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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Annemarie Kaindl

„Das großartigste Gebäude in München“. Die Baugeschichte der Bayerischen Staatsbibliothek

(Schriftenreihe der Bayerischen Staatsbibliothek 11), Wiesbaden 2023, Harrassowitz, X, 375 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Anna Minta
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 10.12.2024

Annemarie Kaindl, Bibliothekarin in der Abteilung Handschriften, legt eine mächtige, mit Planmaterial sowie historischen und aktuellen Fotografien umfangreich bebilderte Monografie zur Bayerischen Staatsbibliothek vor. „Das großartigste Gebäude in München“ – zitiert die Autorin im Titel der prächtigen, 375 Seiten umfassenden Publikation in DIN-A4-Größe den vom Architekten Friedrich von Gärtner überlieferten Ausruf des bayerischen Königs Ludwigs I., als dieser im Februar 1831 Gärtners final überarbeitete Fassadenpläne für den Bibliotheksneubau an der Ludwigstraße sah. Eher bescheiden mutet da der Untertitel „Die Baugeschichte der Bayerischen Staatsbibliothek“ an. Denn das Buch ist viel mehr als „nur“ eine Baugeschichte: Die Entstehung und die (Aus-)Baugeschichte dieser Bibliothek werden eingebettet in die politische Landes- und Herrschaftsgeschichte von der feudalen Hofbibliothek zur zentralen Universal- und Landesbibliothek des Freistaates Bayern, in die Kulturgeschichte des Lesens, Büchersammelns, Systematisierens und Ausstellens sowie in die Bau-, Technik- und Mediengeschichte der Bauaufgabe Bibliothek und ihrer erweiterten Funktionen vom 16. bis ins 21. Jahrhundert. Zu Recht bezeichnet die Autorin in ihrer Einleitung daher die Bibliothek als „Wissenszentrum und Gedächtnisinstitution“. „Repräsentations- und Herrschaftsort“ möchte man noch hinzufügen, denn das Wissen der gesammelten Bücher diente der Machtrepräsentation, indem diese zum einen durch den Schauwert des umfangreichen Sammlungsbestandes beeindruckten, zum anderen durch die Regulierung des Zugangs, der Information und Wissen exklusiv machte.

So war auch die 1558 von Herzog Albrecht V. gegründete Hofbibliothek Bestandteil seiner herrschaftlichen, auf Repräsentation zielenden Strategie im Bereich der Kulturpolitik. Die von ihm angekauften Büchersammlungen richtete er in der Münchner Residenz in der Nähe seiner Wohnräume ein. Er ergänzte die Bibliothek nur wenige Jahre später durch den Bau des Antiquariums (1568-71) als Aufstellungsort seiner Antiken- und Skulpturensammlung. Wie die seit dem 14. Jahrhundert in Europa entstandenen repräsentativen Kunst- und Wunderkammern dienten die Sammlungen Albrechts V. und seiner Nachfolger über den Verweis auf Gelehrsamkeit und Kennerschaft der Machtdemonstration durch Herrschaftswissen. Dieses behauptete Weltwissen war exklusiv dem Herrscher vorbehalten, Zugang wurde dem Adel nur selektiv gewährt. Erst um 1600 öffnete sich die Bibliothek unter Herzog Maximilian I. zunehmend einem ausgewählten Kreis von Adel, Hofbeamten und Gelehrten. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts diente sie – auch im Kontext der 1759 gegründeten Churbayerischen Akademie der Wissenschaften – vor allem als Gelehrtenbibliothek. 1790 widmete Kurfürst Karl Theodor die Bibliothek „dem öffentlichen Nutzen“. Den Wandel von der exklusiven Hof- und Gelehrtenbibliothek zur universalen Gebrauchsbibliothek mit breitem öffentlichem Bildungsanspruch vollzog sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Mit allgemeinen Lesesälen, neuen Lern- und Kommunikationsräumen sowie digitalen Angeboten wurde die Staatsbibliothek nach 1945 bis heute zu einem vielfältigen Dienstleistungszentrum und einem offenen, öffentlichen Ort der Wissensvermittlung.

