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Ricarda Höffler

Das Bild des Altars in deutschen illustrierten Flugblättern. Eine Untersuchung zu Bilderstreit und Bildtheologie im 16. und 17. Jahrhundert

(Geistliche Intermedialität in der frühen Neuzeit 1), Regensburg 2022, Schnell und Steiner, 448 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-7954-3724-4


Rezensiert von Wolfgang Brückner
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 27.09.2024

Es liegt eine kunsthistorische Dissertation der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Hamburg im WS 2020/21 vor, im gebundenen Din-A 4-Format, 1,5 Kilo schwer, gewichtig auch im Wortsinn, gefördert von der DFG. Wie haben wir das vorliegende Werk einzuordnen? Inhaltlich würden die Fachvertreter rätseln: aus der Werkstatt des Münchner Germanisten Wolfgang Harms oder des Marburger germanistischen Kulturhistorikers Jörg Jochen Berns oder gar meiner Würzburger Schule, deren Hauptwerke das Literaturverzeichnis zieren. Aus meinem Umkreis fehlt allein die wichtige Magisterarbeit von Judith Orschler aus dem Jahre 1996: Protestantische Lehr- und Erbauungsgraphik. Perspektiven der Erforschung konfessioneller Bilderwelten. Veröffentlicht in zwei Teilen im Jahrbuch für Volkskunde NF 20 (1997), S. 211–244 und 22 (1999), S. 203–240. Das soll der einzige Nachtrag bleiben, denn natürlich kann jeder von uns hie und da Ergänzungen anbieten, doch das darf nicht Sinn der Rezension eines fulminanten Werkes sein. Es gilt seine Besonderheiten und Leistungen zu würdigen.

Die Untersuchung beginnt mit Luthers Text aus dem Jahre 1522 zu den Bildern (WA 10/II, S. 33, 18–28) und optisch mit Darstellungen des „Pie Jesu“ in der Gregoriusmesse und Cranachs Reformationsaltar von 1547 in Wittenberg, wie er heute wieder aufgestellt ist nach den Abräumungen der Aufklärungsepoche. Die drei Hauptteile sind überschrieben mit 1. „Ein Perspektivwechsel“, 2. „Ringen um die Tradition“ und 3. „Triumph über die Tradition“. Das Buch beginnt mit dem innerprotestantischen Bilderstreit der „verfolgten Götzen und Tempelpilder“ (46) sowie dem „Perspektivische[n] Sehen und de[m] Gott jenseits der Mauer“ (65), vor allem am Beispiel der Augsburger Druckgraphik. Im zweiten Teil folgt „Der Spiegel des Antichrists (nach 1608)“ (217), Diskussionen über den Flügelaltar und die allgemeine „Reformation der Tradition um 1600“ (302). Im dritten Teil werden die Veränderungen des 17. Jahrhunderts weitergeführt mit dem „Gnadenstuhl als Ort der Präsenz: zwischen Wort und Sakrament“ (318), den fränkischen „Bekenntnisbildern“ (348) sowie der „Lutherischen Deutungshoheit“ (367).

Das im Zusammenhang eines Forschungsprojektes zusammengetragene Bildmaterial ist überwältigend, die Beweisführung konzentriert und vorbildlich belegt, aber natürlich aus der Perspektive und den Erwartungshaltungen des eigenen Spezialfaches Kunstgeschichte tüchtig eingefärbt. Hierfür darf ich als Beispiel die langen Ausführungen zu dem Augsburger Künstler Daniel Hopfer (ca. 1471–1536) und der Fuggerkapelle in St. Anna erwähnen. Sie sind zugleich ein Schwerpunkt des gesamten Werkes und wirken wie eine Dissertation in der Dissertation.

Zum besseren Verständnis für akademische Laien einige Hinweise zu St. Anna, der einstigen Karmelitenkirche, in der die reichen Fugger in vorreformatorischer Zeit zwischen 1509 und 1512 einen Annex als Mausoleum für die Familie anlegten, das auch nach 1548, dem Übertritt der Gemeinde zum Luthertum, katholischer Kultplatz blieb und eigentlich auf Dauer durch ein Gitter abgetrennt werden sollte, wie das andernorts bei Simultaneen, zum Beispiel in Bautzen durch eine Mauer vor dem katholischen Chor, geschah.

Hier können im Fach-Jargon auf hoher Warte die Spezialprobleme disputiert werden. Es entstehen Kapitel-Schlagworte wie „Bilder, die sich selbst in Frage stellen“ (174). Dabei wird viel Reformationstheologie in das imaginierte „Sehen“ der seinerzeitigen Betrachter geheimnist, was dann „Macht des Bildes“ heißt (176). Der Künstler Daniel Hopfer sei sich seiner „Sonderstellung des Sehens“ vollkommen „bewusst“ gewesen. Es ist von einer „Bestätigung der Potenz des Bildes“ die Rede.

