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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Gabriele von Bassermann-Jordan/Waldemar Fromm/Christine Haug/Christiane Raabe (Hg.)

Jella Lepman. Journalistin, Autorin, Gründerin der Internationalen Jugendbibliothek. Eine Wiederentdeckung

(Bavaria. Münchner Schriften zur Buch- und Literaturgeschichte, Kleine Reihe 4), München 2024, Allitera, 171 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Daniel Siemens
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 06.11.2024

Die deutsch-jüdische Journalistin, Autorin und Politikerin Jella Lepman (1891-1970) kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem britischen Exil im Rang eines Majors der US-amerikanischen Streitkräfte in ihr Geburtsland zurück und wurde in den kommenden Jahren zu einer wichtigen Akteurin beim Wiederaufbau der deutschen Kultur- und Verlagslandschaft. Ihr dauerhaftes Vermächtnis war die Gründung der Internationalen Jugendbibliothek in München, die am 14. September 1949 offiziell eröffnet werden konnte. 

Der vorliegende Sammelband erinnert an diese wichtige bürgerliche Liberale und tatkräftige transatlantische Netzwerkerin, die heute ziemlich in Vergessenheit geraten ist. Lepman selbst hat sich zeitlebens mit persönlichen Auskünften zurückgehalten und zentrale Aspekte ihres Lebens in ihrem autobiographischen Buch „Die Kinderbuchbrücke“ (1964, Neuausgabe 2020) mit Schweigen übergangen. Angesichts dessen sind die Beiträge des Buches sehr willkommen. Sie widmen sich vor allem drei Bereichen: dem Leben und politischen Wirken Lepmans in den 1930er und 1940er Jahren, ihrer Arbeit als Gründerin der Internationalen Jugendbibliothek und ihren schriftstellerischen Ambitionen als Kinderbuchautorin.

Den Band eröffnet eine kenntnisreiche Einführung in Leben und Werk Lepmans, gemeinschaftlich verfasst von Waldemar Fromm, Christine Haug und Christiane Raabe. Die frühen Initiativen der Remigrantin im besetzten Nachkriegsdeutschland stehen im Mittelpunkt, vor allem die Internationale Jugendbuchausstellung (1946) im Münchner Haus der Kunst und drei Jahre später die Eröffnung der Internationalen Jugendbibliothek. Die Autoren erläutern anschaulich, welche große Bedeutung diesen Initiativen gerade für den Kinder- und Jugendbuchsektor zukam, machen aber auch deutlich, wie eng das Zeitfenster für solche Aktivitäten war. Konnte Lepman ihre Vorgesetzen bei der amerikanischen Militärregierung zunächst davon überzeugen, dass die gezielte Ansprache der Kinder und ihr Fokus auf der Vermittlung von liberaler, international gelebter Humanität ein wichtiger Aspekt der amerikanischen Re-Education-Politik sein könne, so ließ deren Interesse schon Ende der 1940er Jahre merklich nach, als die Blockbildung des sich verschärfenden Kalten Kriegs und damit ideologische Linientreue wichtiger wurde.

Welche Position Lepman im durchaus breiten Meinungsspektrum der amerikanischen Besatzer einnahm und wie sie versuchte, US-amerikanische Positionen mit ihren eigenen, liberal-bürgerlichen Prägungen aus dem Stuttgart der 1910er bis frühen 1930er Jahre zu verbinden, zeigt der spannende Aufsatz von Michael Hochgeschwender. Er nähert sich Lepman mit Respekt, aber auch kritischem Blick, und so kommen Facetten ihrer Person in den Blick, die in der mitunter tendenziell hagiographischen Literatur über Lepman eher selten zur Sprache kommen, etwa ihr traditionell bürgerliches Geschlechterbild sowie das Fehlen tiefergehender soziokultureller Analysen der Gründe für den Erfolg der NS-Bewegung. Zugleich ist auch Hochgeschwender beeindruckt davon, wie hartnäckig und unerschrocken sich Lepman für die Durchsetzung ihrer Interessen einsetzte, so dass sie auch einen so harten Verhandler wie den bayerischen Kultusminister Alois Hundhammer (CSU) von der Wichtigkeit der Internationalen Jugendbibliothek in der bayerischen Hauptstadt überzeugen konnte.

Die folgenden vier Aufsätze zeichnen wichtige Aspekte dieser besonderen Neugründung nach: Jutta Weishäupl analysiert die Gründungsphase und belegt, wie wichtig die internationale Unterstützung besonders der Rockefeller Foundation war, um ein solches Projekt angesichts der allgemeinen Knappheit in Deutschland auf den Weg zu bringen. Christiane Raabe erinnert an die drei Ausstellungen von Kinderbildern in den 1950er Jahren in der Jugendbibliothek, in denen Lepman Beiträge zu einer „übernationalen Welt“ sah und entsprechend förderte. Andreas Heusler untersucht, welche praktischen Hindernisse Lepman in München überwinden musste, um die Internationale Jugendbibliothek ins Leben zu rufen. Dass ihr dies gelang, hing neben ihren persönlichen Fähigkeiten auch damit zusammen, wie geschickt sie lokale und internationale Akteure für ihre Sache zu begeistern wusste. Anna Axtner-Borsutzky zeigt anhand des 1953 in Zürich gegründeten Internationalen Kuratoriums für das Jugendbuch, besser bekannt unter seinem englischen Namen „International Board on Books for Young People“ (IBBY), dass das zunächst auf Nachkriegsdeutschland fokussierte Engagement Lepmans weltweit Resonanz fand und bis heute nachhaltig wirkt.

Es folgen drei Untersuchungen, die die Kinderbuchautorin und Ideengeberin in den Mittelpunkt stellen. Instruktiv zum Verständnis von Lepmans Konzeption von Kinderbüchern und ihrer sozialen Funktion ist Larissa Carolin Jagdschians Analyse von Lepmans im Exil entstandenen Jugendbuch „Das Geheimnis von Kuckuckshof“ (1942), mit dem sie einerseits an die Jugendliteratur der 1920er Jahre anschloss, aber – ähnlich wie andere Exilantinnen, etwa Erika Mann – auch die Idee internationaler Zusammenarbeit propagierte. Dass Kinder verschiedener Herkünfte unvoreingenommener als die Erwachsenen zusammenleben und gemeinsam handeln können, steht als Leitgedanke ebenfalls hinter Erich Kästners „Die Konferenz der Tiere“ (1949), zu der Lepman maßgebliche Ideen beisteuerte. Diesem Thema sind gleich zwei Aufsätze gewidmet (Sven Hanuschek und Laura Mokrohs). Den Band beschließt der Abdruck einiger höflicher Briefe, die Jella Lepman und Erika Mann seit den 1950er Jahren miteinander wechselten (ediert von Gabriele von Bassermann-Jordan).

Einige Fragen bleiben offen. Nach wie vor weitgehend unklar ist, wie Lepman selbst auf ihr Leben und Wirken, aber auch auf die politische und gesellschaftliche Entwicklung in der frühen Bundesrepublik blickte. Wie viele andere Remigranten zog sie nicht dauerhaft nach Deutschland, sondern verbrachte ihren Lebensabend in der Schweiz. Sah sie selbst ihr Wirken nach 1945 als Erfolgsgeschichte? Aufs Ganze gesehen wird der Sammelband Lepmans komplexer Persönlichkeit und Lebensgeschichte gerecht; er bildet eine unverzichtbare Grundlage für weitere Forschungen und ermuntert darüber hinaus, zentralen Figuren in der Kulturpolitik der Nachkriegsjahre neue Aufmerksamkeit zu widmen.