Aktuelle Rezensionen
Andreas Deutsch (Hg.)
Stadtrechte und Stadtrechtsreformationen
Schriftenreihe des Deutschen Rechtswörterbuches (Akademiekonferenzen 32), Heidelberg 2021, Winter, 681 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Rezensiert von Hans-Joachim Hecker
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 18.09.2024
Der Band geht auf eine vom Herausgeber konzipierte interdisziplinäre Tagung der Forschungsstelle „Deutsches Rechtswörterbuch“ der Heidelberger Akademie der Wissenschaften vom Frühjahr 2019 zurück. Er bietet ein breites Spektrum zu einem bekannten stadtrechtsgeschichtlichen Themenkomplex, der aber, wie der Band zeigt, noch längst nicht erschöpfend behandelt ist.
Sachkundig und sehr differenziert führt der Herausgeber Andreas Deutsch im einleitenden Aufsatz (S. 11–130) in die Forschungsproblematik ein. Dabei geht er auch auf die Nürnberger Verhältnisse der ältesten Stadtrechtsreformation von 1479 bis zur Revision des Stadtrechts von 1564 ausführlich ein (S. 39–52), was das Fehlen des einen der beiden auf der Tagung gehaltenen Referate über Nürnberg kompensiert. Im Anschluss bringt Gerhard Köbler einen Überblick über Stadtrechtsentwicklungen (S. 131–158).
Die ersten Beiträge behandeln mittelalterliche Entwicklungen. Den Beginn macht Gerhard Dilcher mit grundsätzlichen Erwägungen über die italienischen Kommunalstatuten des Mittelalters und führt dabei die Problematik der Legitimation einzelner Statuten und der Statutargesetzgebung als Ganzes vor Augen (S. 159–208). Weiter behandeln Arend Mihm das Kölner Stadtrecht von 1437 (S. 209–252), Bernd Kannowski das Magdeburger Weichbildrecht (S. 253–264), Katalin Gönczi (S. 265–276) städtische Rechtsaufzeichnungen im mittelalterlichen Ungarn und Dieter Pötschke Halberstadt und Goslar (S. 277–289).
Die Motivationen für eine Stadtrechtsreformation waren unterschiedlich. Generell zeigen die Beiträge, dass es durchaus situationsbedingte Gründe waren. In Nürnberg galt es, sich frei von der kirchlichen Gerichtsbarkeit zu machen. Die Amberger Rechtsentwicklung führt uns der durch seine Editionen bestens ausgewiesene ehemalige Amberger Stadtarchivar Johannes Laschinger vor (S. 443–474). Genese, Quellen und Überlieferungen des Amberger Gesatzbuches von 1554 werden dem Leser anschaulich geschildert und in den rechts- und verfassungsgeschichtlichen Kontext, z.B. beim Verhältnis zum Landes- und Stadtherrn, eingeordnet. In Amberg war eine 1553 vorgenommene Klärung der Zuständigkeiten zwischen dem städtischen Rat und dem kurfürstlichen Landrichter der Abfassung des Gesatzbuches vorausgegangen. Die Übernahme des römischen Rechts war bei den Stadtrechtsreformationen nicht unbedingt intendiert, ergab sich aber schon daraus, dass für deren Abfassung gelehrte Juristen, die im römischen Recht ausgebildet waren, beauftragt wurden. Der überregional bekannteste dürfte Ulrich Zasius gewesen sein, der das Freiburger Stadtrecht von 1520 verfasste, vorgestellt von Wendt Nassall (S. 399–422). In Worms war der Rückgriff auf das römische Recht notwendig, um den im kanonischen Recht ausgebildeten Juristen des Hochstifts entgegentreten zu können, wie J. Friedrich Battenberg darlegt (S. 333–356). Anja Amend-Traut zeigt, dass in Frankfurt am Main die Notwendigkeit bestand, dass die Bedürfnisse der Messe- und Handelsstadt in den Stadtrechtsreformationen von 1509 und 1578 berücksichtigt werden mussten (S. 475–518). Stark auf Außenwirkung ausgerichtet waren die Beweggründe, wenn die Stadt Oberhoffunktion hatte, so dass es nützlich war, für diese Aufgabe eine systematisch geordnete Rechtsaufzeichnung parat zu haben. Am Beispiel Wimpfens führt Klaus-Peter Schroeder dies aus (S. 423–442). In Duisburg kam es 1517 zu einem Stadtrecht, das, wie Heike Hawicks (S. 357–398) zeigt, zur Befriedung nach Unruhen geboten war, aber die Rechte des Stadtherren beachtete. Hawicks problematisiert, wie auch Deutsch in seinem Einleitungsaufsatz generell, die Begriffe wie etwa Stadtrecht, Stadtrechtsreformation oder Kodifikation, was ebenfalls Sonja Breustedt für ihr Untersuchungsgebiet des Hanseraums thematisiert (S. 571–592).
