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Anthony R. Rowley

Boarisch, Boirisch, Bairisch: eine Sprachgeschichte

Regensburg 2023, Verlag Friedrich Pustet, 269 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-7917-3437-8


Rezensiert von Hubert Klausmann
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 27.09.2024

Eine Sprachgeschichte des Bairischen zu schreiben, ist ein mutiges Unterfangen, denn schließlich umfasst dieser Dialektraum ein riesiges Gebiet, das in seiner Nord-Süd-Ausdehnung südlich einer ungefähren Linie Nürnberg-Bayreuth beginnt und bis nach Südtirol reicht, wozu dann auch noch bairische Sprachinseln hinzukommen. Und die West-Ost-Ausdehnung ist ebenfalls enorm, denn hier erstreckt sich dieser Dialektraum von Augsburg, das gerade noch zum schwäbischen Sprachraum gehört, bis östlich von Wien. So ist es vernünftig, wenn sich Anthony R. Rowley in seiner Sprachgeschichte auf Altbayern konzentrieren möchte, was immer noch ein sehr großer Raum ist. Von Vorteil ist hier aber, dass sich der Verfasser über drei Jahrzehnte hinweg mit diesem Dialektraum beschäftigt hat, denn genau über einen solchen Zeitraum leitete Anthony Rowley die Redaktion des Bayerischen Wörterbuchs an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München.

Die Grundlage für dieses Werk bilden Vorlesungen, die Rowley an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität hielt. Damit zusammen hängt eindeutig der erzählende Charakter dieser Sprachgeschichte. Es ist also keine Aneinanderreihung von verschiedenen Paragrafen, in denen die lautlichen oder grammatikalischen Veränderungen des bairischen Dialekts aufgelistet werden. Stattdessen geht der Verfasser durch die Jahrhunderte und bietet Quellen an, an denen man die jeweilige Entwicklung des Bairischen erkennen kann.

Einem kurzen Abriss über die Kelten, Römer und Germanen (Kapitel 1) folgen Kapitel über die Anfänge des Bairischen mit den Titeln „Die Bayern betreten die Bühne“ (Kapitel 2), „Erste schriftliche Indizien für die Volkssprache“ (Kapitel 3) und „Die frühe Überlieferung“ (Kapitel 4). Was die frühe Phase der Sprachgeschichte betrifft, so folgt Rowley der gängigen Theorie, dass es eine westgermanische Einwanderung gegeben haben muss, die so bedeutend war, dass eine „Restbevölkerung“ von Romanen und Ostgermanen leicht assimiliert werden konnte. Dies habe aber nicht das Ende des Lateins bedeutet, denn es sei noch weitere 500 Jahre die einzige Schriftsprache geblieben. Aus der Gruppe der wenigen Reliktwörter aus der romanischen Zeit nennt der Verfasser Wörter wie „Gelte“ („Eimer“) oder „Gunkelstube“ („Rockenstube“). Die entscheidende sprachliche Entwicklung dieser frühen Phase ist die sogenannte zweite Lautverschiebung, durch die sich die mittel- und oberdeutschen Dialekte vom übrigen germanischen Sprachraum loslösten. Gegensätze wie „slapen-schlafen“, „maken-machen“, „Appel-Apfel“ und „Pund-Pfund“ aus Abb. 5 machen deutlich, dass der gesamte bairische und auch der alemannische Sprachraum zum oberdeutschen Gebiet gehören, wo diese Verschiebung zwischen dem 6. und 8. Jahrhundert vollständig umgesetzt wurde. Eine Besonderheit des Bairischen sind die sogenannten Kennwörter, die Eberhard Kranzmayer zusammengestellt hat. Rowley widmet ihnen ein eigenes Unterkapitel und teilt sie – Kranzmayer (1897–1975) folgend – in drei Gruppen ein: (1) Reliktwörter, die sich am Rande der Germania erhalten haben, so zum Beispiel „enk“ „euch“, (2) Ostgermanische Lehnwörter aus der Völkerwanderungszeit wie „Dult“, „Maut“, „Ertag“ und „Pfinztag“ und (3) bairische Neuerungen nach der althochdeutschen Zeit, wozu ein Wort wie „Rauchfang“ gehört.

