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Marita A. Panzer

Adele Spitzeder. Schauspielerin, Bankgründerin und Betrügerin

(kleine bayerische biografien), Regensburg 2023, Friedrich Pustet, 123 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Sarah Baum
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 10.09.2024

Dass auch auf rund 120 Seiten ein ganzes Leben – mit all seinen Höhen und Tiefen – beschrieben werden kann, beweist Marita A. Panzers Biografie der Adele Spitzeder, „Schauspielerin, Bankgründerin und Betrügerin“ in aller Deutlichkeit. Den tragischen Höhepunkt des Lebens Spitzeders bildete der Betrugs- und Finanzskandal rund um ihre ‚Dachauer Bank‘, dessen Dimensionen es Marita A. Panzer vollends abzubilden gelingt.

Die Historikerin Marita A. Panzer beleuchtet in einer Vielzahl an Veröffentlichungen die weibliche Seite der Geschichte: Herrscherinnen, Schriftstellerinnen, religiöse Frauen. Frauen demnach, die Geschichte schrieben. Geschichte zu schreiben, gilt gemeinhin als Verdienst und positiv besetztes Resümee über ein Leben, und dass es doch in einigen Fällen nur bedingt ein Verdienst ist, verdeutlicht dasjenige Adele Spitzeders. In diesem Sinne führt Panzer mit ihrer ‚kleinen bayerischen Biografie‘ das zu Ende, was sie in ‚Bavarias Töchter‘ bereits skizziert hat: das Porträt einer Frau, die (Skandal-) Geschichte geschrieben hat.

Der biografischen Darstellung folgend beginnt Panzer mit Adele Spitzeders Kindheit und Jugend in Wien und München. Als 1832 geborene Tochter des Künstlerehepaars Betty Vio und Josef Spitzeder war der Glanz von Musik, Schauspielerei und Theater allgegenwärtig. Die Ehe als versorgende Institution ablehnend, forcierte Spitzeder mithilfe von Gesangs- und Schauspielunterricht ihr Schauspielerinnendasein, zunächst an der Hofbühne in Coburg, später in Frankfurt am Main oder Nürnberg. Deutlich zeichnet nunmehr Marita A. Panzer die beständige Suche der minder talentierten Spitzeder nach Engagements und Anstellungen an Theaterhäusern nach und schließt die Irrungen mit der Feststellung: „Adele verlor alles […]. Ihre elfjährige Karriere als Schauspielerin war damit im Jahr 1868 zu Ende.“(S. 21)

Was jedoch Adele Spitzeder von ihrem Leben als Schauspielerin blieb, waren zum einen Schulden und ein ihrem Auskommen unangepasster Lebensstil. In Konsequenz forderten Geldverleiher immer höhere Zinsen oder die Beteiligung an Nebengeschäften von ihr – für Adele Spitzeder nicht tragbar. Geld für ihre Liebhaberinnen, Kost und Logis benötigte sie dennoch und so machte sie sich nun das zu Nutze, was ihr nach dem Karriereende ebenfalls blieb: ihr selbstsicheres Auftreten. Geschickt inszeniert erlangte Spitzeder dadurch das Vertrauen der Bewohner in der Münchner Vorstadt Au, die, so schreibt Panzer ausgehend von Spitzeders Memoiren, „soviel persönliches Vertrauen zu mir faßten, ohne jedwede Sicherheit oder Deckung Geld darzuleihen“ (S. 31). Aus einem gutgläubigen Zimmermannsehepaar und dessen Bekannten wurden bis zur Beendigung ihrer Geschäfte rund 30.000 Geldeinleger, zumeist aus den unteren Gesellschaftsschichten.

Mit dem Versprechen, das geliehene Geld hoch zu verzinsen, nur um mit dem Geld anderer Anleger diese Zinsen auszubezahlen, baute Adele Spitzeder ein Schneeballsystem auf, das bis dato seinesgleichen suchte. Dass Spitzeder trotz fehlender Sicherheiten diese Vielzahl an Menschen um ihr mühsam erspartes Vermögen brachte, ist auf vielerlei zurückzuführen: Gutgläubigkeit oder Naivität, Unwissenheit oder Vertrauen, Geldgier oder den „Wunsch nach einem Geldregen ohne Arbeit“ (S. 112). Erzählungen über die Motive einzelner Geschädigter hält Marita A. Panzer knapp, was jedoch nicht die von ihr beschriebene Dramatik und Verzweiflung einzelner Einzahler schmälert.

