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Richard Winkler

Vom Hausierer zum Multimillionär. Die glänzenden Geschäfte des Münchner Kunsthändlers Julius Böhler 1882–1918

(Veröffentlichungen des Bayerischen Wirtschaftsarchivs 8), München 2024, Volk Verlag, 208 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-86222-482-1


Rezensiert von Maximilian Münzel
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 26.08.2024

Der Karriereweg vom Tellerwäscher zum Millionär gilt als Symbol für einen mustergültigen gesellschaftlichen Aufstieg und wird zumeist mit dem sogenannten American Dream assoziiert. Dass sich derlei bemerkenswerte Lebenslinien auch in der bayerischen Landeshauptstadt finden lassen, beweist Richard Winkler, Leiter des Bayerischen Wirtschaftsarchivs, in der anzuzeigenden Studie. Winkler, der bereits mehrfach zur Kunsthandlung Böhler geforscht und publiziert hat, richtet den Fokus auf die Anfangsjahrzehnte des Unternehmens und dessen Aufstieg in den Jahren 1882 bis 1918. Die Quellenbasis bildet hierbei eine Folge von Geschäftsbüchern der Kunsthandlung Böhler, die sich – anders etwa als die meisten Korrespondenzen – in größerem Umfang erhalten haben. Hieraus leitet sich die zentrale Absicht des Autors ab, „mit einem auf statistischer Methodik basierenden Ansatz aus der Masse der Geschäftsbucheinträge die Grundzüge der Unternehmensentwicklung für einen Zeitraum von nahezu vier Jahrzehnten nachzuzeichnen“ (12).

Die Studie ist inhaltlich in fünf übergeordnete Teilabschnitte und darin wiederum in einzelne Unterkapitel gegliedert, die sich mit den unterschiedlichen Lebens- und Unternehmensphasen Böhlers auseinandersetzen. Der erste Teil behandelt hauptsächlich Böhlers Aufstieg zu einem etablierten Kunsthändler. Aufgrund fehlender Quellen über die ersten Lebensjahre des 1860 in einer alteingesessenen Handwerkerfamilie im Schwarzwald geborenen Böhlers, kann seine Biografie erst mit dem beruflichen Einstieg genauere Konturen annehmen. Von wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit zum Verlassen der Heimat bewogen, ergriff er gemeinsam mit einem seiner älteren Brüder den Beruf des Wanderhändlers, zunächst für Kurzwaren, ehe sie sich alsbald auf den Antiquitätenhandel konzentrierten. Dieser neue Geschäftszweig führte die Brüder 1879 nach München, wo beide schließlich ein eigenes Antiquitätengeschäft gründeten.

Als Julius Böhler 1882 den Grundstein seines Kunsthandels legte, befanden sich in München bereits zahlreiche namhafte Geschäfte jenes Gewerbes. Dennoch gelang Böhler in den Folgejahren eine zügige Etablierung. Die Geschäftsbücher spiegeln die kontinuierliche Erweiterung eines breitgefächerten Angebots an Antiquitäten sowie eine Professionalisierung des Handels wider, was sich nicht zuletzt im finanziellen Erfolg Böhlers niederschlug. Der Ausbau des Geschäfts in den 1880er und 1890er Jahren ging dabei einher mit dem steten Ausbau der Geschäftsbeziehungen zu Privatsammlern, Händlern und Museen weit über München hinaus. Der detaillierten Aufschlüsselung dieses illustren Kundenkreises widmet der Autor großes Augenmerk und zeichnet somit das Bild eines überaus gut vernetzten und hochgefragten Kunsthändlers nach. Zu Böhlers Abnehmern zählten beispielsweise Wilhelm Bode von den Königlichen Museen in Berlin, der „Malerfürst“ Franz von Lenbach, James Simon oder der sächsische Tuchfabrikant Richard Zschille. 1895 wurde Böhler der Titel eines „Hof-Antiquars seiner Majestät des Königs und Kaisers“ verliehen, seit 1906 war er „Königlich Bayerischer Hofantiquar“.

Die darauffolgenden beiden Teile zeichnen einen fest etablierten und überaus profitablen Geschäftsgang nach. Winkler legt dabei einen Schwerpunkt auf die Rekonstruktion der Bezugsquellen Böhlers. Auch hier hatte dieser sich ein regelrechtes „Beschaffungsnetzwerk“ (55) aufgebaut, um die Wünsche seiner Kunden passgenau erfüllen zu können. Hilfreich waren abermals zahlreiche Kontakte zu Händlern, Erwerbungen erfolgten in den europäischen Zentren des Kunsthandels, außerdem kaufte Böhler bei Privatsammlern und nahm laufend an Auktionen teil.