Die Zielrichtung von Erkenntnis läßt sich an der Erfindung von spezieller Terminologie erkennen. Eine ähnliche „Jagd nach dem Unsichtbaren“ von „Transzendenz“ beschreibt die bildtheologische Forschung eines Autors wie Eckhard Nordhofen als „Medienrevolution“ durch „Medienkonkurrenz“ (vgl. die Rezension in BJV 2023, S. 299). Dort stößt man auf eine andere Begrifflichkeit zu Phänomenen des Monotheismus und der Entstehung von Idolatrie und Grapholatrie zu Kultbild und Kultschrift, „Präfigurationen“ und „Alteritätsmarkierungen“, unter anderem durch „Vorenthaltungen“. Auch „Der Maler als Exeget“. Verehren und Verstehen konkurrieren. „Betrachten heißt mitspielen“, „Simultaneität von Illusion und Intelligenz“, „Der Markt kapert die Kunst“.

Wir Spezialisten lesen die Texte von Kolleginnen und Kollegen als Gebrauchsanweisungen. Die Zielsetzung von Erkenntnis läßt sich am Erfinden und Gebrauch von Terminologien zeigen. Die wissenschaftlichen Disziplinen sind hermetische Diskussionsräume.

Kulturhistoriker interessiert hier unter anderem der Disput zum „Gnadenstuhl in lutherischen Kirchen“, weil wir durch Hans Dünninger (Jahrbuch für Volkskunde NF 10 [1987], S. 135-150) wissen, dass dieser Sitz des unsichtbaren Gottes im Zelt und Tempel der Israeliten in der christlichen Ikonographie zum Thron Mariens mutiert ist und daher für die Ecclesia eingenommen werden konnte. Man vergleiche dazu in der Gegenreformation ein Nebenaltarblatt der Jesuitenkirche St. Michael in München aus der Zeit um 1600. Genau diesen Zeitraum visiert nun Ricarda Höffler an (348–390) und zwar am Beispiel der fränkischen Bekenntnisbilder der Augustana, in Nürnberg natürlich der „invariata“.

Ricarda Höffler erörtert in theologischer Versiertheit die in ihrem Sinne lesbaren Raumstrukturen. Dabei bezieht sie sich in positiver Auseinandersetzung und Weiterführung auf die Tübinger Dissertation von Susanne Wegmann: „Der sichtbare Glaube“ (2016). Sie führt für das fortschreitende 17. Jahrhundert den bekannten Nürnberger Antistes (Hauptpastor) Johannes Saubert und seine Gemälde-Postille von 1652 an (262–263). Man kennt ihn als Emblem-Prediger, der dem Hörreich das Sehreich gleichwertig gegenüberstellte. Unsere Autorin nimmt einen Unterschied von „materiellem und ‚gepredigtem‘, i.e. ‚vor Augen gemaltem‘ Bild“ an. Sie unterscheidet davon „imago viva“, nämlich ein „lebendiges Bild“ von Personendarstellungen in den Bekenntnisbildern, zum Beispiel die Eheschließungswiedergaben, die sie als Verweis auf die Ebenbildlichkeit des Schöpfungsberichtes in Gen. 1,27 bezieht. Mich erinnert das an die sinnenhafte „Veranschaulichung des Ortes“ in den „exercitia spiritualia“ des Ignatius von Loyola, die er aus älteren Traditionen der „devotio moderna“ kannte. Kurz gesagt: Es lässt sich wechselseitig nur dazulernen. Dass dann schließlich der „Künstler als Prediger“ aufscheint, weil „fides ex visu“, korreliert mit den oben zitierten Thesen von Nordhofen in einem ganz anderen Disput von Bildtheologen.

Andererseits zum Beispiel wollte einst mit vielen Fragen ein Berliner Humboldtforum antworten: „Eingreifen und Begreifen. Handhabungen und Visualisierungen in Flugblättern der Frühen Neuzeit“ (Jörn Münkner, 2008). Da scheint mir – mit Verlaub zu sagen – bloßes Blabla vorgesehen gewesen zu sein. Auch das Hamburger Projekt ist davor nicht gefeit. Doch dort baut man zugleich (oder noch und schon wieder) auf Grundlagenforschung und vermag dadurch allgemeinere Welterkenntnis zu leisten. Die Hauptfrage lautet: Wie kann es geschehen, dass innerhalb der lutherisch-protestantischen Orthodoxie des konfessionellen Zeitalters „Glaube durch Sehen“ möglich war? Der Versuch hat sich offensichtliche gelohnt, auch wenn das monumentale Werk vielleicht nur eine sehr gute Fundgrube für ein neues Betrachten bleiben sollte.