er Jahre als zentrales Schlagwort nicht nur die Debatte darüber, was ein zeitgemäßes Museum ausmacht, auch ist mit dem Begriff eine politisch getragene Erwartungshaltung an öffentlichen Institutionen und an ihr diversitätssensibles Handeln verbunden. In den Forschungsprojekten wurden verschiedene Berliner Organisationen, Gruppen und Praktiken analysiert, die sowohl in etablierten Museen als auch in lokalen Initiativen gesucht wurden, angefangen vom in der Öffentlichkeit stark umstrittenen Humboldt Forum mit dem dort angesiedelten Ethnologischen Museum und der neuen Ausstellung Berlin Global, über das Naturwissenschaftliche Museum mit seinem Citizen-Science-Projekt zur Nachtigall oder dem Museum für islamische Kunst bis hin zum kollektiv kuratierten Kunstraum Savvy Contemporary, um hier nur einige Beispiele zu nennen (14). Aber auch performativ-aktivistische Formen, wie der Stadtrundgang von Berlin postkolonial e.V. oder die Berlin Walks with Istanbul pride March, werden als Teil eines Geflechtes unterschiedlicher Akteurinnen und Akteure in der Verhandlung von Diversität sichtbar.

Die Erweiterung der Analysekategorie von Differenz zu Diversität, die im Projekt vollzogen wurde, erläutert Macdonald in ihrer Einleitung plausibel aus der gesellschaftlichen und politischen Gegenwart. Von der Einsicht ausgehend, dass Museen wesentliche Institutionen der Wissensvermittlung und Identitätsbildung sind, die über Differenzmarkierungen die Welt strukturieren, widmet sich das Forschungsprojekt der Frage, wie Forderungen nach Repräsentation gesellschaftlicher Diversität, sprich „race, religion, gender, sexuality, ableness/disability, age or class“ (18), von Museen umgesetzt werden.

Anhand dieser Fragestellung wird schließlich auch ein Dilemma offenbar, vor dem zeitgenössische Museen stehen: Wenn die Konstruktion von Differenz die Grundlage jeder Museumsgestaltung ist, wie kann sie neugestaltet und arrangiert werden? Wie kann anders an Differenz herangegangen werden, als binär oder dualistisch? Der Gebrauch von kultureller Differenz oder Diversität verweist zudem auf das Staatsverständnis, welches die Erzählung von Museen rahmt. Kritisch wird daher schon in der Einleitung vermerkt, dass die Betonung kultureller Diversität nicht selten soziale Probleme und vor allem soziale Ungleichheiten verdeckt. Die Frage wie man mit diesem Bias in Museen umgehen sollte, beantwortet die Herausgeberin zum einen mit der Transformationskraft, die im Begriff stecke, nämlich in dem er das soziale Imaginäre verändern könne. Zum anderen böten die Critical-Heritage-Studies – der Ansatz, den die vorliegenden Untersuchungen vertreten – einen Zugang, der die Verflechtungen von kultureller Selbst- und Fremdkonstruktion in ihrer politischen Dimension benennt (20–21). Macdonald liefert mit ihrem einführenden Beitrag eine weitgreifende Einordung des Forschungsprojekts mit seinen begrifflichen, theoretischen und methodologischen Grundlagen, die zentral für die Lektüre der einzelnen Studien ist. Sie betont zugleich, dass nicht die Theorie, sondern die Praxis der Fokus der hier versammelten Untersuchungen ist. Das Forschungsinteresse richtet sich somit auf die kulturellen sowie politischen Auswirkungen des Diversitätskonzeptes.

Macdonald beginnt ihre theoretische Einordnung mit drei Bedeutungen von Diversität, die ausgehend von der Biodiversität zur kulturellen und sozialen Diversität ausgeweitet wurde. Für die gegenwärtige Auseinandersetzung mit dem Postulat von Diversität im musealen Kontext macht es tatsächlich Sinn, sich der Ursprünge des Konzeptes bewusst zu werden. Denn anhand der Begriffsgeschichte wird deutlich, wie gesellschaftliche Demokratisierungen seit den 1960er Jahren in einem Wechselverhältnis zwischen globalen und internationalen Entwicklungen, nationalen Traditionen und Interessen mit zivilgesellschaftlichen Forderungen stehen. Für moderne Museen sind alle drei Ebenen von Bedeutung, da sowohl kulturelle als auch soziale Forderungen nach Anerkennung nicht von Machtverhältnissen und ihren ökonomischen sowie biologischen Grundlagen zu trennen sind. Macdonald ruft in ihrer Einführung zu Recht den Ursprung des Begriffs der sozialen Diversität in Erinnerung, der auf die sozialen Bewegungen der 1970er Jahre zurückgeht und als politischer Begriff Diskriminierungen anprangerte. Damit sind Forderungen nach Teilhabe, Zugänglichkeit und Inklusion eng verknüpft. Dem stellt sie das lange Zeit in der Praxis dominante Konzept des Diversitätsmanagement gegenüber, das Macdonald als formellen Zugang beschreibt. Aus der Wirtschaft kommend sei sein Ziel, auch in politischen Institutionen, dem Diskriminierungsvorwurf vorzubeugen, während das Konzept der sozialen Diversität auf eine Veränderung der sozialen Realität ausgerichtet sei. Und doch sei eben diese Bedeutung aus dem Bewusstsein im Gebrauch von Diversität in der Gegenwart verschwunden, da nunmehr von einer existenten (rechtlichen) Gleichheit ausgegangen werde (26).