Von Vorteil ist es, dass der interdisziplinäre Ansatz sich nicht nur auf Rechts-, Allgemein- und Landeshistoriker sowie Archivare bezieht, sondern dass auch Sprachwissenschaftler beitragen. So kommt Manshu Ide (S. 319–332) bei der Neuen Reformation der Stadt Nürnberg von 1484 zu dem Ergebnis, dass hier mit einer Betonung des Nominalstils eine Modernität zum Ausdruck kommt, die einer geforderten leichteren Verständlichkeit geschuldet war.
Nicht alle Planungen für eine Stadtrechtsreformation führten zum Erfolg, manchmal sah man zudem anscheinend keinen Bedarf. Christoph Becker zeigt dies an den Verhältnissen der Reichsstadt Augsburg mit den halbamtlichen oder gar rein privaten Aufzeichnungen städtischer Juristen (S. 593–623). Den Blick nach Prag richtet Petr Kreuz, der für das Stadtgesetzbuch von 1579 bisher angenommene Nürnberger Einflüsse ablehnt und Brünner sowie Brünn-Iglauer Recht als bestimmenden Faktor ansieht (S. 519–569). Auch für die süddeutschen Verhältnisse interessant ist der Beitrag von Stephan Dusil über die Leuvener Costuymen von 1622 (S. 625–655). Diese kamen auf Grund einer von Kaiser Karl V. 1531 erlassenen Anweisung an alle Städte seiner Niederlande zustande, mit der Karl V. eine Rechtsvereinheitlichung und zugleich die Überführung städtischen Rechts in Gesetze des Herrschers in Angriff nehmen wollte. In der Anweisung Karls V. könnte man durchaus ein Vorbild für die von ihm vorgenommenen Eingriffe in die Verfassung der oberdeutschen Reichsstädte im Jahr 1548 sehen. Hinzuweisen ist noch besonders auf den Forschungsbericht von Almuth Bedenbender (S. 291–317). Im Rahmen des am Deutschen Rechtswörterbuch entstandenen Projekts „DRQEdit – Deutschsprachige Rechtsquellen in digitaler Edition“ sollen Abhängigkeiten durch eine systematische Erfassung von Textübernahmen festgestellt werden. So lässt sich der Einfluss der Nürnberger Reformation von 1497 auf die Wormser von 1498 genauer bestimmen und umgekehrt auch Übernahmen von Worms in der Nürnberger Reformation von 1503. Im Gesatzbuch von Amberg von 1554 finden sich Übernahmen aus den im selben Jahr veröffentlichten Institutiones des bayerischen Hofrats Andreas Perneder.
Ein Stichwort-, Personen- und Sachverzeichnis erleichtern die Benutzung des Bandes. Insgesamt ist festzustellen, dass der Tagungsband einen wesentlichen Fortschritt für die stadtrechtsgeschichtliche Forschung bringt. Es bleibt zu hoffen, dass der wissenschaftliche Ertrag der interdisziplinär angelegten Monographie ebenfalls interdisziplinär, also von allen historischen Disziplinen und nicht nur von der Rechtsgeschichte rezipiert wird.