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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Michael Krüger/Markwart Herzog (Hrsg.)

Schwimmen und Baden in Geschichte, Kultur und Gesellschaft

Ergebnisse des 10. Symposiums der Deutschen Arbeitsgemeinschaft von Sportmuseen, Sportarchiven und Sportsammlungen e.V. (DAGS) sowie der 16. Irseer sporthistorischen Konferenz vom 20. bis 22. Mai 2022 in Irsee, Hildesheim 2024, Arete, 239 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Peter Tauber
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 15.11.2024

In zehn abwechslungsreichen Beiträgen haben Markwart Herzog und Michael Krüger, beide keine Unbekannten für diejenigen, die sich für die Geschichte des Sports begeistern, neue Erkenntnisse zur Geschichte des Schwimmsports und der Badekultur zusammengetragen. Die in einem ansehnlichen Sammelband publizierten Aufsätze sind das Ergebnis einer an der Schwabenakademie Irsee durchgeführten Tagung vom Mai 2022 mit dem Titel „Von der Schwimmkunst zum Badevergnügen und Schwimmsport“.

Weitere Beiträge dieser Veranstaltung sind in der sporthistorischen Fachzeitschrift „Stadion“ veröffentlicht worden. Man kann also erwarten, dass in einer größeren Bandbreite neue Forschungsergebnisse verschiedener Provenienzen zusammenkommen, denn ausdrücklich ist nicht allein die sporthistorische Perspektive Ausgangspunkt der vorgelegten Texte. Soziologische Fragestellungen, kulturwissenschaftliche Ansätze und Aufsätze, die von der Architekturgeschichte bis hin zur Geschlechterforschung reichen, sorgen für eine abwechslungsreiche Lektüre, die den Blick weitet und am Ende für alle Leserinnen und Leser etwas bietet, die dem kühlenden Nass auch vom Liegestuhl lesend etwas abgewinnen wollen.

Und damit springt man mitten in das Thema! Schwimmen und Baden haben neben dem sportlichen Aspekt hier sowohl als Teil einer sich stetig entwickelnden Freizeit- und Unterhaltungskultur einen Platz, aber auch ganz konkret als Fragen des Arbeitsschutzes. Wasser als Element, das Erholung und Wohlbefinden stiftet, aber zugleich lebensbedrohend ist: Bevor Naturgewässer und dann vor allem künstliche angelegte nasse Tummelplätze als Orte des sportlichen Wettkampfes und der Freizeitgestaltung definiert wurden, war die Auseinandersetzung mit dem „Lebensraum“ Wasser eine konkrete Erfahrung, die von Angst und Bedrohung bis zur Faszination reichte.

In einem fünf Aufsätze umfassenden ersten Abschnitt steht genau diese Faszination des Schwimmens und Badens im Mittelpunkt. Einleitend beschreibt Fabian Brändle das Schwimmen und seine sportliche Variante in seiner gesellschaftlichen Breite, so zumindest der schon im Titel formulierte Anspruch. Brändle stellt einen Aspekt in den Mittelpunkt, der auch bei anderen Sportarten zu konstatieren ist: Das sportliche Miteinander war vor allem im 19. Jahrhundert eine Möglichkeit, gesellschaftliche Grenzen zwischen den Geschlechtern aufzubrechen oder zu umgehen. Gerade das Schwimmen und Baden waren aber ebenfalls Orte, in denen anders als sonst mögliche sexuelle Übergriffe seitens der Männer gegenüber Frauen thematisiert wurden; allerdings, um auch hier die sonst übliche Geschlechtertrennung (wieder) durchzusetzen. Während Brändle hier vor allem eine schweizerische Perspektive bemüht, weitet Anne-Kathrin Kilg-Meyer in ihrem Text über die Sportpionierin Gertrude Trudy Ederle, die 1926 als erste Frau erfolgreich den Ärmelkanal durchschwamm, den Blickwinkel. Als Sportstar war Ederle spätestens mit dieser Leistung in aller Munde und mit Recht thematisiert die Autorin die emanzipatorischen Aspekte dieses Rekords, bei dem die US-Amerikanerin mit deutschen Wurzeln zahlreiche Männer zeitlich überbot.