Das Buch ist chronologisch aufgebaut. Es beginnt mit der Hofbibliothek im Zwingerstock und den nachfolgenden, wechselnden Standorten, die durch das Anwachsen der Sammlung, durch Sicherungsmaßnahmen insbesondere gegen Brandgefahr und durch Wertschätzung respektive Vernachlässigung der Bibliothek begründet waren. Insbesondere mit der Säkularisierung wurden umfangreiche Handschriften- und Bücherbestände aus Klöstern, Stiften und geistlichen Fürstentümern in die Münchner Bibliothek überführt, so dass diese sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts zur größten Bibliothek im deutschen Sprachgebiet entwickelte. Konsequenterweise liegt ein Schwerpunkt des Buches auf dem prunkvollen, über 150 Meter langen Neubau der Bibliothek an der Ludwigstraße nach den Plänen von Friedrich von Gärtner, der nach langen Vorplanungen 1843 bezogen werden konnte. Detailreich schildert Kaindl das umfassende Raumprogramm und seine prächtige Ausstattung, insbesondere die malerische und skulpturale Gestaltung des repräsentativen Treppenhauses, des Fürsten- und des Lesesaals.

Die Sammlungs- und Literaturpolitik im Nationalsozialismus hingen fällt ungewöhnlich knapp aus. Der zweite Schwerpunkt liegt auf den Kriegszerstörungen, Ausweichquartieren und schließlich dem Wiederaufbau sowie ab 1953 der Neukonzeption des zerstörten Ostflügels und ab 1962 dem Erweiterungsbau durch die Architektengemeinschaft Sep Ruf, Hans Döllgast und Georg Werner. Diese konsequent nachkriegsmoderne Architektur in ihrer gerasterten Glas-Stahl-Ästhetik bildet selbstbewusst, aber respektvoll eine Gegenposition zu den steinernen Fassaden Gärtners und steht symbolisch für einen demokratischen Aufbruch der Gesellschaft und ihres allgemeinen Bildungsanspruchs.

Die Publikation beeindruckt durch die Fülle ihres Materials an Bild- und Textquellen und bleibt trotz zahlreicher Details und verschiedenster Exkurse gut lesbar. Die hart herausstechenden Nummern, die nachträglich in historische Pläne eingebracht wurden, helfen zwar der Orientierung im Planmaterial, irritieren aber im sonst feinfühligen Umgang mit den historischen Quellen. Eine Einordnung des Münchner Baus in Bibliotheksbauten der jeweiligen Zeit, insbesondere im Vergleich zu den herausragenden Projekten des 18. und 19. Jahrhunderts wie beispielsweise die Königliche Bibliothek (1780) in Berlin, die Bibliothèque Sainte-Geneviève (1850) in Paris mit ihrer faszinierenden Eisenkonstruktion und auch die British Library (1857) in London mit großem Kuppellesesaal, hätte den Anspruch des „großartigsten Gebäudes in München“ etwas relativiert. Auch für das 20. Jahrhundert lassen sich unter anderem mit Gunnar Asplunds Stockholmer Stadtbibliothek (1928) und Hans Scharouns Staatsbibliothek (1978) in West-Berlin prominente Konkurrenten um mächtigen Ausdruck und innovative Konzepte benennen. Eine bauhistorische Einordnung der Bayerischen Staatsbibliothek bleibt offen. Am Münchner Beispiel aber werden exemplarisch die historischen Wandlungen, technischen Herausforderungen, funktionale Transformationen sowie kultur- und bildungspolitische Ansprüche mustergültig deutlich. Es handelt sich dabei nicht nur um eine prächtig bebilderte und quellenreiche Monografie, sondern das Buch ist zugleich Zeugnis und Plädoyer für baukulturelle, ästhetische Qualität öffentlicher Bauten und für die Notwendigkeit, offene, partizipative Strukturen und Nutzungskonzepte für öffentliche Bildungseinrichtungen zu entwickeln.