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Dennis Eckhardt

Woran arbeiten wir? E-Commerce-Plattformen ethnografisch verstehen

(Arbeit und Alltag 24), Frankfurt am Main 2023, Campus, 285 Seiten, ISBN 978-3-593-51678-3


Rezensiert von Carlotta Stimpfle
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 23.09.2024

In der aktuellen Ära des digitalen Kapitalismus, in der Plattformen eine dominierende Rolle in der Wirtschaft spielen, bietet Dennis Eckhardt mit seiner in der Reihe „Arbeit und Alltag“ erschienenen überarbeiteten Dissertation einen Beitrag zur arbeitskulturellen Auseinandersetzung von Vergleichsplattformen. Dieser Sektor, obwohl von zentraler Bedeutung für E-Commerce, blieb in der kulturwissenschaftlichen Forschung bisher weitgehend unerforscht. Der Ethnologe knüpft an die wissenschaftlichen Diskussionen über Plattformen an und positioniert seine Arbeit im Schnittpunkt von Theorien wie dem „Plattformkapitalismus“ (28) von Nick Srnicek aber auch dem plattformbasierten Arbeiten (36) und dem Begriff „Plattformökonomien“ nach Stephan Kirchner (45). Dabei betont er die Unterschiede von Vergleichsplattformen im Verhältnis zu anderen digitalen Arbeitsumgebungen. Er argumentiert, dass „die Arbeitsverhältnisse in meinem Feld der Vergleichsplattform wenig problematisch erscheinen: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nicht wie Clickworkerinnen und Clickworker in einer prekären Position“ (16). Dies bietet Eckhardt den Fokus auf die Plattformmitarbeitenden und den gesonderten Status der Vergleichsplattformen, die im E-Commerce-Markt Vermittlung produzierten. Die Arbeit von Eckhardt gibt einen Einblick in die Welt der Vergleichsplattformen, wobei er sich vor allem auf die Arbeit in und an einer Plattform fokussiert (16).

Im Rahmen seiner Dissertation bewegte sich der Forscher von Juni bis Dezember 2019 in der Vergleichsplattform und konnte neben informellen Gesprächen, Shadowings in Teammeetings, Gespräche mit 62 Feldteilnehmenden führen, die die Grundlage der empirischen Analyse bilden. In seinem ersten Kapitel, das einen theoretischen Überblick über den Forschungsstand gibt, hebt er zunächst den Plattformkapitalismus hervor: Er zitiert unter anderem Shoshana Zuboffs Überlegungen des „Überwachungskapitalismus“ (31) und Geoffrey G. Parkers Ansätze der „Plattformrevolution“ (32). Darauf aufbauend befasst sich der theoretische Überblick mit dem Feld der „Platform Labour“, wobei Eckhardt beschreibt, wie Arbeit in Cloud-Arbeit ausgelagert oder durch Microtasks mit einem Stücklohn versehen wird (36). Weiterhin geht der Ethnologe auf „Plattformökonomien“ ein und hebt die Idee der „market devices“ von Michel Callon hervor. Er diskutiert damit auch die Ambivalenz innerhalb von Plattformökonomien und die Bedeutung von „Platform Studies“ und „Platform Boundary Resources“, die sich etwa auch durch die „Umsonst-Ökonomie“ nach Manfred Seifert (48) oder den Verweis auf „Platform Studies“ und „Platform Boundary Resources“ (52) äußert. Damit problematisiert Eckhardt Lücken in der bisherigen Forschung, in der die Vermittlung aber auch konkret, wie Plattformen Vermittlerinnen und Infrastrukturen werden, eher über die Verfasstheit der Arbeit beschrieben wird (45). Eine wichtige Unterscheidung wird zwischen den englischen Begriffen „Labour“ und „Work“ gemacht, wobei „Labour“ die Bedeutung der Arbeitsverfassung betont und „Work“ die epistemischen Praktiken in wirtschaftlichen Feldern untersucht, ohne notwendigerweise die Arbeit selbst zu fokussieren (55). Die Perspektiven lassen erkennen, wie die Arbeit zur Gestaltung und Entwicklung von Plattformen, Subjekten und Infrastrukturen beiträgt (56).

