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Aurelia Benedikt
Die Mirakelberichte des Gnadenortes Mariahilf in der St.-Jakobs-Kirche in Innsbruck (1662–1724). Analysen zu ihrer Bedeutung im Barockzeitalter
(Veröffentlichungen des Innsbrucker Stadtarchivs, N.F. 72), Innsbruck 2021, Wagner, 648 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-7030-6565-1
Rezensiert von Walter Pötzl
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 10.09.2024
Die Beschäftigung mit Geschichte erfordert die exakte zeitliche Einordnung. Bei dem Lukas-Cranach-Bild, gemalt 1514 oder 1537 (90–101) kann man vor etwa 1620 nicht von einem Maria-Hilf-Bild sprechen. Der Maria-Hilf-Titel verbreitete sich seit dem späten Mittelalter in verschiedenen analogen Termini, konzentrierte sich dann aber seit der Mitte des 16. Jahrhunderts auf die Variante „Maria auxiliatrix christianorum“. Im ersten Druck der Lauretanischen Litanei, Dillingen 1558, war die Anrufung vertreten, in der zweiten Auflage fehlte sie. Offiziell wurde die Maria-Hilf-Bitte durch Papst Pius V. zum Dank für den Sieg über die Türken bei Lepanto 1571 in die Lauretanische Litanei eingeschoben.1 Erzherzog Leopold V. entschied sich 1611 in der Kunstkammer des sächsischen Kurfürsten in Dresden für das Cranach-Bild. In Passau ließ Domdekan Marquard von Schwendi eine Kopie anfertigen, für die er dann schließlich auf dem Berg eine Kirche erbauen ließ, die 1627 fertiggestellt wurde. Schwendi dürfte dem Cranach-Bild den Maria-Hilf-Titel gegeben haben. Gut ein Jahrzehnt früher 1602, beantragte Regina Imhof auf dem Lechfeld eine Kapelle zu „Unser Lieben Frauen Hilf“ bauen zu dürfen. Als Kapelle entstand eine Architekturkopie des Pantheons in Rom. Das in den folgenden Jahren entstandene, aus drei Figuren bestehende Gnadenbild hat sich aus den alten Deesis (demütige Bitte)-Bildern entwickelt.2 Maria erscheint als inständig Bittende und hätte dem Hilfe-Gedanken weit besser entsprochen als die liebliche Maria Cranachs. Der Verbindung des Maria-Hilf-Titels mit Lepanto war man sich auf dem Lechfeld bewusst, indem man auf einem Stich 1618 unter das Gnadenbild den Beginn der Antiphon „Sancta Maria succurre miseris“ setzte.3
Die Mirakel-Situation in St. Jakob in Innsbruck unterscheidet sich praktisch und inhaltlich von anderen Wallfahrtsorten. Gesammelt wurden die von den Votanten und den Votantinnen in Ich-Form geschriebenen und unveränderten Berichte, sie heißen oft auch „Bekennschreiben“, weil Not und erfahrene Hilfen von Betroffenen erzählt und ohne Korrekturen und Veränderungen belassen werden. Dadurch erhöht sich ihre Authentizität. Es wurden dann jeweils 100 Bekennschreiben zu einer Centurie zusammengebunden, 30 Centurienbände haben sich erhalten. Durch Verluste sind aber nicht 3000 Bekennschreiben geblieben, sondern nur noch 2837. Sie erfassen die Jahre von 1662 bis 1724 (137–141).
Für die Edition (345–612) wählte Aurelia Benedikt 300 Berichte aus den handschriftlichen Centurien und 70 aus dem gedruckten Mirakelbuch von 1723 aus. Darunter befinden sich auch zwei lateinische und drei italienische Berichte. Das sind lediglich 13 % der Gesamtmenge. Auswahlkriterien verrät die Autorin nicht. Jeder Bericht wird fachgerecht transkribiert und gegebenenfalls, insbesondere wenn zu den Personen Weiteres bekannt ist, in Anmerkungen ergänzt. Am Ende der Transkription erfolgt in der heutigen Schreibweise eine Erläuterung des Anliegens. Über der Transkription steht (wie in den Diplomata-Bänden der Monumenta Germaniae Historica) ein ausführliches Regest. Hätte man den Gesamtbestand in der gleichen Weise vorgestellt, wäre der Umfang auf das acht- bis neunfache gewachsen und hätte damit wohl die Finanzierungsmöglichkeiten gesprengt. In Bayern geht man in den letzten Jahrzehnten, zuletzt durch die Eichstätter Dissertation von Alexandra Kohlberger und mein Bändchen über die Mirakel aus dem Landkreis Augsburg beim Wunderbarlichen Gut,4 einen anderen Weg: Erfassen aller Mirakel durch echte Kurzregesten mit den Eckdaten Jahreszahl, Person samt Beruf beziehungsweise Stand, Herkunftsort, Anliegen, „Opfer“, Wallfahrtsort und gegebenenfalls in den einzelnen Kapiteln der Auswertung längere Textpassagen aus den entsprechenden Mirakeln.
Neben der öfteren Bezeichnung der Mirakel als „Bekennschriften“ und deren Fassung in der Ich-Form spielt der Hinweis auf erfüllte Gebetshinweise eine große Rolle. Sie gehen auf den Jesuiten Wilhelm von Gumpenberg zurück, der in St. Jakob predigte (119–122). Der hatte am 25. März 1662 eine neuntägige private Andacht an neun Samstagen angeordnet, die dem Maria-Hilf-Bild zu Ehren an die Schwangerschaft Marias erinnern sollte (124–130).
Anmerkungen
1 Walter Hartinger: Mariahilf-Verehrung. In: Marienlexikon IV (1992), S. 300–301; Walter Pötzl: Loreto. Madonna und Heiliges Haus. Die Wallfahrt auf dem Kobel (Beiträge zur Heimatkunde des Landkreises Augsburg 15). Augsburg 2000, S. 76 – 91.
2 Thomas von Bogyay: Deesis. In: Lexikon der christlichen Ikonographie 1 (1994), Sp. 494–499.
3 Walter Pötzl: Kirchengeschichte und Volksfrömmigkeit (Der Landkreis Augsburg 5). Augsburg 1994, S. 139–142; Alexandra Kohlberger: Maria Hilf auf dem Lechfeld. 400 Jahre Wallfahrt (Beiträge zur Heimatkunde des Landkreises Augsburg 18). Augsburg 2003. Oft entschieden praktische, nicht ideologische Gründe: Eine Kopie eines relativ kleinen gemalten Bildes war allemal günstiger als die Fertigung eines Gnadenbildes aus drei Figuren.
4 Kohlberger (wie Anm. 3); Walter Pötzl: Schreckliche Unfälle und furchtbare Krankheiten. Wie unsere Vorfahren Hilfe beim Wunderbarlichen Gut in Heilig Kreuz in Augsburg fanden. Augsburg 2019.