Rowley weist darauf hin, dass deutsche Texte aus dem 6. und 7. Jahrhundert nicht erhalten sind, geschrieben wurde lateinisch. Erst im 8. Jahrhundert können wir dank der nun aufkommenden Glossen deutsche Wörter erfassen. Ihre Entstehung verdanken wir der Tatsache, dass die Mönche in den Klöstern Latein lernen mussten und um dieses Ziel zu erreichen, hat man neben der lateinischen die deutsche Bezeichnung notiert. Diesen Glossen folgten alsbald dann auch Texte in althochdeutscher Schriftsprache. Es ist charakteristisch für Rowleys Vorgehensweise, dass er seine Sprachgeschichte – wo immer es geht – mit Auszügen aus wichtigen Texten der jeweiligen Zeit illustriert. Aus dem 9./10. Jahrhundert sind es das „Wessobrunner Gebet“, ein Auszug aus „Muspilli“, einem Stabreimgedicht, ein „Hundesegen“ und das „Freisinger Paternoster“. Ausführlich diskutiert der Verfasser am Ende des vierten Kapitels das Alter der sogenannten „gestürzten Diphthonge“, die im Nordbairischen bei mhd. ie, uo, üe eingetreten sind. Man sagt dort im Dialekt zum Beispiel nicht „Kua“ (mhd. „kuo“), sondern „Kou“.

In Kapitel 5 wird der Übergang zum Mittelhochdeutschen thematisiert. Es ist die Zeit des Landausbaus: „Der große Reichswald, der Altbayern und Franken trennt, wurde gerodet und aufgesiedelt“ (101), es entstehen weltliche Schulen und am Hof fing man jetzt an zu schreiben und zwar nicht in Latein, sondern in Deutsch. Große Epen wie die „Kaiserchronik“, das „Rolandslied“ und das „Nibelungenlied“ entstehen nun. Auch für diese Zeit stellt Rowley wieder die wichtigsten lautlichen Veränderungen wie die Abschwächung schwachtoniger Silben (aus ahd. „namo“ wird mhd. „name“ „Name“) oder die Auslautverhärtung (aus ahd. „diob“ „Dieb“ wird mhd. „diep“) zusammen und weist diese in Textauszügen aus dieser Zeit nach. So wird Sprachgeschichte lebendig.

„Beginn der Neuzeit“ lautet die Überschrift von Kapitel 6 und Rowley zeigt gleich am Anfang auf, dass jetzt in der Überlieferung eine ganz neue Epoche beginnt: „Nach 1300 erleben wir eine Explosion der Menge der überlieferten Schriften, Zeichen einer gewandelten Wertschätzung von alltäglichen geschriebenen Dokumenten. Rechtshandlungen, Urkunden, Verträge, Protokolle werden vorwiegend auf Deutsch abgefasst“ (113). Die Verbreitung von Papier und die Entwicklung der Druckpresse durch Gutenberg haben – so der Verfasser – maßgeblich zu einer größeren Produktion von Texten beigetragen. Die Verbreitung der Lesebrille unterstützte das Lesen zudem. Zu den größten Veränderungen zwischen dem Mittelhochdeutschen und dem Neuhochdeutschen gehören die Monophthongierung der Diphthonge mhd. ie, uo, üe, die Diphthongierung von mhd. î, û, iu und die Dehnung in offener Silbe. Bei allen drei Veränderungen zeigt der Verfasser, ob und inwiefern sie auch im Bairischen eine Rolle spielen. Rowley diskutiert in diesem Kapitel ferner die Frage, inwiefern uns die Mundart von Sprachinseln bei der Datierung von lautlichen Veränderungen helfen kann. Hier kann er als absoluter Kenner der zimbrischen Sprachinseln sein ganzes Wissen einbringen und mit einem Paternoster den archaischen Lautstand und Wortschatz der südlich von Südtirol gelegenen deutschsprachigen Gemeinden illustrieren. Ausführlich dargelegt werden am Ende dieses Kapitels die Beziehungen zu den Nachbarsprachen, die sich in sogenannten „Lehnwörtern“ niederschlagen. Hierbei handelt es sich um gegenseitige Beziehungen, denn wir erfahren, dass das Bairische nicht nur Wörter aus den anderen Sprachen entlehnt hat, sondern dass diese ebenfalls Wörter aus dem Bairischen übernommen haben. Interessanterweise liefern dem Bairischen nicht die direkten Nachbarsprachen wie das Italienische oder das Tschechische die meisten Lehnwörter, sondern das Französische. Nach Rowley stammen diese „aus der à-la-Mode-Zeit, als das Französische die Sprache der deutschen Aristokratie war. Sie sind nicht das Ergebnis von Entlehnungen von Volk zu Volk, keine Bauernlehnwörter wie manche der italienischen oder tschechischen Lehnwörter. Sondern sie sind das, was man früher mit dem Schlagwort ‚gesunkenes Kulturgut‘ bezeichnet hat, das heißt, Übernahmen aus der Sprache der oft einheimischen besseren Kreise am Hof“ (140). Beispiele hierfür bilden für den Verfasser Wörter wie „Chaiselongue“, „Gendarm“, „Trottoir“, „adieu“, „pardon“, „apart“, „Billett“ usw. Es sind häufig Modewörter, die auch schnell wieder verschwinden können, was Rowley am Beispiel von „adieu“ ausführlich darlegt. Dieser Abschiedsgruß war – so der Verfasser – bis zum Ersten Weltkrieg in Bayern allgemein üblich. Danach sei in München aber eine antifranzösische Stimmung aufgekommen, „die auch zu einer gewissen Ablehnung des Französischen führte, und dieser Abschiedsgruß wurde vollständig abgelegt. Zum Teil ist er durch das aus der österreichischen und ungarischen Militärsprache stammende Servus ersetzt“ worden (146).

