Aktuelle Rezensionen
Yvonne Dohna Schlobitten/Albert Gerhards (Hg.)
Ästhetische Bildung am Ort der Erfahrung. Eine Wiederbegegnung mit Romano Guardini und Rudolf Schwarz auf Burg Rothenfels
(Bild – Raum – Feier. Studien zu Kirche und Kunst 21), Regensburg 2024, Schnell & Steiner, 256 Seiten, zahlreiche Abbildungen
Rezensiert von Ralph Weimann
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 17.01.2025
Im Mittelpunkt des vorliegenden Sammelbandes steht – so die Herausgeber – die „ästhetische Erfahrung des liturgischen Raumes im Denken Guardinis“ (S. 219). Darin wird das ehrgeizige Ziel verfolgt, „gemeinsam zu ‚sehen‘“ (S. 219), um Erfahrungen aus den unterschiedlichen kulturellen Kontexten zu reflektieren. Dabei wird immer wieder auf die Burg Rothenfels Bezug genommen, die als Laboratorium für die rechte Mitfeier der Liturgie diente (vgl. S. 10), um neue Wege zu beschreiten. Der Frage aber, inwiefern dies heute gelingen kann, zumal – wie die Herausgeber gleich zu Beginn betonen – die „Liturgie der Kirche nicht mehr die“ ist, „die Guardini zu seiner Zeit als objektive Vorgabe zugrunde legen konnte“ (S. 11), wird nicht weiter nachgegangen.
Dieses ehrliche Eingeständnis erweist sich zugleich als schwere Hypothek für die weiteren Ausführungen. Was nämlich ist der Konstruktionspunkt für eine ästhetische Erfahrung des liturgischen Raumes? Kann ein Laboratorium der Maßstab sein, um das, was göttliche Liturgie ist, zu erfahren? Verhält es sich in Wirklichkeit – ähnlich, wie es bei den protestantischen Gemeinschaften der Fall ist – so, dass „die Erfahrung der Gemeinschaft, die das gottesdienstliche Geschehen trägt“, das entscheidende Kriterium ist (S. 12)? Lässt sich ernsthaft und im Gegensatz zum Konzil von Trient behaupten, dass das „umfassende Verständnis der christlichen Liturgie […] erst im Lauf des 20. Jahrhunderts durch die Liturgische Bewegung wiederentdeckt“ wurde (S. 12)? Der Eindruck wird erweckt, als hätten die Herausgeber zu viel gewollt, wenn sie sich so hehre Ziele gesetzt haben, zumal eine aktuelle liturgische Bewegung – wenn es eine solche überhaupt je geben sollte – eher in die entgegengesetzte Richtung tendiert. So gibt es bei der Jugend, wenn sie denn überhaupt noch religiös ist, die Sehnsucht nach dem mysterium tremendum et fascinans. Diese Schwierigkeiten gleich zu Beginn zu erwähnen, ist auch deswegen sinnvoll, weil die Frage der Methode nicht übersehen werden darf, zumal es nicht um irgendeine Ästhetik geht, sondern um diejenige des liturgischen Raums, in dem das Glaubensgeheimnis gefeiert wird. Das Gesagte erlaubt nun, einen Blick auf die vielen und inhaltsreichen Beiträge des Bandes zu werfen.
Die große Guardini-Kennerin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz analysiert Guardinis Wahrnehmung von der Welt. In gekonnter Art leistet sie einen originellen Beitrag, indem sie auf die Entwicklung des Begriffs „Weltanschauung“ vom neuzeitlichen Subjektivismus in religiösen Dingen, über den politischen Totalitarismus bis hin zu dem Versuch Guardinis hinweist, das Weltbild zwischen Offenbarungsglauben und empirischer Betrachtung zu verankern (vgl. S. 19). Dabei macht sie deutlich, dass es kein summarisches Sehen gibt, sondern dass „zum wirklichen Sehen eine ausdrückliche Bereitschaft notwendig“ ist (S. 23). Im Hinblick auf das Göttliche gibt es jedoch eine Besonderheit, denn „nicht Schauen ermöglicht das Licht, sondern das Licht ermöglicht das Schauen“ (S. 26). Wenn dieses Licht der göttliche Logos ist, das im Geiste aufstrahlen und das Herz berühren will, dann wird bereits an dieser Stelle deutlich, warum das Laboratorium nicht der Weg sein kann, der zur Glaubenserkenntnis führt.
