Logo der Bayerischen Akademie der Wissenschaften

Kommission für bayerische Landesgeschichte

Menu

Aktuelle Rezensionen


Gerhard Schönhofer

Ermächtigung durch Sichtbarkeit? Filmprojekte mit fluchterfahrenen Jugendlichen in Deutschland

(Kultur und soziale Praxis), Bielefeld 2022, transcript, 349 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8376-6061-6


Rezensiert von Torsten Näser
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 26.08.2024

Die Monografie von Gerhard Schönhofer, die aus seinem Dissertationsprojekt, das an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt angesiedelt war, hervorgegangen ist, behandelt medienpädagogische Filmworkshops für fluchterfahrene Jugendliche. In öffentlichen beispielsweise journalistischen Diskursen werden solche Angebote wegen ihres Ziels, die oft traumatischen Fluchterlebnisse, aber auch die hiesigen schwierigen Alltagsbedingungen von geflüchteten Jugendlichen mit dem Ansatz der Selbstermächtigung medial aufzuarbeiten und dabei gleichzeitig an eine interessierte Öffentlichkeit zu vermitteln, meist positiv verhandelt. Um über diesen (ersten) Eindruck hinaus derartige Projekte auch einer kritischen empirisch-kulturwissenschaftlichen Reflexion zu unterziehen, bedient sich der Autor eines medienethnografischen Zugangs, der sich lose an den Perspektiven der Medienpraxisforschung orientiert und vor allem die Konzeption und die Durchführung solcher Workshops, daneben aber auch die Veröffentlichungsarenen der aus ihnen hervorgegangen Filme in den Blick nimmt.

In einer konzisen Hinführung macht der Autor zunächst deutlich, dass die Workshops als partizipative Projekte angelegt sind, um fluchterfahrenen Jugendlichen auch – so zumindest das formulierte Anliegen vieler Workshop-Organisatorinnen und -organisatoren – entgegen der vielfach zirkulierenden medialen Bilder, die in der Gesellschaft vorherrschen, die Möglichkeit zu geben, selbst ihre Stimme zu erheben beziehungsweise medial aktiv zu werden. Wie genau dabei Sichtbarkeit hergestellt wird und welchen Epistemen dieser Prozess unterliegt, dieser Frage geht Schönhofer schwerpunktmäßig mit Fokus auf die initiierenden, koordinierenden und ausführenden Personen der Workshops nach. Sein Forschungsfeld kontextualisiert er im Zuge dessen sinnfällig unter anderem an der Schnittstelle fluchtmigratischer Diskurse, der Humanitarismusforschung, Fragen der Subalternität, medialer Repräsentationen und den Konzepten Ermächtigung und Partizipation. Ins Zentrum stellt der Autor den Terminus des Regimes der Sichtbarmachung und -werdung. So designt blickt die Forschungsarbeit ethnografisch auf die Workshops und zeigt dabei, wer wie zu was Zugang innerhalb dieses soziotechnologischen Systems hat. Schönhofer verdeutlicht im Zuge dessen schnell, dass die untersuchten medienpädagogischen Workshops und das hinter ihnen liegende Ansinnen „durch humanitaristische Haltungen und somit einen eurozentrisch verzerrten Blick auf die Bedürfnisse der als unsichtbar und somit hilfsbedürftig deklarierten Anderen durchdrungen“ (37) ist. Weniger zielführend für die Bearbeitung der Problemstellung als die vorgenannten Kontextualisierungen erscheinen hingegen Schönhofers Exkurse zur Writing-Culture Debatte und zum ethnografischen Film. Auch seine Ausführungen zu partizipativ angelegten ethnografischen Filmprojekten sind zwar lesenswert, vermögen aber weniger zur Beantwortung der Forschungsfrage beizutragen, als auf den ersten Blick anzunehmen wäre. Ein Grund dafür ist unter anderem, dass anders als bei den medienpädagogischen Angeboten der Zugewinn kollaborativer ethnografischer (Film-)Projekte vor allem darin liegt, die eigenen anthropologischen Denkstile durch Reibungen, die in den Zusammenarbeiten entstehen, kritisch zu hinterfragen und so ein Bewusstsein für die eigene Relationalität zu entwickeln, wie es Jörg Niewöhner formuliert hat, ein Anliegen, das die Übertragbarkeit auf Schönhofers Forschungsfeld, das mit Partizipation ein anderes Ziel verfolgt, ein wenig erschwert.