In Kapitel 7 („Die Zeit der Donauschreibsprache“) widmet sich Anthony Rowley zunächst Texten, die Aussagen zu den Dialekten machen. Hier ist vor allem der Münchner Hofhistoriograf Johannes Turmair alias Aventinus (1427–1534) zu nennen, der, wie der Verfasser mit Textausschnitten aus dessen „Bayerischer Chronik“ belegt, direkte Hinweise auf den gesprochenen Dialekt gibt. Mit weiteren Textauszügen etwa aus ländlichen Rechtsquellen, die Rechte und Pflichten einer Gemeinde festhalten („Ehaftrechte“) und aus Aussagen von Angeklagten in Strafverfahren („Urgichten“) wird der Sprachzustand des 16. Jahrhunderts anschaulich illustriert. Am Ende des Kapitels steht eine Zusammenstellung der Sprachentwicklungen im Bereich der Flexion, die für die heutigen Dialekte charakteristisch sind.

Mit dem „Übergang zur heutigen Schriftsprache“ (Kapitel 8) sind wir im 18. Jahrhundert angelangt. Im Zentrum des Kapitels steht die Entstehung der Schriftsprache. War das Ostoberdeutsche im 17. Jahrhundert noch eine Prestigevariante, so setzt sich nun die vorwiegend vom Ostmitteldeutschen beeinflusste Schriftsprache immer mehr durch, wofür sich vor allem Johann Christoph Gottsched (1700–1766) massiv einsetzte. Dass man im oberdeutschen Sprachraum diese Entwicklung nicht kampflos hinnahm, zeigt Rowley wieder anhand einzelner Textauszüge. Geradezu modern klingt hierbei das Plädoyer Carl Friedrich Aichingers (1717–1782), eines Geistlichen aus Sulzbach, den Rowley zitiert: „In welchen Sachen die Provinzen Teutschlandes zu sehr getheilt sind, muß man jeder ihre Freiheit lassen, so lang nicht aus der Etymologie oder Analogie erwiesen werden kann, welche Art die beste sey. Und die meisten Ungleichheiten finden sich in der Declination und dem genere nominum. Eine einzelne Provinz aber kann die andere nicht commandieren: und ein Grammaticus darf den Teutschen miteinander nicht zumuthen, nach seinem Gutdünken etwas anzunehmen, dass aller Gewohnheit zuwider ist“ (189–190). Hier spricht sich Aichinger deutlich für die Existenz von sprachlicher Variation aus, eine Betrachtungsweise von Sprache, gegen die es bis heute Widerstand gibt. Als mit Max III. Joseph (1727–1777) ein Anhänger Gottscheds an die Macht kam, war nach Rowley der Sieg der ostmitteldeutschen Schreibvariante besiegelt. Er weist noch darauf hin, dass kurz darauf, im Jahr 1759, in München die Akademie der Wissenschaften gegründet wurde. Dort ist heute der Sitz des „Bayerischen Wörterbuchs“ und mit einem Abschnitt über den Gründer dieses Wörterbuchs, Johann Andreas Schmeller (1785–1852), ist Rowley am Ende dieses Kapitels im 19. Jahrhundert angekommen.

