Aktuelle Rezensionen
Karoline Mayer/Angelika Fitz/Katharina Ritter/Architekturzentrum Wien (Hg.)
Über Tourismus
Zürich 2024, Park Books, 400 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-03860-362-7
Rezensiert von Burkhart Lauterbach
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 30.09.2024
Eine gewichtige Publikation ist anzuzeigen, welche sich den Erscheinungsformen, den Inhalten sowie den Entwicklungstendenzen eines seit geraumer Zeit weltweit anzutreffenden soziokulturellen Problems widmet, nämlich dem sogenannten „Overtourism“, dem Übertourismus. Indem man im Titel des Ausstellungsbegleitbandes aus dem Wiener Architekturzentrum zwischen Präposition und eigentlichem Substantiv eine Leerstelle eingefügt hat, betont man die Herkunft des interessierenden Phänomens, die einschlägige Verwandtschaft: Übertourismus stellt eine Variante des Tourismus dar, ist aus diesem entwickelt worden – und über beide muss man insgesamt kommunizieren.
Der ausgesprochen reichhaltig ausgestattete Band zeichnet sich durch eine Vielzahl und eine Vielfalt an Gestaltungselementen aus, was den durchgängigen Einsatz von Farbfotografien, von farblich unterlegten Text- und Abbildungsseiten, Schaubildern und Statistiken betrifft, so dass man im ersten Teil, „Analysen, Szenarien und alternative Strategien in acht Kapiteln“, durchaus den Eindruck gewinnen kann, man würde sich während der Lektüre tatsächlich durch eine Ausstellung bewegen.
Im Einzelnen geht es zunächst um Mobilitäten, dazugehörige Emissionen, ein breites Spektrum an Verkehrsmitteln und Verkehrswegen sowie jeweilige Alternativen und deren Realisationschancen. Stets wird auch auf persönliche Erfahrungen eingegangen. Das zweite Kapitel setzt sich mit dem überbordenden Städtetourismus auseinander, auch mit dem ursprünglichen Übertourismus und den negativen Einflüssen auf jeweils ganze Stadtviertel (Stichworte: Digitalisierung; Nebenwohnsitze). Nach diesem Konzept geht es in weiteren (Ausstellungs- und somit Text-) Abteilungen um den ökonomischen und soziokulturellen Einfluss des Tourismus auf Dorfgemeinschaften (Negativ-Beispiel: Hallstatt im Salzkammergut). Kritische Blicke werden auf Klimawandel, Landwirtschaft, Beherbergungskategorien sowie die Inanspruchnahme von „Natur“ geworfen, wobei zwar österreichische Verhältnisse im Zentrum der Argumentation stehen, aber auch internationale Entwicklungen durchaus in den Blick geraten, so etwa solche in Portugal, Südtirol, Frankreich, Bhutan und Ecuador.
Auch der zweite Teil des Bandes, der ebenfalls acht verschiedene Texte bringt, Essays nämlich, kommt ausgesprochen vielseitig illustriert daher. Der allererste und zweifelsfrei grundlegende Text, „Urlauben und Reisen in der Beschleunigungsgesellschaft“, der aus der Feder des Altmeisters der kritischen österreichischen Kommunikations- und Kulturwissenschaft, Kurt Luger, stammt, lässt sich vertiefend in einer sehr viel ausführlicheren (Buch-)Fassung studieren.1 Die dann folgenden Aufsätze präsentieren in gleicher Weise intensive Auseinandersetzungen mit den realen und den potenziellen Akteurinnen und Akteuren, welche, ausgehend von eigenen Tourismuserfahrungen, das Ziel verfolgen, grundlegende Veränderungen in diesem menschlichen Handlungsfeld herbeizuführen, dies aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit ebenso unterschiedlichen Schwerpunkten. Da geht es am Beispiel der Lissaboner Altstadt Alfama um die Vertreibung von einheimischer Bevölkerung zum Zweck der Bereitstellung von Ferienwohnungen, auch um den Widerstand gegen diese mittlerweile weltweit gängige Praxis; es geht, eher allgemein, um die Beziehungen zwischen Architektur und Tourismus, dies unter besonderer Berücksichtigung des Werkstoffs Holz; es geht um die Erfolgsgeschichte eines einst landwirtschaftlichen Betriebs über verschiedene Zwischenstufen hin zu einem Fünf-Sterne-Luxushotel; um das Verhältnis von Raumplanung und Tourismus; schließlich um die politische Ökologie des Tourismus am Beispiel der Amerikas (Stichworte: Gewalt, Widerstand) sowie, abschließend, um jene Planungen und Aktivitäten, welche der Klimawandel zwangsläufig auf die Agenda setzt, gleich ob es sich um den Wintersport (unter besonderer Berücksichtigung des alpinen Skifahrens ), den Sommertourismus, den Städtetourismus oder den Eventtourismus handelt. Das Unterkapitel „Ausblick“ des den Essay-Teil abrundenden Textes endet dementsprechend mit einer Art Aufruf: „Dabei sollte nicht aus den Augen verloren werden, dass – werden die Klimaziele deutlich verfehlt – nicht nur die Zukunft des Tourismus, sondern viel mehr auf dem Spiel steht“ (389).
Damit keine Missverständnisse entstehen, sei abschließend bemerkt, dass der umfangreiche und abwechslungsreiche Band „Über Tourismus“ auf 400 Text- und Bildseiten in keiner Weise zur destruktiven Bewertung des beschriebenen und analysierten Phänomens Tourismus neigt. Im Gegenteil: Es geht letztlich um eine konstruktive Behandlung des Themas respektive der dazugehörigen Aktivitäten – und das ist auch gut so!