Was Marita A. Panzer vielmehr fokussiert, ist das Changieren Adele Spitzeders zwischen Taten für das Volk und solchen mit dem Geld des Volkes zu ihrem eigenen Vorteil. So kaufte sie mehrere Wohnhäuser und Gutshöfe in München und Umgebung, wie die Villa Rosa in Feldafing oder das Gut „zum Gypsbauern“ in Wolfratshausen. Neben Schmuckstücken und weiterem kostspieligen Inventar besaß Adele Spitzeder mehrere Zeitungen und gründete am Ende gar ihr eigenes Organ, das „Münchner Tagblatt“. Obgleich sie diese Zahlungen mit dem ihr geliehenen Geld tätigte, gab sie sich auch wohltätig. Die Errichtung ihrer „Münchner Volksküche“ am Platzl erfolgte am 25. September 1872, einem Werk in Anlehnung an eine Suppenküche mit Frühstück, Mittag- und Voressen sowie einem günstigen Bierpreis. Mehr noch spendete sie kontinuierlich an soziale Einrichtungen oder unterstützte mit dem Geld der Bank in Not geratene Personen ihrer Wahl. Adele Spitzeder fühlte sich nicht nur als Wohltäterin, sondern sie stand auf diese Weise auch in der Gunst potenzieller Geldanleger. In ihrem Auftreten gab sie sich volksnah und gewann hierdurch das Vertrauen der Menschen – immerzu in Wechselwirkung zur angespannten finanziellen Situation ihrer Kunden. Sah sich Adele Spitzeder in Konsequenz als „eine äußerst generöse Natur“ (S. 55) und „Beschützerin der arbeitenden Classen“ (S. 54), so betrachteten zeitgenössische Kritiker ihr Tun als „zielgerichtete Propaganda zur Stilisierung ihrer Person als große Wohltäterin und zur Förderung ihres Bankgeschäfts“ (S. 53). Dass die Wahrheit wohl dazwischen liegt und immerzu auch eine Frage der Perspektive darstellt, illustriert Marita A. Panzer gefällig. Letzten Endes bleibt wohl doch nur das wiederzugeben, was Betty Vio über ihre Tochter zu sagen vermochte: „Ein gutes Herz hat meine Adelheid, sie hat nur den einen Fehler, daß sie kein Geld in der Tasche behalten kann.“ (S. 57)

Ungeachtet ihrer Wohltaten regten sich seit geraumer Zeit in Politik und Innenministerium wie in der Presse kritische Stimmen, die Adele Spitzeders Bankgeschäften Schwindel und Betrug vorwarfen. Neben diversen Medienberichten seit 1870, wie in den „Münchner Neuesten Nachrichten“, die darüber berichteten, dass sie und ihre Geschäftspartnerin „den Leuten […] das Geld aus der Tasche zu holen suchten“ (S. 41), warnte auch das Staatsministerium vor der Dachauer Bank – zunächst erfolglos. So vergingen zwei weitere erfolgreiche Jahre, die erst 1872 mit dem Bankrott der Dachauer Bank ihr Ende fanden. Im Herbst 1872 warnte das Innenministerium eindrücklich vor der Dachauer Bank, die Münchner Polizeidirektion schloss sich dem an und Gerüchte, dass Auszahlungen nicht mehr getätigt würden, führten zu deren Ende. Mit der Aussage, „am 12. November 1872 trat die Katastrophe ein, mein Unternehmen stürzte zusammen oder besser gesagt – es wurde gestürzt“ (S. 75-76), beschreibt Adele Spitzeder den Ansturm zahlreicher Geldeinleger sowie das Eingreifen der Behörden. Die Gerichtskommission und ein Konkursverwalter versuchten, erschwert durch die fehlenden Bücher und nicht gewissenhaft geführten Unterlagen, sich einen Überblick über Vermögen, aktive Posten und Verbindlichkeiten der Spitzederʼschen Bank zu verschaffen – eine Versteigerung der Güter besiegelte das Ende der florierenden Geschäfte.

Adele Spitzeder wurde „zur Last gelegt, dass sie es unterlassen habe, als Kauffrau ordnungsgemäß Bücher nach Artikel 28 des Handelsgesetzbuches zu führen“ (S. 87), was wiederum die „Anschuldigung des Verbrechens des betrügerischen Bankerotts“ (S. 87) zur Konsequenz hatte. Dezidiert beschreibt nun Marita A. Panzer, ausgehend von Gerichtsunterlagen und Presseberichten, die vor dem Schwurgericht verhandelten Vergehen der Angeklagten – vom überbordenden Lebensstil der gescheiterten Schauspielerin bis hin zur Verschleppung von Geldern. Begleitet wurde der siebentägige Gerichtsprozess von einer „veritablen Presseschlacht“ (S. 98), gesellschaftlichen Debatten und antisemitischen Äußerungen. Am Ende wurde Adele Spitzeder schuldig gesprochen – drei Jahre Zuchthaus als Konsequenz für den Wunsch nach schnellem Geld. Nach ihrem durchaus angenehmen Haftaufenthalt drohte ihr aufgrund erneuter Bankgeschäfte wiederholt die Inhaftierung – einem Mentalitätswandel gleich, widmete sie sich in den letzten Lebensjahren wieder der Schauspielerei auf kleineren Bühnen. Weitestgehend verarmt starb sie im Oktober 1895 in München, wo sie anonym auf dem Alten Südlichen Friedhof beigesetzt wurde. So blieb Adele Spitzeder vom früheren Ansehen und Geld kaum etwas – ein Lebensende, ganz ohne Glanz.

Mit zahlreichen Illustrationen, zeitgenössischem Quellenmaterial und historischen Kontextualisierungen unter besonderer Berücksichtigung der Welt des Geldes, des historischen Banken- und Finanzwesens, gelingt es Marita A. Panzer, das bewegte Leben der Münchner Schauspielerin Adele Spitzeder differenziert darzustellen, um in einer ‚kleinen bayerischen Biografie‘ von einer Frau zu erzählen, die Geschichte geschrieben hat – Geschichte, die zwar skandalös, unehrenhaft und juristisch wie moralisch verwerflich ist, aber von Panzer glänzend erzählt wird.