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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Bertrand Michael Buchmann

Die Babenberger. Österreich im Hochmittelalter

Wien 2024, Böhlau, 246 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Roman Deutinger
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 17.12.2024

Der Autor hat im Lauf seines langen Lebens schon eine Reihe von Büchern vorgelegt, vor allem zur neueren Geschichte Österreichs und zur Zeitgeschichte. Weshalb er sich entschlossen hat, dieser Reihe nun auch noch ein Buch über die Babenberger hinzuzufügen, bleibt indes ein Rätsel. Dass er sich damit nicht an die Fachleute wendet, wird auf den ersten Blick klar: Er bezieht seine Informationen weitgehend aus zweiter oder sogar dritter Hand, vorzugsweise Handbüchern und allgemeinen Überblicksdarstellungen. Dass es beispielsweise so etwas wie das Babenberger Urkundenbuch (4 Bde., 1950-1997) oder das Niederösterreichische Urkundenbuch (bislang 4 Bde., 2008-2023) gibt, die zusammen wohl die wichtigste Quellengrundlage zu diesem Thema überhaupt darstellen, hält er nicht für erwähnenswert, und das Gleiche gilt für eine Vielzahl von einschlägigen Spezialstudien, von denen man zumindest Kenntnis nehmen sollte, auch wenn man sich ihnen inhaltlich nicht anschließen möchte. Der am häufigsten herangezogene Quellentext ist das Fürstenbuch des Jans Enikel, das in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts und somit erst nach dem Ende der Babenbergerzeit entstanden ist; dementsprechend dienen die Zitate daraus auch nicht der Argumentation, sondern nur dazu, der Darstellung ein wenig Zeitkolorit zu verleihen.

Erklärtermaßen will der Autor aber gar keinen Beitrag zur Forschung leisten, sondern Leser ohne einschlägige Vorkenntnisse „eintauchen [...] lassen in diese Zeit des Hochmittelalters“ (S. 10). Das ist an sich ein durchaus ehrenwertes Ziel, doch wäre das anvisierte Publikum schlecht beraten, sich ausgerechnet von diesem Buch in das Thema einführen zu lassen. Das beginnt mit einer ganzen Reihe von kleinen sachlichen Fehlern: Die „Annales regni Francorum“ stammen nicht von Einhard (S. 20), Ludwig der Deutsche war weder Kaiser noch hat er 850 bis 875 regiert (S. 22), der Teppich von Bayeux ist nicht „um 1170“ entstanden (S. 27 und 50), die Indiktion war kein „15-monatiger Steuerrhythmus“ (S. 41, richtig dagegen S. 143), die Lateransynode, die das Papstwahldekret erließ, fand nicht 1058 statt (S. 65), der spätere Bischof Otto von Freising wurde nicht 1132 Abt von Morimond (S. 97), die „Chronik von den 95 Herrschaften“ hat nicht Thomas Ebendorfer zum Autor (S. 122 und 189), die Steiermark hat niemals bis zur Donau gereicht (S. 132), die päpstliche Tiara war im 12. Jahrhundert noch keine „dreifache Krone“ (S. 170) und Papst Gregor IX. hat keineswegs „den [!] Corpus Juris Canonici“ publiziert (S. 198). Auch heißt es nicht „Corroberatio“ (S. 41), sondern Corroboratio, nicht „Unterberg“ (S. 129), sondern Untersberg, nicht „Chamb“ (S. 133), sondern Cham.

Derlei Schlampigkeiten wären noch verzeihlich, auch wenn sie (ebenso wie offensichtliche Verschreibungen von Jahreszahlen S. 77, 193 und 208) zeigen, dass der Verlag dem Buch kein ernsthaftes Lektorat gegönnt hat. Schwerer wiegt, dass der Autor sich auf einem Kenntnis- und Reflexionsstand bewegt, der eher dem seiner eigenen Studienzeit in den 1970er Jahren entspricht als dem der heutigen Mediävistik. Da ist ständig unbekümmert von einem Reichskirchensystem und einem Lehnswesen die Rede, der Investiturstreit wird als eine direkte Folge der cluniazensischen Klosterreform angesehen, „Adelsegoismus“ einer „Reichsidee“ gegenübergestellt (S. 72) und ein generationenübergreifender Gegensatz zwischen Staufern und Welfen behauptet, als ob diese Konzepte von den Fachleuten nicht schon längst alle ad acta gelegt worden wären. Unbedarften Lesern wird auf diese Weise ein völlig veraltetes und somit irreführendes Bild von den hochmittelalterlichen Herrschaftsstrukturen und -mechanismen vorgeführt.

Hinzu kommt, dass der Autor sich für die Babenberger selbst letztlich gar nicht besonders zu interessieren scheint. Seine Sympathie gehört offensichtlich der einfachen Bevölkerung im damaligen (Nieder-)Österreich, deren Lebensbedingungen er relativ ausführlich behandelt. Die Adeligen hingegen kommen ihm eher „wie Buben in der Sandkiste“ vor, „die um das schönere Spielzeug raufen“ (S. 57). Und dass die Babenberger keine auf Österreich beschränkte Dynastie waren, sondern phasenweise auch in Bayern, Franken, Schwaben und im Rheinland eine politische Rolle gespielt haben, erfährt man bei ihm nur sehr beiläufig.

Somit bleibt es wie gesagt ein Rätsel, weshalb der Autor dieses Buch schreiben wollte, obwohl ihm dessen Gegenstand so offensichtlich fremd ist. Ebenso rätselhaft bleibt freilich, weshalb der Verlag diesen Band veröffentlicht hat, obwohl er mit dem Babenberger-Buch von Georg Scheibelreiter (2010) vor gar nicht so langer Zeit bereits eine sehr lesenswerte, leider inzwischen vergriffene Darstellung zu diesem Thema herausgebracht hat. Seit wann werden gute Bücher durch schlechtere ersetzt?