Die beiden folgenden Texte von Imke Lichterfeld und Barbara Margarethe Eggert wenden sich der Darstellung des Schwimmens und Badens in der Literatur zu. Während Wasser als Ort der Naturerfahrung bei Lichterfeld die Auseinandersetzung mit dem nassen Element verlangt, steht bei Eggert stärker der metaphorische Aspekt im Mittelpunkt. Hier ist das Wasser, so zumindest die Autorin, ein Raum, in dem Grenzen, Hierarchien, Ordnungen verschwimmen, sich zumindest temporär auflösen. Beide Texte erweitern die Bandbreite der Beiträge des Sammelbandes deutlich, fallen dabei durchaus im positiven Sinne aus dem Rahmen und bilden den kulturwissenschaftlichen Schwerpunkt des Bandes. Ergänzt werden sie durch den Aufsatz von Dagmar Dahl und Åsa Bäckström, die sich mit der „ästhetischen Attraktivität des Schwimmens in der Natur“ befassen. Die Autorinnen billigen dem Schwimmen in freien Gewässern eine eigene Ästhetik zu, die verschiedene Facetten aufweist. Wasser als Ort der Kontemplation wird so zu einem Raum, in dem das Schwimmen eine besondere „Naturerfahrung“ verspricht.

Der zweite Abschnitt des Bandes umfasst lediglich zwei Aufsätze, die aber einen bisher in der Forschung vernachlässigten Aspekt genauer unter die Lupe nehmen: Harald Jatzke und Sebastian Knoll-Jung zeigen auf, dass das Schwimmen und Baden erst in jüngster Zeit zu einer Frage des Sports und der Freizeitgestaltung wurde. Jatzke beschreibt kurzweilig und anschaulich in seiner Geschichte der organisierten Wasserrettung, in deren Mittelpunkt die Entstehung der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) steht. Er verweist auf die Zusammenhänge von Industrialisierung, Modernisierung der Arbeitswelt und der Entstehung einer Zivilgesellschaft, in der staatliche Aufgaben durch bürgerschaftliches Engagement übernommen werden. Die Entwicklung der DLRG, die am Vorabend des Ersten Weltkrieges die weltweit größte Organisation ihrer Art war, muss unbedingt in diesen Kontext gesehen werden.

Knoll-Jung nimmt denn auch in der Folge den Kampf gegen den „nassen Tod“ auf und zeigt anhand von zeitgenössischen Statistiken, dass die Zahl der Arbeitsunfälle in Verbindung mit mangelnden Schwimmkenntnissen und eine zunehmende, sich nach und nach entwickelnde Sozialgesetzgebung – hier der Unfallversicherung – dafür sorgten, dass ein kultureller Wandel eintrat: Nicht schwimmen zu können war anfangs der Garant dafür, nicht lange zu leiden, sollte der Tod durch Ertrinken drohen. Dieser uns fremde Gedanke verschwand erst durch sich stetig wiederholende Informationskampagnen. Die Entwicklung von Strukturen wie der DLRG – hier könnte man auch die bereits 1865 gegründete Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) nennen – führten zu einer Veränderung und sorgten dafür, dass bis heute der Tod durch Ertrinken in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr als Herausforderung in der Arbeitswelt, sondern als „Problem im Freizeitbereich“ gesehen wird.

Leicht abgewandelt könnte man mit Loriot zum Schluss fragen: „Wo schwimmen sie denn?“ Die Antwort auf diese Frage gibt der dritte Abschnitt. Uta Bräuer betrachtet das Schwimmbecken im Deutschen Stadion, dass ursprünglich für die 1916 in Berlin geplanten Olympischen Spiele errichtet worden war. Die in Vergessenheit geratene Sportstätte entsteht bei ihr neu. Ein wertvoller und spannender Text über eine Wettkampfstätte, die ihrer Zeit voraus war.

Stefan Zimmermann nimmt hingegen den Ort in den Blick, an dem auch der Autor dieser Rezension einst viele Stunden der Schulferien verbracht hat. Der Geruch des Ortes nach Chlor und der Geschmack der Pommes ließen eine eigene Welt entstehen: das Freischwimmbad. Zimmermann hat den Landkreis Harburg genau unter die Schwimmbrille genommen und zeigt die Entwicklung im Zuge des Wirtschaftswunders auf, benennt die wesentlichen Faktoren, die zu einem wahren Bauboom (nicht nur in der von ihm ausgewählten Region) von Freibädern als wesentlichem Element der Sport- und Freizeitinfrastruktur im ländlichen Raum führten.

Auch Lars Laurenz wählt eine solche regionalgeschichtliche Perspektive, die aber durchaus internationale und nationale Anleihen machte: Er untersucht die kaiserzeitlichen Seebrücken in den pommerschen Seebädern als Infrastruktur- und Prestigebauten. So lesenswert seine Ausführungen sind und sie einen Blick in eine mondän anmutende Welt erlauben, so sehr bilden sie einen Kontrast zu den Darstellungen des bundesrepublikanischen Freibads. So entsteht eine Bandbreite an Aspekten und Darstellungen des Schwimmens und Badens, die ganz sicher noch viele Fragen offenlassen, denen sich auch künftig die Geisteswissenschaften zuwenden sollten.