Im zweiten Kapitel umreißt Eckhardt sein eigenes Forschungsfeld, in dem er seine methodische Herangehensweise, die Unternehmensethnografie, vorstellt. Er betont die Bedeutung des ethnografischen Schreibens als Erkenntnismethode und wie er versucht, E-Commerce-, Plattform- und IT-Wissen in einen geistes- und kulturwissenschaftlichen Text zu übersetzen (93).

Das dritte Kapitel stellt das Herzstück seiner empirischen Forschung in der VP dar; folgend wird Vergleichsplattform außerhalb von Zitaten, wie in der Monografie auch, als VP bezeichnet. Zuerst erfolgt eine detaillierte Beschreibung der verschiedenen Produktbereiche der VP, von den „Product Ownern“ bis zu den Online-Shopst. Der Ethnologe stellt fest, dass eine mögliche Subjektivierung oder Identifizierung mit dem Unternehmen von den Mitarbeitenden ad hoc selbst befüllt wird. Dies wird durch „Agile Coaches“ im Unternehmen, die „paraethnografische Züge“ (110) annehmen, noch verstärkt. Die Mitarbeitenden der VP agieren daher mit einer hohen Selbstreflexion, etwa über den eigenen Auftrag gegenüber anderen VPs oder betreffend ihre eigene CO2-Bilanz. Er erkennt, dass die VP nicht als Arbeitgeberin sondern als Projekt wahrgenommen wird, mit einer Aufgabe und Mission, die für die Mitarbeitenden identitätsstiftend wird (107). Eckhardt konstatiert, dass sich hier „Unternehmenswerte mit den biografischen Erfahrungen treffen“, also eine Art der Subjektivierung durch Werte stattfindet (115). Er geht in der Folge besonders auf die biografischen Erfahrungen ein (129), wobei besonders die Berufsvergangenheit der Plattformmitarbeitenden relevant wird, die erklärt, warum Mitarbeitende bei der VP arbeiten oder arbeiten wollen. Aus seinen Interviews folgert er, dass Mitarbeitende gerne dort arbeiten, da die VP als eine echte Alternative zu anderen Arbeitgebenden empfunden werde und „die Mitarbeitenden als wertvolle Mitarbeitende, indem sie fähig sind‚ Google, Amazon und Co.‘ herauszufordern, wie auch das Unternehmen selbst als wertvolle Arbeitgeberin“ herausgestellt werden (124). Diese wechselseitige Subjektivierung wird auch durch die „Feedback Culture“ ergänzt, da Mitarbeitende konsensorientiert aber auch unter Effizienzdruck an sich und der Plattform arbeiten (130).

Im Weiteren geht Eckhardt auf den Begriff der Produktivkraft nach Marx ein und betont die Bedeutung von „produktionsermöglichenden Infrastrukturen“. Er diskutiert, wie Unternehmen versuchen, den Preis der Ware trotz geringen Werts künstlich hochzuhalten (156‒157). Im siebten Kapitel führt er in die Standardisierung, Klassifizierung und Infrastrukturierung von Cookies, die auf technischen Arrangements und Produktivkraftinfrastrukturen basieren, ein. Durch die DSGVO dürfen keine natürlichen Personen ausgelesen werden, wodurch an dieser Stelle Cookies relevant werden. Eckhardt beschreibt Cookies als das „technisch-epistemische Bindeglied zwischen ‚wer klickt‘ und ‚was geklickt wird‘“ (175). Er reflektiert die Begeisterung der Mitarbeitenden für das Projekt, da sie auch selbst über die Effizienz der programmierten Werbekampagnen reflektieren und kommunizieren. Eckhardt betont, dass Infrastrukturen als relationale Strukturen zu verstehen sind. Er zitiert Thomas Beauvisage und Kevin Mellet, die Cookies als Infrastrukturen beschreiben, die „first party data into assets“ verwandeln (187). Das Kapitel beleuchtet damit auch die finanzökonomische Ebene, in der nicht in einem Finanzmarkt, sondern in die Infrastrukturierung von Userinnen und Usern und Waren durch Cookies investiert wird.