Der Hauptteil der Arbeit, in dem die Ergebnisse der Untersuchung von sechs medienpädagogischen Workshops darlegt werden, ist in sinnhafte Kategorien, die für die Erfassung des Forschungsfeldes besonders prägnant sind, strukturiert. Mit Blick auf die Anspruchshaltungen und Zielsetzungen der Projekte wird etwa deutlich, dass dem Selbstverständnis vieler Institutionen, die diese medienpädagogischen Workshops durchführen, Konzepte inhärent sind, die – wie beispielsweise die Termini „Integration“ oder „mediale Alphabetisierung“ indizieren – auf ein nicht austariertes Machtgefüge gegenüber den Jugendlichen und ihren Erfahrungen hinweisen. Bestechend sind auch die Ausführungen Schönhofers, in denen deutlich wird, dass der sprichwörtliche lange Arm einiger Projekt-Finanziers soweit reicht, dass die entstehenden Filme ein bewusst positives Bild einer gelungenen Integration vermitteln sollen. Eine derart direktive Einmischung, mehr aber noch die dahinterstehenden Ziele, nämlich die unterstützende Institution in einem humanitären Licht erscheinen zu lassen, erschrecken in dieser Deutlichkeit. Über diese Befunde hinaus besticht die Arbeit vor allem durch die Zwischentöne, nämlich immer dann, wenn sie aufzeigt, wie die Forschungsfelder und die in ihnen wirkenden organisierenden Akteurinnen und Akteure zwischen den normativen Begrifflichkeiten und deren praxisnahen Übersetzung oder zwischen den finanziellen Zugzwängen und den eigenen Ansprüchen vermittelnd agieren.

Auf diese Weise entsteht ein komplexes Bild der Film-Workshops, das sich beispielsweise anhand der ausdifferenzierten Ziele zeigt, die mit ihnen verfolgt werden. Diese reichen von einem Verständnis filmpraktischer Arbeit als Begegnungsraum, etwa um Teamfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein, aber auch Kontakte von fluchterfahrenen mit „einheimischen“ Jugendlichen zu befördern bis dahin, gelungene Endprodukte zu kreieren, damit die Filme auf entsprechenden Festivals reüssieren. Je nach Ziel variieren auch die Konzeptionen von Partizipation. Einige Workshop-Formate zeichnen sich dabei durch eine auffällige Engführung aus, die beispielsweise durch die Vorgabe eines Filmthemas zum Ausdruck kommt. In diesem Zusammenhang wird sichtbar, in welchem Spannungsfeld sich auch die organisierenden Akteure und Akteurinnen bewegen: Einerseits begegnen sie den Jugendlichen mit großer Empathie, andererseits sind sie, um überhaupt Angebote schaffen zu können, gezwungen, in den Logiken der Drittmittelgeber und Drittmittelgeberinnen zu denken, die solche Vorgaben machen. Angesichts der Einbettung der medienpädagogischen Workshops in diese Konkurrenz- und Wettbewerbsstrukturen verwundert es nicht, dass ein (Fremd)Regieren der Bilder unausweichlich ist. Auf diese Weise macht die Arbeit immer wieder deutlich, wie die feldeigenen Logiken derer, die die Workshops finanzieren, organisieren und durchführen, wirksam werden und sich strukturell bedingt immer wieder vor die Zwecke und Ziele, mit denen die Workshops eigentlich überschrieben sind, schieben. Damit einher geht auch ein Regieren der medialen und als partizipativ, man möchte schon fast sagen: getarnten filmischen Repräsentation von Migrationserfahrung einher. Besonders zugespitzt wird dies in dem Kapitel deutlich, in dem Schönhofer das Konzept des Sichtbarkeitsregimes einführt, worunter er die „systematische Verfestigung und performative Rückversicherung bereits bestehender Vorstellungen von als typisch fluchtmigrantisch diskursivierten Erscheinungs- und Verhaltensweisen“ (250) versteht. Daran anknüpfend arbeitet der Autor zwei für die von ihm untersuchten Workshops charakteristische Modi heraus. Einmal eine integrativ repräsentative Tendenz, die von einer geglückten integrativen und ermächtigenden Teilhabe der Jugendlichen mit Fluchterfahrung erzählt und die sich in Filmen ausdrückt, in denen die Jugendlichen als Protagonistinnen und Protagonisten diese Rolle sichtbar übernehmen. Die reflexiv-dekonstruierende Tendenz hingegen befördert solche Filme, die die Beteiligung der Jugendlichen am kreativen Prozess offenlegt und auch davon erzählt, wie hegemoniale audiovisuelle Strategien aufgebrochen werden. Doch selbst für den zu präferierenden zweiten Weg wirft Schönhofer die Frage auf, ob das Ziel der Ermächtigung durch Sichtbarkeit in und durch Filmen eigentlich eines ist, das die betroffenen Jugendlichen in derselben Weise anstreben, wie von den Projektinitiatoren und ‑initiatorinnen angenommen.

Gerhard Schönhofer ist es mit seiner ethnografisch praxeologischen Perspektive gelungen, eine zeitgemäße visuell-anthropologische Forschungsarbeit vorzulegen, auch weil sie gekonnt Visualisierungspraktiken situiert, in diesem Fall die medienpädagogischen Workshops in ihren institutionellen, diskursiven, aber auch subjektivierten Dimensionen verortet, die in ihnen herrschenden Sichtbarkeitsregime aufzeigt und damit nicht zuletzt den besonderen Wert einer ethnografischen Medienpraktiken-Analyse unterstreicht.