Folgerichtig ordnet sie daher das Forschungsprojekt „Making differences“ in den politischen Kontext ein, der seit 2015 von der sogenannten Flüchtlingskrise, der Debatte um das koloniale Erbe Deutschlands und Europas, der Black Lives Matter-Bewegung sowie der Auseinandersetzung um die Anerkennung nicht-heteronormativer Lebensweisen bestimmt wird. All diese öffentlichen Debatten spiegeln sich in der hier untersuchten kuratorischen Praxis der Berliner Kulturinstitutionen und -initiativen wider beziehungsweise laufen unter der Oberfläche mit. Die vierzehn Fallstudien unterteilt Macdonald nach ihrer zentralen Fragestellung in drei Kategorien und bietet den Leserinnen und Lesern damit eine erste Orientierung. Die erste Kategorie umfasst Untersuchungen zum Umgang mit der kolonialen Herkunft und ihrem Fortbestand in den Berliner Sammlungen sowie der Forderung nach Dekolonialisierung, hierzu zählen die Beiträge von Larissa Förster, Margareta von Oswald, Nnenna Onuoha, Harriet Marrow und Duane Jethro. Die zweite Kategorie widmet sich dem Einfluss von Diversitätsinitiativen auf die Berliner Debatten um die Neugestaltung von Sammlungen und Ausstellungen, worunter sie die Untersuchungen von Jonas Tinius, ihre eigene sowie die von Magdalena Buchczyk fasst. Die letzte Kategorie beschäftigt sich schließlich mit der Schaffung neuer Zugehörigkeiten und Beziehungen, die sie in den Beiträgen von Chiara Garbellotto und Tahani Nadim, Christine Gerbich, Rikke Gram, Katarzyna Puzon, Nazlı Cabadağ sowie Christoph Bareither verortet.

Methodologisch beschreibt Macdonald das Vorgehen als „multi-researcher ethnography“ (33), was nicht nur die Beteiligung vieler Forschenden meint, sondern auch die Sichtbarmachung der unterschiedlichen Inputs zum Thema. Damit verbunden ist eine Offenheit gegenüber sozialen Konstellationen, wie sie sich auf Aushandlungsprozesse und ihre Ergebnisse auswirken wie auch bezüglich dessen, was Differenz und Diversität ist (33–34). Zusammenfassend kommt Macdonald zum Ergebnis, dass bestehende Kategorisierungen, mögen sie von existierenden Sammlungen oder auch gesellschaftlich sein, auch in bewusst auf Diversifizierung ausgerichteten kuratorischen Prozessen nur schwer abzuschaffen oder zu verändern sind (44) und doch scheint ein Prozess der Veränderung an vielen Stellen im Band auf.

