Aktuelle Rezensionen
Jana Wittenzeller/Franka Schneider (Hg.)
Läuft. Die Ausstellung zur Menstruation.
(Schriftenreihe Museum Europäischer Kulturen 26), Berlin 2023, Museum Europäischer Kulturen, 88 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-88609-888-0
Rezensiert von Anne Leupold
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 30.09.2024
Die Menstruation beeinflusst den Alltag von circa 50 Prozent der Weltbevölkerung, darunter nicht nur Frauen, sondern auch nicht-binäre Personen oder Transmänner. Ein Teil davon menstruiert aktuell, ein Teil hat menstruiert und befindet sich womöglich gerade in der Menopause und ein dritter Teil wird erst noch beginnen zu menstruieren. Dennoch bleibt das Thema öffentlich häufig tabubelastet. Diese Meinung vertreten auch die Herausgeberinnen Jana Wittenzeller (Stellvertretende Direktorin des Museum Europäischer Kulturen) und Franka Schneider (Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Kuratorin der Textil-Sammlung am Museum Europäischer Kulturen) des vorliegenden Kataloges. Sie konstatieren: „Wir alle haben gelernt, mit der Menstruation diskret umzugehen, niemanden etwas davon merken zu lassen, solange es nicht notwendig ist.“ (4) Das drücke sich auch in den vielen kaschierenden Spitznamen aus, wie etwa Erdbeerwoche, Tage, Aunt Flo oder Shark Week. Menstruierende Personen sollten zudem möglichst funktionieren, während sie menstruieren, und das Weiterreichen von Menstruationsprodukten an eine andere menstruierende Person ähnele oft einer Art illegalem Austausch, den keiner mitbekommen dürfe.
Dieser Tabuisierung wirken die Ausstellung „Läuft. Die Ausstellung zur Menstruation“ des Museum Europäischer Kulturen (Berlin, 6.10.23–6.10.24) und das Begleitbuch entgegen. Die Herausgeberinnen waren neben Sofia Botvinnik auch als Kuratorinnen an der Ausstellung beteiligt. Der Katalog, wie auch die Ausstellung selbst, reihen sich in den Trend einer zunehmenden Enttabuisierung der Menstruation ein, welche zum Beispiel an öffentlichen Diskursen über kostenfreie Menstruationsprodukte oder medizinische Aspekte, wie die Forderung nach intensiverer Forschung und Behandlungsoptionen zu/von Endometriose erkennbar ist. „[D]as Bedürfnis danach, dazu Fragen zu stellen und sich auszutauschen, ist definitiv vorhanden“ (2), schreibt Elisabeth Tietmeyer, Direktorin des Museum Europäischer Kulturen, deswegen auch in ihrem Vorwort.
Bereits die Collage aus Bildern auf dem Cover des Kataloges schafft verschiedene Assoziationen zur Menstruation und weist auf die Vielfalt an Themen und Zugängen im Katalog hin. Zu sehen ist zentral das schwarz-weiße Foto einer Frau, welches aus einer Werbung für den „Neo“ Tampon aus den 1970er Jahren stammt. Das Motiv ist umrahmt von einem Sticker mit Erdbeermotiv; einem Demonstrationsplakat mit roter Aufschrift „Ich menstruiere aufs Patriarchat“, an dem ein ebenfalls roter Tampon hängt sowie einer pinken Menstruationstasse mit zugehörigem Beutel mit dem Wortspiel „Periods are cool. Period.“. Der Katalogtitel „Läuft“ kann einerseits buchstäblich auf das monatliche „Laufen“ des Blutes beim weiblichen Zyklus hinweisen, andererseits ist der Begriff auch ein Idiom dafür, dass „alles in Ordnung ist“ und „seinen Gang geht“. Der Katalog ist visuell ansprechend gestaltet, erlaubt positive Assoziationen und trägt damit auch auf einer ästhetischen Ebene dazu bei, das Thema zu entstigmatisieren. Besonders die verwendeten unterschiedlichen Rottöne stellen wiederholte Referenzen zum Thema her.
Vier Themenbereiche gliedern den Katalog: „Unterwäsche und Menstruationsprodukte“, „Essays“, „Objektgeschichten“ und „persönliche Erfahrungen“. Exponate aus der Ausstellung dienen dabei häufig zur Illustration und Diskussion der Aussagen der Befragten und der wissenschaftlichen Essays.
In ihrem einleitenden Beitrag „Reden wir darüber! Teilen wir Erfahrungen! Machen wir neue!“ gehen die Herausgeberinnen auf eines der Ziele der Ausstellung ein: das Schaffen eines offenen Gesprächsraumes für menstruierende Personen. Sie berichten davon, wie das Gesprächsbedürfnis bei einigen Besuchern und Besucherinnen dem Anschein nach bereits bestanden hat und wie Einblicke in individuelle Alltage erst offenbaren, dass man mit bestimmten Erfahrungen nicht allein ist. Wittenzeller und Schneider halten fest, dass die Menstruation nach wie vor häufig mit Scham behaftet ist und veraltete Theorien teilweise immer noch Anklang finden. Letztlich kann so auch der Katalog zum Nachdenken anregen oder eine Grundlage für neuen Gesprächsstoff schaffen.