Holger Zaborowski geht der Frage nach, ob Romano Guardini ein Denker für heute ist, vor allem im Hinblick auf sein Buch „Vom Geist der Liturgie“. Der Eindruck entsteht, als traue er sich am Ende seines Beitrags nicht zu, diese Frage zu beantworten. Dies mag auch daran liegen, dass er das Konzept der actuosa participatio, zentral für die liturgische Bewegung, nicht erwähnt, auch wenn es Andeutungen in diese Richtung gibt (vgl. S. 39). Dieses Konzept wäre vor allem deswegen hilfreich, weil dadurch die Einheit von lex credendi und lex orandi (vgl. S. 38) zum Ausdruck kommt und Formen des Dualismus überwinden werden könnten. Weiterführend erweist sich für diesen Kontext das Guardini-Zitat, wonach nicht die Anstrengung, sondern die Anbetung das Endgültige ist (S. 44).
Der folgende Beitrag von Albert Gerhards stellt die theologisch-künstlerische Synergie von Guardini und Schwarz in den Mittelpunkt der Ausführungen. Rudolf Schwarz geht von gesammelten Erfahrungen aus, die er aber selbst in eine gewisse Richtung lenkt und festlegt. Auf diese Weise sollen die Menschen ganz im Gemeinsamen aufgehen (vgl. S. 48). Der Frage, ob es überhaupt ein Vorverständnis freier Erfahrung gibt, wird bedauerlicherweise nicht nachgegangen. Hier wäre es hilfreich gewesen, zunächst Grundlegendes zu klären, wie die Frage, ob Liturgie als göttliches Geschehen vom Primat Gottes oder vom Primat der Erfahrung einiger Experten ausgehen muss, wie auch die Frage, ob die Kunst der Offenbarung oder die Offenbarung der Kunst voranzugehen hat. Der Überschritt vom autonomen Ich zum Du, „des Wir, der Gemeinschaft, der Kirche“ (S. 49), die in den Seelen erwacht, würde getrennt von diesen grundlegenden Klärungen Gefahr laufen, verloren zu gehen.
Stefanie Lieb beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit dem Atmosphärebegriff, über den Guardini wenig geschrieben hat (vgl. S. 57). Lieb verschweigt die Radikalität des Rudolf Schwarz nicht, der vorgab, das Alte zu zerstören, um ganz Neues zu schaffen, selbst wenn wertvolle historische Innenarchitektur dabei verloren ging (vgl. 59). Es ging Schwarz darum, aus dem Alltäglichen Kirche zu bauen. Dabei wird gerade heute deutlich, worauf in dem Beitrag nicht hingewiesen wird, dass sich dies als Fehlschluss erwiesen hat, denn der Mensch sucht nicht das Alltägliche in der Kirche, sondern das Göttliche. Die „anti-numinose Atmosphäre“ der Leere (vgl. S. 62) wirkt auf den Gott suchenden Menschen bedrückend und entfremdend. Der radikale Purismus des Rudolf Schwarz ließe sich als Dualismus deuten, der die Leib-Dimension ignoriert und den Menschen gänzlich zu vergeistigen sucht. Es scheint aber, als habe sich die Autorin nicht getraut, Kritik zu üben, trotz der Evidenz. Dabei wäre dies relativ einfach gewesen, zumal selbst Guardini daran Kritik geäußert hat, wie Stephan Winter in seinem Artikel über die Raumgestaltung darlegt (vgl. S. 75). Winter resümiert treffend, dass viele von Schwarz Gedankengängen sprachlich wie inhaltlich befremdlich seien (vgl. S. 101).
Fernando López-Arias hat in seinem Beitrag das zentrale Thema für diese Themenstellung behandelt, die Theologie des liturgischen Raums. Nur wenn a priori geklärt ist, was Liturgie ist, können Aussagen über die Ästhetik gemacht werden. Dabei erweist sich als hilfreich, dass der Autor auch die Theologie Joseph Ratzingers hinzunimmt, zumal Guardini nicht fundamental theologisch argumentiert, sondern sich im Bereich einer Hermeneutik und Phänomenologie bewegt (vgl. S. 104). Leider lässt die Darstellung der Position Ratzingers in einigen Bereichen zu wünschen übrig, was auch der Zitationsweise geschuldet ist, denn der Autor zitiert Ratzinger nach italienischen Quellen und nicht nach Joseph Ratzinger Gesammelte Schriften (JRGS). Die Ausführungen zu Form und Stil, wie López-Arias richtig bemerkt, erschließen sich nur, wenn die Fragen nach der Orientierung geklärt sind, damit die Zelebration Richtung und Form erhält (vgl. S. 119).
