Aktuelle Rezensionen
Klaus Wolf (Hg.)
Die Kanzleisprache Ludwigs des Bayern im europäischen Kontext
Mit einer Ausstellung von Urkunden aus dem Staatsarchiv Augsburg (Studia Augustana 23), Berlin/Boston 2024, De Gruyter, 342 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Rezensiert von Katharina Neumeier
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 02.10.2024
2014 hat die Bayerische Landesausstellung „Ludwig der Bayer. Wir sind Kaiser!“ die Beschäftigung mit dem bislang vergleichsweise wenig beachteten Wittelsbacher angestoßen. 10 Jahre später wird mit dem vorliegenden Band erfreulicherweise die Auseinandersetzung mit dem Bayern von literatur- und sprach-, aber auch geschichtswissenschaftlicher Seite vertieft und in einen breiteren europäischen Kontext eingebettet.
Eine differenzierte Betrachtung erfährt dabei insbesondere die explosionsartige Zunahme deutschsprachiger Urkunden unter Ludwig, die in der Forschung mittlerweile als Gemeinplatz zu gelten hat. Anhand konkreter Beispiele illustriert die im Untertitel des Sammelbandes angezeigte Ausstellung von Urkunden Ludwigs aus dem Staatsarchiv Augsburg, eine gelungene Zusammenarbeit zwischen dem Archiv und Studierenden der Fächer Geschichte und Germanistik der Universität Augsburg, die Bandbreite der entsprechenden Überlieferung. Neben informativen Einleitungstexten zu den ausgewählten Urkunden bietet der Sammelband umfangreiche, nach sprachwissenschaftlichen Standards gestaltete Transkriptionen der deutschsprachigen Urkundentexte, die einerseits Einblicke in die vielfältigen Inhalte und andererseits in die sprachliche Gestaltung der Texte geben. Ergänzt werden die im Sammelband angeführten Ausstellungstexte in gewinnbringender und innovativer Weise durch Digitalisate der Urkunden auf dem Portal „bavarikon“ (https://www.bavarikon.de/urkunden-kaiser-ludwig).
Über die Ausstellung hinaus enthält der Sammelband zahlreiche sprach- und literaturwissenschaftliche Beiträge sowie einzelne Aufsätze aus der Rechts- und Geschichtswissenschaft. Diese beschäftigen sich zunächst unmittelbar mit Ludwig und den in seinem Umfeld entstandenen Schriftstücken. So nimmt Martin Kaufhold vom deutschen Doppelkönigtum mit Friedrich dem Schönen bis hin zur Hausmachtpolitik die „großen Konflikte in Ludwigs Zeit“ (S. 1) in den Blick und betont die Relevanz von Sprache für die Austragung derselben. Ausgehend von der unter Ludwig stattfindenden Etablierung literarischer Gattungen sowie der Vielzahl volkssprachiger Urkunden mit erkennbarer sprachlicher Nähe zum Neuhochdeutschen demonstriert Klaus Wolf Ludwigs Beitrag zur Literatur- und Sprachgeschichte. Damit stellt er u.a. die breit vertretene Meinung in Frage, dass die Ausbildung der neuhochdeutschen Schriftsprache mit Karl IV. ihren Anfang nimmt. Einen Vorschlag zur methodischen Analyse der Urkundensprache Ludwigs des Bayern, mit der nicht zuletzt deren genauere sprachgeographische und -periodische Verortung untersuchbar wird, unterbreitet Albrecht Greule. Christoph Becker fokussiert hingegen mit der inhaltlichen und entstehungsgeschichtlichen Beschreibung des oberbayerischen Landrechts sowie des Münchener Stadtrechts die Bedeutung Ludwigs für die Rechtsgeschichte. Auf der Grundlage ausgewählter Urkunden Ludwigs stellt Magdalena Weileder Überlegungen zu Merkmalen von Empfängerausfertigungen an und geht dabei auf Umstände ein, die eine solche Ausfertigung begünstigten. In der anschaulichen Beschreibung verschiedener, in Abbildungen beigefügter Siegel Ludwigs des Bayern von Andrea Stieldorf wird schließlich die Veränderung der Siegelgestaltung von eher traditionellen Königssiegeln hin zur innovativen Formen der Kaisersiegel nachvollziehbar.
Die übrigen Beiträge behandeln dagegen den weiteren personellen, geographischen und zeitlichen Kontext um Ludwig den Bayern. Peter Wiesinger stellt für die Urkundensprache der Herzöge Friedrichs des Schönen und Albrechts II. auf der einen Seite eine funktional geprägte Verwendung des Lateinischen und Deutschen fest und bringt auf der anderen Seite den unterschiedlichen Anteil alemannischer und bairischer Merkmale in den Urkunden mit der Herkunft der Kanzleischreiber bzw. dem Prestige des Alemannischen in Verbindung. Dem Übergang vom Lateinischen zum Französischen bzw. Deutschen und den sprachlichen Besonderheiten der deutschen Urkunden der Luxemburger ist der Beitrag von Wolfgang Haubrichs gewidmet. Jarosław Wenta gibt darüber hinaus Einblicke in die Entstehung und Überlieferung der Deutschordensstatuten und setzt sich kritisch mit ihrer Edition auseinander. Rembert Eufe beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern die Zunahme volkssprachiger Urkunden unter Ludwig mit Kontakten nach Italien oder zur Romania in Zusammenhang zu bringen ist, und macht dabei die Beobachtung, dass in den entsprechenden Kanzleien während Ludwigs Italienzug nach wie vor das Lateinische überwog. Der zeitliche und geographische Horizont wird im Beitrag von Ergün Özsoy deutlich erweitert, der die Sprache der osmanischen Kanzlei und die Urkundensprache am Sultanshof, insbesondere im 16. Jahrhundert, behandelt.
Der interdisziplinär gestaltete Sammelband richtet den Blick auf eine lange von der Sprach- und Literatur- wie auch der Geschichtswissenschaft eher stiefmütterlich behandelte Persönlichkeit. Dadurch erhalten vor allem altbekannte Forschungsschwerpunkte wie die Entstehung der neuhochdeutschen Schriftsprache wichtige neue Impulse. Gleichzeitig wirft der Band bei genauerer Betrachtung mehr Fragen auf, als er beantwortet. Dies ist jedoch nicht zwangsläufig als Manko zu verstehen, da durch die vielfältigen Beiträge zielgerichtet wesentliche Anknüpfungspunkte identifiziert und methodische Ansätze für künftige Forschungen entwickelt werden. Besonders wertvoll erscheinen in diesem Zusammenhang die den einzelnen Beiträgen sowie der Ausstellung beigefügten Transkriptionen und Editionen, machen sie doch verschiedene Texte für eingehendere Untersuchungen verfügbar. Insgesamt bleibt also zu hoffen, dass der Sammelband zu einer weiteren Beschäftigung mit Ludwig dem Bayern anregt.