Ein großer Mehrwert der vorliegenden Untersuchungen zeigt sich in der eigenen Involviertheit vieler der Forschenden im Prozess der Aushandlung von Diversität und Differenz, wodurch sie sowohl eine beobachtende wissenschaftliche Rolle einnehmen und damit unmittelbaren Zugang zu internem Wissen haben als auch ihr eigenes Handeln im museologischen beziehungsweise kuratorischen und aktivistischen Feld reflektieren. Eindrücklich zeigt sich dadurch, wie schwer es gerade staatlichen Institutionen aufgrund ihrer Strukturen fällt, mit Kritik produktiv umzugehen. Die Beharrlichkeit erweist sich am stärksten auf dem Feld der Personalpolitik, indem zum Beispiel Personen aus der schwarzen community als externe Expertinnen und Experten am Prozess zwar teilhaben, jedoch selten zum ständigen Stab der Mitarbeitenden gehören (siehe die Beiträge von Förster, von Oswald und Tinius). Margareta von Oswalds Beitrag, der sich dem ethnologischen Museum und der Kritik am Humboldt Forum widmet, reflektiert zudem eindrücklich die emotionale und persönliche Involviertheit aller Beteiligten und wie der Prozess auch Beziehungen verändern kann. Eben dies spiegelt sich letztlich auch im Umgang mit den Objekten, deren individuelle Geschichten im Sinne einer zeitgenössischen kritischen Museologie zum Ausdruck von sozialen Beziehungen werden kann, auch wenn bei den meisten alten Sammlungsobjekten genau diese Geschichten unbekannt sind. Auch Magdalena Buchczyk zeigt die Verschiebung der Sammlungspraxis in ihrer Studie zum Museum Europäischer Kulturen deutlich auf, die ursprünglich darauf abzielte die vorindustrielle deutsche Lebensweise in Europa zu bewahren und nun darauf ausgerichtet ist, die Veränderungen im Alltagsleben der Europäerinnen und Europäer zu dokumentieren. Zugleich bleibt sie skeptisch, ob die konzeptionellen Änderungen nicht doch in eine „diversity lite“ (206) münden und tradierte Praktiken unter der Hand fortsetzen. Gewinnbringend für einen breiter reflektierenden Blick auf die deutschen Debatten und Praktiken zeigt sich zudem, dass das Team der Forschenden international aufgestellt war und ihre Vergleiche mit ähnlichen Auseinandersetzungen in anderen nationalen Kontexten erkenntnisreich sind. Hier ist insbesondere der Beitrag von Duane Jethro zu erwähnen, die als schwarze, aus Südafrika stammende Wissenschaftlerin die Berliner Initiativen zur Umbenennung von Straßennamen mit kolonialem Bezug mit den Debatten in Südafrika nach Ende des Apartheitsregimes in Beziehung setzt. Mit ihrem Blick von außen wird deutlich, welche politisch weitreichende Dimension die Umbenennung von Straßennamen hat und warum sie zu heftigen Konflikten führt: Denn sie markiert die Infragestellung tradierter Herrschafts- und Machtverhältnisse. Positiv gewendet heißt dies auch, dass die Debatte um Straßennamen zu einer Arena der Verhandlung eines neuen nationalen Selbstverständnisses geworden ist, die eine Veränderung deutscher sozialer Realität ermöglicht. Die Bandbreite der hier versammelten Studien umfasst viele Beispiele und Aspekte mehr, die an dieser Stelle leider nicht alle besprochen werden können, so etwa auch die Studien, die sich mit muslimischer Kultur befassen. Sie alle zeigen jedoch, dass Diversität in Berlin und Deutschland zurzeit auf unterschiedlichen Ebenen verhandelt wird und dies mit einem konflikthaften Prozess verknüpft ist.

Berlin bot sich als Untersuchungsraum schon deshalb an, da sich hier in der Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands, aber auch als der historischen Hauptstadt des Kaiserreiches, zentrale Kulturinstitutionen befinden, die eine nationale Tragweite haben und zugleich in einem internationalen Austausch stehen. Vielversprechend ist der von Sharon Macdonald beschriebene kritische ethnografische Ansatz schon aus dem Grund, da hier die Rückkopplungen von Diversitätspostulaten mit der Konstruktion von Identitäten ebenso wie an die Konstruktion von Ähnlichkeiten als konstitutiver Teil des Prozesses mitgedacht wird. Damit wird schließlich eine entscheidende Leerstelle von Diversitätskonzepten benannt: Wie verhalten sich Nationskonstruktionen oder allgemeiner gesagt, Konstruktionen von Gemeinschaft im Zusammenspiel mit der Forderung nach der Anerkennung unterschiedlicher Formen von Differenz? Die Frage, ob Differenz oder Diversität nicht sogar neue binäre Zuschreibungen erzeugen können, kann auf diese Weise stets mitgedacht werden. Gerade in Zeiten, in denen rechtspopulistische und rechtsextreme politische Parteien neuen Aufschwung in Europa und weltweit erhalten, verspricht der in diesem Band vorgestellte Forschungsansatz komplexere Antworten auf die Frage zu liefern, wie ganz praktisch demokratisierende und diversifiziernde Veränderungen umsetzbar sind. Sharon Macdonald schließt in diesem Sinne in ihrem kurzen Schlusswort den Band mit zwei Listen, die die Herausforderungen und Möglichkeiten für mehr Diversität benennen. Das Buch bietet sich damit auch als Handreichung für Kulturinstitutionen an, die sich mit ihrem Change-Prozess zu mehr Diversität und Teilhabe offen auseinandersetzen wollen.