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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Joachim Brüser

Von Wien nach Versailles. Brautfahrt und Hochzeit der Marie Antoinette im Frühjahr 1770

Münster 2024, Aschendorff, 532 Seiten


Rezensiert von Barbara Rajkay
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 12.02.2025

Über die berühmteste Eheschließung des 18. Jahrhunderts zwischen der jüngsten Tochter der Kaiserin Maria Theresia und dem französischen Dauphin Louis Auguste ist eigentlich schon alles bekannt: Nach fünftägigen Feierlichkeiten in Wien startete Marie Antoinette am 21. April 1770 in einer Prunkkutsche des französischen Königs ihre Brautfahrt. Die große, illustre Reisegesellschaft machte an insgesamt 21 Stationen Halt, legte bei wechselnden Teilnehmern knapp 1500 km zurück und die jeweiligen Gastgeber bemühten sich nach Kräften, die Dauphine bestmöglich zu beherbergen und zu unterhalten. Am 16. Mai fand in Versailles die feierliche Trauung statt, begleitet von zahlreichen Veranstaltungen in Paris. Dort war als krönender Abschluss am 30. Mai ein spektakuläres Feuerwerk geplant, doch an dessen Ende kam es zu einer Massenpanik mit weit über 100 Toten.

An Publikationen zu den vielen politischen und gesellschaftlichen Großereignissen an den Residenzorten sowie entlang des Reisewegs herrschte schon bisher kein Mangel; dennoch schließt die Monografie Joachim Brüsers eine große Forschungslücke. Erstmals rekonstruiert er den kompletten Ablauf der Brautfahrt samt Hochzeit einschließlich aller diplomatischen und organisatorischen Vorbereitungen. Dabei stützt er sich sowohl auf die hervorragende Quellenlage in den zentralen Archiven von Wien und Paris als auch auf die vielen regionalen Überlieferungen, ergänzt durch zahlreiche Egodokumente beteiligter Zeitgenossen.

Der Plan einer direkten Verbindung zwischen den Hauptlinien der Habsburger und Bourbonen resultierte aus einem Kurswechsel in der Außenpolitik beider Reiche, der bereits 1756 mit einem Bündnis zwischen Österreich und Frankreich begonnen hatte. Hier setzt die Untersuchung des Autors ein. Ausführlich widmet er sich den komplexen Verhandlungen, angefangen bei der Sprache des Ehevertrags (Latein oder Französisch) bis hin zu den Rangproblemen zwischen bedeutenden Gästen. Bei der Vorbereitung der Reise nahm man die Brautfahrten der Schwestern Maria Karolina und Maria Amalia 1768 und 1769 nach Neapel bzw. Parma zum Vorbild. In der Summe umfasste der Reisetross 1770 über 240 Personen. Für den Transport ergab das einen Bedarf an 55 Kutschen mit 326 Zug- und Reitpferden. Allein diese Zahlen lassen die logistischen Herausforderungen erahnen!

Im Hauptteil behandelt Brüser sämtliche der 21 Stationen, unterteilt in zwei Großkapitel, davon dreizehn Aufenthalte auf dem Boden des Alten Reichs, gefolgt von weiteren acht auf der französischen Seite. Dazwischen schildert er in einem gesonderten, sehr ausführlichen Kapitel den Grenzübertritt, d.h. die feierliche Übergabe der Braut an die Gesandtschaft aus Versailles in einem eigens dafür errichteten Pavillon auf der Rheininsel Île aux Épis bei Straßburg.

Systematisch geht der Autor bei sämtlichen Stationen zunächst auf den jeweiligen Ort und die Gastgeber ein, schildert anschließend deren Vorbereitungen und zuletzt den Verlauf des Aufenthalts. Im Vorfeld mussten eiligst Straßen und Brücken instand gesetzt, Räume neu tapeziert und Möbel sowie vor allem Betten samt deren Ausstattungen gekauft bzw. geliehen werden. Zeitnah galt es für ausreichend Verpflegung zu sorgen ebenso für Wachpersonal rund um die Uhr. Bei der Gestaltung der Abendprogramme wählte man meist Konzerte, Theateraufführungen und Feuerwerke. Während Maria Theresia mit Rücksicht auf die Kräfte ihrer Tochter Bälle auf dem Gebiet des Reichs verboten hatte, wurde in Frankreich auch mit zahlreichen Bällen die Brautfahrt gefeiert.

