Aktuelle Rezensionen
Cyrill Schäfer
Der Gründer. P. Andreas Amrhein (1844-1927) – Pionier, Träumer und Prophet
(Ottilianer Reihe 20), Sankt Ottilien 2023, EOS, 576 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Rezensiert von Uwe Scharfenecker
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 10.12.2024
Nach etlichen von ihm veranstalteten oder inspirierten Quelleneditionen wendet sich P. Cyrill Schäfer OSB dem Gründer der Missionsbenediktiner und Missionsbenediktinerinnen zu und legt eine Biographie von Andreas Amrhein vor, die der Komplexität seines Lebens gerecht wird, mit Harmonisierungen und „alternativen Fakten“ aufräumt und dem Gründer Gerechtigkeit widerfahren lässt, indem sie ihm sein Leben zurückgibt. Die interessierte Öffentlichkeit erhält verlässliche Informationen und einen spannenden Einblick in die Gründungsgeschichte zweier bis heute weltweit wirkender Kongregationen. Johann Georg Amrhein wurde als einziges Kind seiner Eltern in Beromünster geboren. Nach Gymnasialstudien in Luzern bezog er wie viele Schweizer vor ihm die Universität Tübingen, um dort katholische Theologie zu studieren. Im Kirchenhistoriker Karl Joseph Hefele (1809-1893) fand er einen anregenden Lehrer und väterlichen Freund. Hefeles Vorlesungen entfachten seine Begeisterung für ein missionarisches Mönchtum. Bei dessen Bischofsweihe lernte Amrhein Abt Maurus Wolter (1825-1890) kennen, worauf er sich 1870 zum Eintritt in die Abtei Beuron entschloss. Die Jahre in Beuron und dessen erster Gründung Maredsous waren von gesundheitlichen Problemen und der Sorge gekennzeichnet, seine Missionspläne scheitern zu sehen. In der Folge leitete er die Kunstschule in der Beuroner Gründung Maredsous und verbesserte durch technische Erfindungen den Alltag seiner Mitbrüder. Nach Erdington versetzt, besuchte er mit Erlaubnis seiner Oberen das Missionsseminar St. Joseph in Mill Hill und lebte zeitweise in Steyl. 1883 erhielt er die Erlaubnis seines Abtes, sich der Weltkirchenkongregation zu unterstellen. 1884 folgte die Gründung eines Missionsseminars in Reichenbach in der Oberpfalz, 1885 nahm Amrhein die ersten Schwestern auf. Das Missionshaus entwickelte sich „in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit“. Da das Verhältnis zum Regensburger Bischof Ignatius von Senestrey (1818-1906) sich ungut gestaltete, ließ Amrhein nach einer Alternative Ausschau halten, die ihm der Augsburger Bischof Pankratius von Dinkel (1811-1894) bot. 1886 wurde ein heruntergewirtschaftetes Gut in Emming-St. Ottilien erworben, das künftig der Sitz der Gemeinschaft wurde, die 1887 die Apostolische Präfektur Süd-Sansibar als Missionsgebiet zugewiesen bekam, wo rasch erste Todesopfer zu beklagen und Lösegeldforderungen zu bedienen waren. Zeitgleich wurden der Gründer und Katharina Scheyns (1857-1937), die Oberin der Missionsbenediktinerinnen, Eltern einer gemeinsamen Tochter. Da die Elternschaft nicht bekannt wurde, wuchs die Missionsgesellschaft weiter, so dass sie 1895 87 Mönche und 71 Schwestern zählte. Nachdem Kritik laut wurde, visitierte der neue Augsburger Bischof Petrus von Hötzl (1836-1902) die Schwesterngemeinschaft, was zum Amtsverzicht der Oberin und ihrem Austritt aus dem Orden führte. Von Amrheins Vaterschaft in Kenntnis gesetzt, erzwang die römische Kurie 1896 seinen Amtsverzicht. Die Leitung der Gemeinschaft ging an Abt Ildefons Schober (1849-1918) von Seckau über, dessen Bedeutung als stabilisierender Faktor kaum überschätzt werden kann. Von physischen und psychischen Leiden heimgesucht, folgte Amrhein dem Rat seines Psychiaters und heiratete 1900 eine junge Italienerin (1910 wurde die Ehe geschieden). Schließlich konnte er 1903 in die Nähe von Einsiedeln ziehen und mit Zeichnungen für den Verlag Benziger und milden Gaben des Stiftes seinen Lebensunterhalt sichern. Über Zürich und Mariastein gelangte Amrhein nach Stuttgart, wo er nach der durch den Rottenburger Bischof Paul Wilhelm von Keppler (1825-1926) vermittelten Lösung von den durch die Eheschließung zugezogenen Kirchenstrafen als Hausgeistlicher im Marienhospital wirkte. Amrheins Bitte, die letzten Lebensjahre in St. Ottilien verbringen zu dürfen, wurde unverzüglich entsprochen, und so konnte er 1923 dorthin zurückkehren, wo er am 29. Dezember 1927 starb. Wie Amrhein befürchtet hatte, wurden die beiden Missionskongregationen in der Folge „zu Gründungen ohne Gründer“. Seine Rolle wurde mit Schweigen übergangen. Cyrill Schäfer überwindet „eine moralisierende Form von Kirchengeschichtsschreibung“ und weiß sich „einer umfassenden Würdigung der Quellen“ verpflichtet, die eine „Herausarbeitung der problematischen Seiten solcher Pioniergestalten“ fordert. Die Schaffung der „Missions-Benediktiner“ mit ihrer „Synthese von aktivem und kontemplativen Leben“ spiegelte Amrheins „persönliche Sehnsucht“, traf aber auch den „Nerv der Zeit“. „Im Fall von Amrhein wird Ordensgeschichte zur Biographie und Biographie zur Ordensgeschichte.“ Das zeigt der Verfasser auf beeindruckende Weise und sichert seinem Werk einen festen Platz in der jüngst auf viele Federn verteilten Geschichtsschreibung zu den Missionsbenediktinerinnen und -benediktinern. Wie in seiner 2005 erschienenen Biographie des ersten Ottilianer Erzabtes Norbert Weber (1870-1956) ist ein Grundlagenwerk entstanden, das die Zeiten überdauern wird. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass der von Papst Leo XIII. (1810-1903) „geschaffene“ Benediktinerorden sich im entscheidenden Moment verantwortlich wusste und es nicht wie bei den Gründungen von Franz Pfanner (1825-1909) zu einer Trennung von Mönchtum und Mission kam. Der Impuls des Gründers Andreas Amrhein durfte eine weltweite Wirkungsgeschichte entfalten.