Im letzten Kapitel der Sprachgeschichte, die dem 20. und 21. Jahrhundert gewidmet ist, geht es einerseits um die Entwicklung einer regionalen Standardsprache, andererseits um die Dialekte und ihre Beziehung zur Standardsprache. Zunächst macht Rowley darauf aufmerksam, dass das sogenannte Zäpfchen-R und der dunkle å-Laut in Wörtern wie „Affe“, „Sache“ oder „Adler“ ebenso typische Besonderheiten des Bairischen sind wie im Wortschatz Wörter wie „Bub“, „heuer“ oder „Stadel“, wobei die Verbreitung dieser Wörter oft weit über den bairischen Dialektraum hinausgeht. Außerdem „gibt es schriftsprachliche Benennungen für Sachen, die aus Bayern stammen oder vorwiegend in Bayern anzutreffen sind: Bockbier, Leberkäse, Weißwurst, Krachlederne. Das Panaschieren bei den Wahlen, die Schulaufgabe, die ehemalige Vizinalbahn, das sind ebenfalls lokale Spezifika, die durch bayerische Gesetze und Verordnungen eingeführt und in Bayern üblich sind“ (210). Bleibt zum Schluss noch die Frage, wie es um die Zukunft der Dialekte bestellt ist. Nach einer kritischen Betrachtung von Umfragen, wo in Deutschland noch am meisten Dialekt gesprochen wird und welcher Dialekt der beliebteste ist, beantwortet Rowley die Frage nach der Zukunft der Dialekte durchaus positiv. Bayernweit kann er keinen dramatischen Rückgang des Dialektsprechens sehen, gleichwohl sei ein Umbau der Dialekte in Regionalsprachen deutlich zu erkennen. Diese Regionalsprachen – so Rowley weiter – seien aber in ländlichen Regionen so dialektnah, dass sie selbst als Dialekt empfunden werden. Neuere Untersuchungen zu Dialektkenntnissen in Kindergärten von Bayerisch-Schwaben und in den ersten beiden Grundschulklassen in Baden-Württemberg1 schränken meiner Meinung nach diesen Optimismus allerdings ein. Beide haben nämlich gezeigt, dass lediglich in Regionen mit starken Identifikationsmöglichkeiten und mit einer großen Entfernung zu den Ballungszentren – Allgäu und Ries wären hier in Bayerisch-Schwaben als Idealfall zu nennen – der Dialekt noch weitergegeben wird. Was den Schutz der Dialekte anbelangt, so weist zum Schluss auch Rowley darauf hin, dass alle Dialekte Deutschlands durch das Grundgesetz in Artikel 3, Absatz 3 geschützt sind. Dort heißt es nämlich: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft…benachteiligt oder bevorzugt werden“ (247).

In seinem Vorwort schreibt Anthony Rowley, dass er sich bei seiner Sprachgeschichte auf das altbayerische Gebiet konzentrieren möchte. Dennoch wirft er immer wieder auch einen Blick über diese Grenze, was vieles verständlicher macht. Entsprechend umfassen auch die Karten unterschiedliche Räume. Auf manchen Karten ist der ganze deutsche Sprachraum abgebildet (Beispiel: Abb. 35), auf anderen nur ein Kleinraum, um eine besondere Lautgrenze genau zu dokumentieren (Beispiel: Abb. 29), auf einer dritten Kartengruppe sind bestimmte Verhältnisse nur in Bayern abgebildet. Zu dieser letzten Gruppe gehört Abb. 13, die die Dialekteinteilung in Bayern zeigt. Hier hätte man allerdings auf der Karte auch noch die Fortsetzung der einzelnen Dialektgebiete jenseits der bayerischen Landesgrenze eintragen können, was deutlich gemacht hätte, dass die einzelnen Dialekträume an der Landesgrenze nicht haltmachen.

In seinem Vorwort schreibt Anthony Rowley, dass es sein Ziel ist, „die Sprachgeschichte Bayerns an Hand von typischen Texten vorzustellen und daran das Charakteristische für die verschiedenen Epochen“ (10) aufzuzeigen. Dieses Ziel hat er voll und ganz erreicht und da sich das Buch auch noch angenehm liest, sind ihm viele Leserinnen und Leser zu wünschen.

 

 


1 Siehe Werner König, Christian Pfeifer u. Peter Maitz: Dialekt im Kindergarten. Ergebnisse einer Fragebogenerhebung in Bayerisch-Schwaben. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 86 (2019), S. 247–283 und Hubert Klausmann: Der Sprachalltag in Baden-Württemberg. Zwischen Dialekt und Standard. In: Ders. (Hg): Sprachlicher und gesellschaftlicher Wandel in Baden-Württemberg. Tübingen 2023, S.11–80.