Im Zentrum des achten Kapitels, das auch einen Ausblick darstellt, stehen das E-Commerce und die Userinnen und User: Der Forscher stellt fest, dass der E-Commerce-Markt nicht mit Einzelnen, sondern mit vielfach skalier- und aggregierbaren Userinnen und Usern (190) rechnet. Er hebt hervor, dass Userinnen und User keine generische Form von menschlichen Akteurinnen und Akteuren sind, die sich online bewegen. „Sie sind über Cookies spezifisch hergestellte ökonomische Metriken und Klassifikationen, die skalier- und aggregierbar sind.“ (199)

Im finalen Kapitel reflektiert und folgert Eckhardt die Bedeutung von Plattformen im Kontext der digitalen Transformation und wie sie die Arbeitswelt sowie die Gesellschaft beeinflussen. Er betont die Notwendigkeit, die Rolle von Plattformen in Bezug auf Arbeitsverhältnisse, Geschäftsmodelle und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft zu verstehen.

Eckhardts Arbeit bietet einen tiefen Einblick in die Welt der Vergleichsplattformen und die damit verbundenen Arbeitskulturen. Die Arbeit stellt zweifellos eine Ergänzung zum wissenschaftlichen Diskurs über Plattformökonomien dar, da er eine Lücke in der Forschung füllt, indem er Innenansichten aus dem Arbeitsalltag von Plattformmitarbeitenden bietet sowie spezifisch auf den Vermittlungsaspekt der Vergleichsplattformen fokussiert. Damit wird ein Umfeld von New Work deutlich, das in seiner Komplexität selbst durch die strukturierte Herangehensweise von Eckhardt an vielen Stellen noch undurchsichtig erscheint. Wie an und in der Plattform gearbeitet wird, kann wohl am besten mit der „Verbetrieblichung des Lebens“ (vgl. Günter G. Voß u. Hans J. Pongratz: Der Arbeitskraftunternehmer, 1998; Pongratz u. Voß: Arbeitskraftunternehmer, 2003) beschrieben werden, wobei der Identifikationsfaktor und gleichzeitig die eigene Selbstoptimierung für das Unternehmen herausgestellt werden. Dabei wird die Titelfrage „Woran arbeiten wir?“ durch einen theoretischen Diskurs der Europäischen Ethnologie weitergeführt und ergänzt. Das Resümee, diese Arbeit als „die ganz normale digitale und plattformkapitalistische Moderne“ (253) zu bezeichnen, erscheint im Kontext der aufgeworfenen fachlichen Einordnungen und des gesammelten Materials im ersten Moment als beinahe unbefriedigend. Eckhardt stellt durch seinen Fokus auf die Plattformmitarbeitenden jedoch vor allem heraus, dass auch im E-Commerce Bedürfnisse von Menschen digitalisiert werden. Er selbst plädiert für weitere Untersuchungen, die sich dem Thema der Ausbeutung von Mitarbeitenden mehr widmen, indem er etwa fordert, nach „Grenzpraktiken“, dem „Ziehen und Verlagern von technischen und sozialen Grenzen zu fragen“ (258). Die Dissertation bietet damit eine wertvolle Ergänzung der Forschung über digitale Arbeitswelten, die zunächst wenig prekarisiert wahrgenommen werden, durch die wechselseitige Subjektivierung des Unternehmens und der Plattformmitarbeitenden aber zu neuen Herausforderungen führen, die es im Sinne der Arbeitskulturforschung auch hinsichtlich der damit verbundenen Lebenswelten zu erforschen heißt.