Enrico Garlaschelli beleuchtet das Thema der „Intelligenz des Glaubens“, wobei er mehr dem Denken von Sequeri als Guardini verhaftet bleibt. Wenn er am Ende seiner Ausführungen die „Unmöglichkeit einer Hermeneutik des Glaubens“ (S. 131) postuliert, wundert sich der Leser ob solch kühner Aussagen, zumal der Glaube die Voraussetzung ist, um überhaupt Theologie betreiben zu können (vgl. Franziskus, Lumen Fidei, 36). Juan Rego beschreibt die symbolische Objektivation des ewigen Lebens im Kultakt, wobei er darauf hinweist, dass Guardini diesbezüglich keine systematische Erklärung bietet. In tiefsinniger Weise nähert sich der Autor dem Wesen des Mysteriums, das nach Guardini „die ganze Liturgie erfüllt“ (S. 140). In seinen Ausführungen kommt er alsbald auf die zentrale Thematik zu sprechen: die kultisch-liturgische Form der realen Vergegenwärtigung. Im Gegensatz zum vorherigen Beitrag stellt Rego treffend dar, was Glaube ist, und er führt wertvolle Unterscheidungen zwischen den philosophisch-theologischen Begriffen wie aeviternitas und ubiquitat an. Demnach ist zwischen drei Ebenen des Seins zu unterscheiden: das Sein Gottes; das bloße „Sein der Geschöpfe“ und das „Sein der Geschöpfe, in dem sie in der schöpferisch ewigen Handlung Gottes in-existieren“ (S. 143). Damit liefert er jene Grundlagen, die für das Verständnis der participatio actuosa unverzichtbar sind, denn Gemeinschaft setzt voraus zu wissen, worin die Gemeinschaft besteht.
Ivica Žižić hat einen Beitrag zur Erneuerung der Liturgie nach Guardini verfasst, geht aber – erstaunlicherweise – von der pastoralen Seite (vgl. S. 151) aus. Weil in dem Beitrag nicht klar wird, was das Wesen der Liturgie ist, verwundert es nicht, wenn die Schlussfolgerungen unscharf werden und beispielsweise behauptet wird, dass die „liturgische Frage insgesamt auf die Frage der rituellen Form konzentriert“ wird (S. 162). Ob der Autor damit Guardini wirklich gerecht wird, bleibt offen, ebenso was eine liturgische Erneuerung durch die Form sein soll.
Daran schließt sich ein Beitrag von Albert Gerhards über den liturgischen Stil und die Symbolik an. Der Autor macht eine weitreichende Feststellung, wenn er anführt, dass eines der aktuellen Probleme der katholischen Liturgie „das Fehlen eines eigenen Stils“ sei (S. 167). Wie aber dieses Problem gelöst oder angegangen werden könnte, wird leider nicht erklärt. Yvonne Dohna Schlobitten stellt Guardinis Kunsterkenntnis dar, die eine „neue Innerlichkeit und eine neue Äußerlichkeit in einer dynamischen Beziehung“ zu setzen sucht (S. 180). Inwiefern dies beispielsweise durch die „Madonnenplastik“ in Burg Rothenfels gelingt, die Gottesfurcht ausdrücken soll (S. 181), wird nicht deutlich. Ein Lösungsansatz wird im Resümee angedeutet, wenn die Autorin Guardinis Weltanschauung dadurch charakterisiert, dass sie aus einem Beziehungsort zwischen Offenbarungsglauben und empirischer Beobachtung besteht (vgl. S. 188).
Die Beiträge lassen deutlich werden, dass die Diskussion noch nicht abgeschlossen ist. Nur dann wird es möglich sein über „Ästhetische Bildung am Ort der Erfahrung“ zu sprechen, wenn zunächst geklärt ist, was der Bezugspunkt ist. Dabei könnte – für weitere Beiträge zu diesem Thema – folgende Perspektive von Guardini hilfreich sein, die im vorliegenden Buch kaum bis gar nicht Erwähnung findet: „Die Liturgie ist eine Welt heilig-verborgenen, aber immerfort Gestalt werdenden und darin sich offenbarenden Geschehens: sie ist sakramental“ (R. Guardini, Von heiligen Zeichen, 11).