Der methodische Ansatz Winklers und die daraus resultierenden statistischen Ergebnisse ermöglichen einen anschaulichen Einblick in die tatsächlichen Geschäftsbewegungen. Genau nachzuvollziehen sind Art und Umfang der angekauften Objekte, ihre Provenienz, deren Kauf- und Wiederverkaufswert sowie die erzielten Gewinne oder Beteiligungen bei Konsortialgeschäften.

Trotz des großen Erfolgs wurde Böhler nicht müde, stetig seinen Horizont zu erweitern. Wenn er 1894 seine Reisetätigkeiten erstmals auf Italien und 1904 auf Spanien ausdehnte oder wenig später den Blick nach Russland wandte, so geschah dies mit der Intention, Beziehungen zur Geschäftsoptimierung zu knüpfen und neue Ankäufe zu tätigen. Dass Julius Böhler dabei die Wichtigkeit einer Nachfolge stets bewusst war, zeigt die Einbindung seiner Söhne in das Geschäft. Anders als ihr Vater, konnten beide hierfür eine umfassend fachliche Ausbildung genießen.

Bis vor dem Ersten Weltkrieg hatte sich das Geschäft in drei Jahrzehnten an die Spitze des deutschen Kunst- und Antiquitätenhandels gearbeitet, war international tätig und erzielte einen Millionengewinn, was dem einstigen Hausierer Böhler zu beachtlichem Wohlstand verhalf. Den Erfolg sicherte, wie Winkler abermals deutlich herausarbeitet, ein breiter Kundenkreis kauffreudiger Sammler aus Europa und den USA sowie Museen im In- und Ausland.

Dem Amerika-Geschäft der Kunsthandlung widmet sich sodann der vierte Teil. Ab den 1890er Jahren wurden kunstinteressierte und vor allem wohlhabende US-Amerikaner, wie beispielsweise der New Yorker Bankier James Jewett Stilman, bei Böhler fündig. Eine Zollreform der Vereinigten Staaten ließ das US-Geschäft ab 1910 noch einmal deutlich ansteigen. Folgerichtig erscheint daher die Gründung einer Böhler-Filiale in New York in Zusammenarbeit mit der Kölner Kunsthandlung Steinmeyer & Söhne 1911, um den amerikanischen Markt auch in örtlicher Präsenz bedienen zu können. Der Erste Weltkrieg und der Kriegseintritt der USA brachten dem New Yorker Geschäft jedoch alsbald ein jähes Ende.

Generell markierte der Kriegsbeginn 1914 einen Einschnitt für die Firma, wie der Autor im fünften Teil darlegt. Die Söhne wurden eingezogen, Verkäufe blieben zunächst aus und viele der einstmals profitablen Kontakte lagen nun im Feindesland. Dennoch konnte sich noch während des Krieges das Geschäft erholen, große An- und Verkäufe durchgeführt und sogar neue Kunden im In- und Ausland geworben werden, während Stammkunden treu geblieben waren. Von den tiefgreifenden Problemen der Nachkriegsjahre, Hyperinflation und Weltwirtschaftskrise, blieb die Kunsthandlung jedoch nicht verschont. Julius Böhler hatte sich 1929 aus dem Unternehmen zurückgezogen, am 1. Dezember 1934 verstarb er. Die nachfolgenden Generationen führten das Erbe des Firmengründers fort.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Winkler eine detailreiche Darstellung der Erfolgsgeschichte der Kunsthandlung Böhler von deren Gründung bis zum Ende des Kaiserreichs gelungen ist. Julius Böhler begann seine Karriere in einfachen Verhältnissen und erarbeitete sich als Autodidakt den Stand eines international gefragten Fachmanns, der als geschickter Netzwerker an Händler, Museen und Sammler in Europa und den USA verkaufte. Ein umfangreicher Anhang mit Tabellen und reicher Bebilderung (164–196) verdeutlicht die Ausführungen. Der Blick in den Endnotenapparat belegt schließlich die umfangreiche Quellenarbeit, gerade mit den Beständen des Wirtschaftsarchivs, die der Studie zu Grunde liegt. Die Tradition des Familienunternehmens wird heute in fünfter Generation weitergeführt, wer etwas über dessen illustre Vergangenheit wissen will, kann mit großem Gewinn auf Winklers Arbeit zurückgreifen.