Im zweiten Essay „Zyklen der Veränderung: Eine Geschichte des Menstruationsaktivismus“ ordnet die norwegische Historikerin Camilla Mørk Røstvik den Aktivismus in die jeweiligen Wellen der Frauenbewegung ein. Auf vier Seiten spannt Røstvik hierbei einen Bogen von sogenannten „alten Zivilisationen“ (18) bis in die Gegenwart.
Der dritte Essay der Basler Kulturanthropologin Ulrike Langbein geht unter dem Titel „Unterwäsche und die Unterwelten der Kultur“ anekdotisch auf die Rolle der Unterwäsche in Diskursen um Würde oder Reinheit ein. Dabei finden auch Menstruationsprodukte, wie Tampons oder Binden Eingang. Das Schamgefühl im Spannungsfeld um Würde, Sauberkeit und Reinheit eröffnet so einen lukrativen Markt im Sektor der Drogeriemärkte. Illustrativ beschreibt Langbein die Regale mit den Unmengen an Optionen für die Menstruation, welche von Tampons aus Biomaterialien oder wiederverwendbaren Menstruationstassen bis zu Intimdeodorants reichen. Auf den Essay folgt die mehrseitige bebilderte Geschichte der Menstruationsprodukte von 1880 bis in die Gegenwart. Der Zeitstrahl zeigt Hemden um 1880 als Teil der alltäglichen Unterwäsche, in die menstruiert wurde, Menstruationsgürtel (circa ab 1890), Binden (ab circa 1900) oder Tampons (ab circa 1950) bis hin zur modernen Version der Periodenunterwäsche (Gegenwart) oder der Praxis des „Free bleeding“, welche heute an Zuspruch gewinnt. Die abgebildeten Exponate, Textilien und gedruckte Werbung, entstanden in Europa und den USA und stammen aus eigenen Beständen oder sind Leihgaben, etwa des Deutschen Hygiene Museums in Dresden.
Die Bremer Kulturanthropologin Katrin Amelang präsentiert in ihrem Essay „Zyklus-Apps – Datenspuren statt Blutflecken“ ihre Forschung, in der sie menstruierende Personen zu ihren Erfahrungen mit Zyklus-Trackern befragt hat. Die Interviews geben nicht nur Einblicke in die Verwendungspraktiken der Apps, sondern auch in das Wissen über den Zyklus selbst und die individuellen Erfahrungen mit der Menstruation. Amelang betont hier, dass die Apps nicht als neutrale Wissensvermittler betrachtet werden können. Die Inhalte, die sie zur Verfügung stellen, verallgemeinerten das Erleben der Menstruation, was individuelle Realitäten unsichtbar werden ließe. Sie präsentierten dies den Nutzerinnen und Nutzern jedoch als Fakten, was zu Verunsicherung oder dem Gefühl „abnormal“ zu sein, führen könne, wenn man nicht den Aussagen der Apps entspreche.
Zwischen den Essays finden Leser und Leserinnen fotografische Einblicke in die Ausstellung, kurze Anekdoten zu Menstruationsprodukten von Menstruierenden in Form von Zitaten, sogenannte Objektgeschichten zu Gegenständen der Ausstellung oder auch ein Interview mit der im Museum angestellten Martina Wartke, die historische Menstruationsunterwäsche für die Ausstellung nachgenäht hat. Ziel dieser Aktion war es, dass Besucher und Besucherinnen der Ausstellung die Lebensrealitäten von menstruierenden Personen früherer Generationen nachvollziehen können. Im Ausstellungskatalog wurde dies mit Sofia Botvinnik, einer der Kuratorinnen des Museums, umgesetzt, die die Stücke anprobiert und ihre Gedanken und Empfindungen dazu verschriftlicht hat. Auch der internationale Anspruch der Ausstellung sowie des Bandes wird erfüllt, zum einen in den diversen Exponaten aus verschiedenen Ländern und zum anderen mit einer Doppelseite, die Bezeichnungen der Menstruation in unterschiedlichen Sprachen festhält. Den Abschluss des Bandes bildet ein einschlägiges Literaturverzeichnis mit Leseempfehlungen zum Thema Menstruation.
Als Begleitbuch zur Ausstellung bietet der Katalog einen guten Einstieg in die Thematik. Dabei bleibt Schmunzeln oder Entsetzen bezüglich vergangener Umgangsformen mit der Menstruation an gewissen Stellen nicht aus. Besonders gelungen ist die Darstellung der Objektvielfalt der Ausstellung und deren Einordnung, wie auch der Abschluss des Bandes in Form der Literaturempfehlungen. Sowohl in seinen verständlich aufbereiteten Inhalten, als auch durch seine ansprechende visuelle Gestaltung empfiehlt sich der Band dabei auch für ein breites Publikum, das niedrigschwelligere Zugänge zum Thema sucht.