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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Michaela Eigmüller/Christine Müller Horn (Hg.)

Kempten-Museum im Zumsteinhaus

(Kataloge und Schriften der Museen der Stadt Kempten (Allgäu) 31) Regensburg 2023, Pustet, 336 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-7917-3428-6


Rezensiert von Wolfgang Brückner
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 27.09.2024

Das Impressum nennt Projektleitung: Dr. Christine Müller Horn [Museumsdirektorin] sowie „Konzeption und Text: Michaela Eigmüller M.A.“

Wenn der nordbayerische Rezensent, der seit Jahren im Museumswesen als Akteur und Beobachter engagiert ist, den Ortsnamen Kempten hört, dann verbindet er damit zunächst das einstige „Alpinmuseum“ (1991–2021). Es hatte der damalige Generaldirektor des Bayerischen Nationalmuseums Lenz Kriss-Rettenbeck als Zweigmuseum der Münchner Zentrale entworfen und später während seines Ruhestands von Kochel aus dessen Realisation zu einem ganz persönlichen Projekt gemacht. Das Motto lautete: „Die Alpen als Lebens- und Erlebnisraum“, denn er war ein begeisterter Kletterer, Skifahrer und Wanderer mit einer spezifischen Philosophie von Welt- und Lebensbetrachtung. Leider versäumte er eine Verschriftlichung seiner Ideen und konzipierte auch kein Begleitbuch. Nun ist alles längst abgebaut und vergessen.

Der vorliegende Band nennt sich ein „Handbuch“, das mehr sein möchte als nur ein Museumskatalog, es will „mit seiner reichen Bilderfülle und detaillierten Einblicken auch einen Beitrag zur Kulturgeschichte der Stadt Kempten leisten“. Das scheint mir vorzüglich gelungen durch die Heranziehung kompetenter Fachleute und eines exzellenten Layouts.

Landesgeschichtlich gut informierte Benutzerkreise finden die historischen Probleme der einstigen Doppelsiedlung aus Evangelischer Reichstadt und Katholischem Fürststift (vereint 1818) in allen nur erdenkbaren Einzelheiten der konkreten Besonderungen wieder. Die „Vorzeit“ aus römischen Tagen und benediktinischer Christianisierung spiegelt sich heute im gepflegten musealen Bewusstsein vor Ort wider, gerade weil die „Allgäu-Metropole“ Industriestandort und Kulturmittelpunkt samt Bildungseinrichtungen ist. Sie nennt sich „älteste Stadt Deutschlands“ wegen literarischer Zitierung einer entfernteren Siedlung im Jahre 18 nach Christus (polis) bei Strabo, später in römischer Zeit „Cambodunum“ geheißen.

Die Informationen beginnen mit dem zum Museum gewordenen Zumsteinhaus: Herkunft, Umbauten, Einrichtung, Ausstellungskonzept. Dann folgen die Kapitel „Kempten in Raum und Zeit“ mit evangelisch-lutherischer Stadtpfarrkirche St. Mang, Prunk-Räumen der Residenz und Stadtansichten, eine historische Zeitschiene von 15 vor Christus bis 2017 auf mehreren Seiten. Schließlich folgt ein Kapitel über die „Zumstein, eine Einwandererfamilie“ und eines „Bei den Zumstein“ über das Handelshaus, den Geschäftsbereich Textilien, deren Lagerbestand optisch als „Relikte“ im Haus.

Unter dem Titel „Macht und Ohnmacht – Wer hat das Sagen in der Stadt?“ folgt die Geschichte von Rom bis Rathaus über viele Seiten, die Stiftsgeschichte geht dann über in Strafgerichtbarkeit bis zum Außenlager des KZ Dachau in sehr vielen Zeichnungen eines Häftlings 1944/45 (98–105), einschließlich von Fotos aus der NS-Zeit.

Damit läßt sich zur Hexenverfolgung übergehen: „Die Dienstmagd und der Teufel“ (116–120). Es folgt der „Stadtraum“ mit Modellbeschreibung, frühen Ansichten, illustrierten Flugblättern mit Vogelflug-Ortsdarstellungen des 16. und 17. Jahrhunderts bis zum Handwerker Wanderbrief mit Kupferstichprospekt und schließlich den modernen „Gesichtern“ der Stadt in guten und schlechten Zeiten (122–137). Das Phänomen der „Doppelstadt“ erhält eine ausführliche Darstellung mit entsprechendem Bildmaterial (138–141), desgleichen wird die „Einheit“ ab 1818 untersucht (142–145). Diese Informationen enden mit der Vorführung eines neuen Stadtmodells als modernem Medium (146–149), gefolgt von Bildberichten über „Abriss und Neubau in Kemptens Altstadt“ zwischen 1958 und 1970 (150–155).

Das Kapitel „Produktion“ berichtet über die Industrie vor Ort, von der Milchverarbeitung, Färberei, Weberei, Spinnerei, von Papiermühle und Fabriken, von Handwerken wie Buchbinderei (156–179). Das Kapitel „Glauben“ berichtet über Religion seit der Römerzeit, die Katholizität des fürstlichen Stifts und die Reformationsgeschichte der Reichsstadt (180–203). Die folgenden sechs ganzseitigen Farbfotos unter dem Titel „Unterwegs sein“ dienen der Meditation, dann folgt „Neue Heimat Kempten“ zu Emigration und Flüchtlingen während aller Zeiten (210–217). Daran schließt das Kapitel „Verkehr“ (218–223) an, unter „Sich treffen“ werden originelle Punkte und Leute in der Stadt gezeigt. Das tut auch „Markt“ (230–239). „Rom an der Iller“ handelt vom antiken „Cambodunum“ (240–243), es folgt eine Selbstdarstellung des Museums, für das Bürgerbeteiligung ein Leitgedanke ist, und weitere Kapitel über „Wohnen“, „Funde aus dem Mühlberg-Ensemble in Kempten“ und „Freizeit“, dort ein Überblick zu Gastronomie und Tanzvergnügen, abschließend unter dem Titel „Gesundheit“ geht es über Apotheken und Bader.

Bunter kann es nicht sein. Die Stadt Kempten hat sich mit diesem Katalog ein wunderbares Geschenk gemacht und nennt ihn daher „Handbuch“. Gratulation an alle Beteiligten.