Hinter dem Dreischritt bei der Beschreibung der Stationen stehen drei forschungsleitende Fragen: Welche Kriterien bestimmten die Wahl des Reisewegs? Wie unterschieden sich Wien und Versailles hinsichtlich der Auswahl der Orte und Gastgeber, der Organisation und der Kommunikation? Die dritte Frage zielt auf den kurz- und langfristigen Nutzen: Zahlten sich die z.T. enormen Kosten der Gastgeber auf politischer Seite aus und was bleibt bis heute in der Erinnerung?

Für die Wahl der Streckenführung über Freiburg nach Straßburg (diese Stadt hatte die französische Seite gewünscht) waren wohl innenpolitische Gründe ausschlaggebend. Es galt, endlich wieder in Vorderösterreich, seit 1753 eine eigene Provinz mit der Hauptstadt Freiburg, Präsenz zu zeigen. Mit dem zweitägigen Aufenthalt der blutjungen Prinzessin in Freiburg präsentierte sich die Monarchie von ihrer strahlenden Seite und nicht wie zuvor mit unbeliebten Reformen. Dagegen sollte der Besuch in München auf Einladung des Kurfürsten Max III. Joseph die seit den 1740er Jahren belasteten Beziehungen mit Wien verbessern. Einige Stationen dienten der Auszeichnung hochrangiger treuer Gefolgsleute wie der Fürsten von Auersperg (Schloss Ennsegg) und von Fürstenberg (Donaueschingen). Daneben bestimmten auch schlicht logistische Gründe etliche der Haltepunkte, so im Falle Braunaus, Augsburgs oder bei den Klöstern Marchtal und Schuttern. Die Reiseplanung auf französischer Seite konzentrierte sich allein darauf, die Braut möglichst schnell nach Versailles zu bringen. Spitzenbeamte der Krone und Bischöfe als lokale Gastgeber trugen an den Stationen in Straßburg, Saverne, Nancy, Bar-Le-Duc, Châlons-sur-Marne und Soissons die Verantwortung für einen adäquaten Aufenthalt samt Festprogramm. Als letzte Stationen vor Versailles nutzte man die beiden Königsschlösser Compiègne (erstes Zusammentreffen mit dem König und dem Dauphin) und La Muette.

Aus der Perspektive der beiden Dynastien hielt die durch diese Heirat geschaffene Verbindung trotz der Ermordung des Königspaares bis weit ins 19. Jahrhundert. Im Fall Bayerns zieht Brüser dagegen eine gemischte Bilanz. Immerhin hatte sich der Kurfürst den Besuch alles in allem 74.000 Gulden kosten lassen. Noch höher lagen die Ausgaben in Freiburg (ca. 80.000 Gulden), obwohl hier Wien für die Verpflegungskosten aufkam. Besonders tragisch waren die Folgen für das Kloster Schuttern in der Ortenau. Der Abt hatte im Vertrauen auf die finanzielle Unterstützung durch die Landstände dem Wiener Kammerfourier auch die Bezahlung der Verpflegung zugesagt. Doch die erforderlichen Baumaßnahmen, das ambitionierte Unterhaltungsprogramm mit Tafelmusik, Illumination des Abteigartens sowie ein prächtiges Feuerwerk schlugen mit über 15.000 Gulden zu Buche. Bis zur Säkularisation kämpfte das Kloster mit diesen enormen Schulden.

Der längerfristige Nutzen für die Zeitgenossen dürfte sich aus den Renovierungen und Neubauten von Straßen und Brücken ergeben haben. Von den zahlreichen ephemeren Bauten hat sich bis heute nur das Stadttor von Châlons-sur-Marne erhalten, das zu einem Triumphbogen umgebaut worden war. Gegenwärtig erinnern vor allem noch einige Ortsbezeichnungen an die Brautfahrt.

Joachim Brüser hat in seiner aufwendigen Quellenarbeit und mit der systematischen Herangehensweise die lange Brautfahrt und Hochzeit der Marie Antoinette Etappe für Etappe nachgezeichnet und dabei auch einige der damit verbundenen Legenden zerstört. Indem er diesen berühmten Abschnitt aus dem tragischen Leben der späteren französischen Königin konsequent „in Fahrtrichtung“ beschreibt, tappt er nicht in die Falle, bereits ihre Brautfahrt vom gewaltsamen Ende her zu interpretieren. Gerade seine Auswertung der penibel geführten Hofprotokolle zeigt, dass diese Reise weit mehr war als die Summe erinnerungswürdiger lokaler Ereignisse entlang der Strecke. Damit schließt Brüser direkt sowohl an die wegweisenden Veröffentlichungen von Barbara Stollberg-Rilinger zur Rolle von Zeremoniell und Ritual im Alten Reich an als auch an ihre Biografie Maria Theresias (Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit. Eine Biographie, München 2017).