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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Tobias Appl/Florian Schwemin (Hg.)

Historische Kleidung und erneuerte Tracht. Die Trachtensammlung der Kultur- und Heimatpflege des Bezirks Oberpfalz

(MOVAS Mitteilungen aus dem Oberpfälzer Volksmusikarchiv und den Sammlungen der Kultur- und Heimatpflege des Bezirks Oberpfalz 2), Regensburg 2022, Bezirk Oberpfalz, Kultur- und Heimatpflege, 308 Seiten mit Abbildung


Rezensiert von Alexander Karl Wandinger
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 25.09.2024

Eine Textil- und Accessoires-Sammlung in Verbindung mit dem Thema „Tracht“ vorzustellen ist eine delikate Angelegenheit. Der Begriff unterliegt einem stetigen Bedeutungswandel und ist durchaus umstritten. Einigkeit lässt sich vielleicht noch mit folgender Definition erzielen: Tracht ist Mode aus einer bestimmten Zeit und sozialen Schicht, die regionaltypische Entwicklungen durchlaufen hat, in stetigem Wandel begriffen war und manchmal noch ist. Darüber hinaus wird es schwierig den Terminus zu definieren, weil Tracht ein Konstrukt ist, das mit vielfältigen und teils widersprüchlichen Vorstellungen und Emotionen assoziiert wird. Die Herausgeber bemühen sich dementsprechend nicht um Deutungshoheit, was denn Tracht sei, sondern bescheiden sich im Vorwort vor allem darauf die Hintergründe und Geschichte der Sammlung darzustellen. „Der Terminus Tracht ist nicht als Absolute zu verstehen, sondern als Zuschreibung, als Bedeutung, welche den einzelnen Kleidungsstücken zu einem bestimmten Zeitpunkt von einem bestimmten Akteur oder einer bestimmten Gruppe beigemessen wurde.“ (10)

Die Publikation besteht aus zwei Teilen: einem Katalog mit kurzen Zwischentexten zur Trachtensammlung der Kultur- und Heimatpflege des Bezirks Oberpfalz und zwei wissenschaftlichen Beiträgen. Es liegt ein Repetitorium vor, das sehr pragmatisch einen Sammlungsbestand offenbart. Im Katalogteil findet sich eine Abfolge von Abbildungen, die den Charakter einer fotografischen Ersterfassung hat. Das ist legitim und sicher auch der schieren Masse an Objekten geschuldet, die in Gruppen geordnet sind. Eingestreut sind Texte, die zwar einzelnen Gruppen wie „Schürzen, Taschen, Accessoires“ (28) oder „Oberteile, Jacken, Spenzer, Blusen“ (97) zugeordnet sind, aber nicht dezidiert auf die Objekte eingehen. Vielmehr wird Wissenswertes wie zum Beispiel zur „Kleidung in der populären Musik“ (28) vermittelt. Wenn Florian Schwemin allerdings schreibt: „Aus dem Jahr 1886 haben wir für den Zwiefachen ‚Seiders Fiarta‘“ folgenden Beleg: „’s Deandl hat a seidas Fürta um, na, na, seides is es net; Bei da Mitt mueß ma’s nehma, Na thöut ma’s scho kenna, Ob’s a seides is oda nit“, und dann ausführt: „bezeichnenderweise steht bei dem Lied die Materialität im Vordergrund“ (28), dann wirkt diese Erklärung etwas oberflächlich. In dem Vers geht es in erster Linie um eine erotische Anspielung und nicht um das Material einer Schürze. Der gleiche Eindruck entsteht, wenn Rebecca Koller unter der Rubrik „Oberteile, Jacken, Spenzer, Blusen“ Informatives zu den als Störschneiderinnen bezeichneten Näherinnen schreibt (97). Hier hätte im gesamten Katalogteil eine klare Bezugnahme auf die abgebildeten Objekte gutgetan und eine klare Trennung zu den unbedingt lesenswerten Texten mit Wissenswertem zur Tracht und Schneiderei. Die Abfolge der Exponate ist – obwohl klar in Gruppen aufgeteilt – in sich nicht chronologisch oder in anderer Weise geordnet. Die wilde Mischung entspricht vielleicht der Heterogenität der Sammlung. Dass unter Frauentextilien in der Rubrik Accessoires auch Männerhalstücher verortet werden (62–65), zeigt einmal mehr, wieviel Arbeit noch in der Erfassung und Einordnung der Sammlungsstücke steckt. Das verbindet die Oberpfälzer Kultur- und Heimatpflege mit vielen anderen bestandsbildenden Einrichtungen und soll nicht als Kritik verstanden werden. In Zukunft werden die digitale Sichtbarmachung und die Vernetzung von Sammlungen eine entscheidende Rolle spielen, um Erkenntnisse gemeinsam zu teilen. Der vorliegende Katalog ist ein Meilenstein auf diesem Weg.

Dem Katalog folgen zwei Aufsätze von Melanie Burgemeister und Anna Häckl-König. Burgemeister beschreibt die Kleidung in der Oberpfalz „im Spannungsfeld der Vorstellungen“ (257). Neben dem Zeichensystem von Kleidung und der Entschlüsselung von Dresscodes geht sie auf die ländliche Kleidung der Oberpfalz ganz allgemein ein (260). Darauf folgt die analytische Beschreibung der Kleidung einer einzelnen Frau und Betrachtungen zur Mode um 1900. Häckl-König wiederum widmet sich der Trachtenerneuerung, erläutert die Spezifik der Tracht und geht auf einen entscheidenden und durchaus schillernden Akteur der Trachtenerneuerung in der Oberpfalz ein: Adolph Eichenseer (1934–2015), der als Bezirksheimatpfleger die Trachtenlandschaft in der Oberpfalz maßgeblich und nachhaltig geprägt hat. Die Hintergründe der Trachtenerneuerung der Miesbergler Trachten, respektive der Schwarzenfelser Trachtenbewegung sind schon deshalb lesenswert, weil vereinsspezifische Erneuerungen von Tracht selten beschrieben sind.