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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Richard Winkler

Vom Hausierer zum Multimillionär. Die glänzenden Geschäfte des Münchner Kunsthändlers Julius Böhler 1882-1918

München 2023, Volk, 208 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Franziska Marx
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 04.03.2025

Obgleich der fahrenden Tätigkeit als Hausierer noch im 19. Jahrhundert durchaus eine in der gesellschaftlichen Auffassung eher gespaltene Konnotation zukommt, so vermag es Richard Winkler, Leiter des Bayerischen Wirtschaftsarchivs, sogleich auf den ersten Seiten der Monografie zu Julius Böhler festzustellen, dass ein klassischer „rags to riches“ im Falle des Jüngsten der Böhler-Familie kaum anzunehmen ist. Denn: Böhlers Berufstätigkeit ist – unabhängig von ihrer fahrenden Natur – zwar durchaus abwanderungsbedingt nötig, jedoch bereits früh durch den ambitionierten und zugleich erfolgreichen Verkauf von „Altertümern“ geprägt. Den Böhler-Brüdern gelang durch die gezielte Bedienung eines historistisch geformten Wohnanspruches des Bürgertums schon bald die Herausbildung eines weitläufigen, bis in die bayerische Landeshauptstadt reichenden Netzwerkes, welches ihnen sodann ab 1879 die Niederlassung in München ermöglichte. Julius Böhler glückte es, das Netzwerk der Beschaffung wie auch jenes seines Abnehmerkreises auf internationalen, privaten, händlerischen und musealen Feldern zu spannen.

Winkler zieht in seiner Auswertung der Böhler’schen Geschäftstätigkeit die Geschäftsbücher der Kunsthandlung von 1889 bis 1918 heran. Er ergänzt hierdurch die durch Angela Müller erfolgte Auswertung von 600 Briefen des Julius Böhler an den Berliner Museumsdirektor Wilhelm von Bode, welche bislang nur einzelne Nuancen seiner kunsthändlerischen Geschäftspolitik hervorzubringen vermochte. Die Böhler’schen Geschäftsbücher böten nach Winkler demnach einen unternehmenshistorischen Einblick, wie man ihn für die Branche des Kunsthandels bislang kaum untersuchen konnte.

Winkler beschreibt zunächst die Genese des Julius Böhler und beginnt hierbei in der Beschreibung des familiären Umfeldes. Böhler war jüngstes Kind einer Handwerkerfamilie aus dem Weiler Schmalenberg im südlichen Schwarzwald. Die Familie entstammte dem professionellen, durch Handarbeit geprägten Nagelschmiedehandwerk, welches in Folge steigender Unrentabilität und Stilllegung der Eisenhüttenwerke zum Ende der 1860er Jahre ihre Bezugsquelle und wirtschaftliche Perspektive verlor. Der Schwester Balbina wie auch den beiden Brüdern Julius und Wilhelm verblieb lediglich eine berufliche Neuorientierung qua Abwanderung, welche für Wilhelm und Julius in der Hausierertätigkeit resultieren sollte. Neben dem Handel mit Kurzwaren ergänzten alsbald „Altertümer“ das Verkaufsangebot der Böhler-Brüder und sie vermochten so, die historistisch geprägte Nachfrage eines solventen Bürgertums zu bedienen. Bereits vor der Niederlassung im Juli 1879 in München erwuchs um die Brüder ein reges Netzwerk, welches sich auch im Zuge weiterer Umzüge innerhalb der Kunststadt und nach einer räumlichen wie geschäftlichen Trennung vom Bruder Wilhelm noch zu erweitern wusste. Namen wie Alfred Pringsheim (1850-1941), Wilhelm Bode (1845-1929) und Heinrich von Tucher (1853-1925) zählten fortan zum Käuferkreis des Julius Böhler.

Winkler skizziert diverse Abschnitte und Details der kunsthändlerischen Tätigkeit des Julius Böhler, welche er in fünf Teilen chronologisch aufeinander aufbauend fortentwickelt. Einen Schwerpunkt der Schilderungen bildet dabei die Erörterung der anfänglichen Etablierung als Kunsthändler und des sozialen Aufstieges. In den fortlaufenden Kapiteln erfolgt sodann ein Nachzeichnen der Beschaffung und des Absatzes von Kunst im in- und ausländischen Kunsthändlermilieu. Winkler beleuchtet dabei nicht nur die internationale Streuung der Böhler’schen Kontakte, sondern ebenso essentielle wirtschaftliche Mechanismen des Kunsthandels. Die Beteiligung Böhlers in Kommissions- und Konsortialgeschäften subsumiert Winkler etwa unter das Phänomen der Preissteigerung von Kunstwerken. Ebenso lässt Winkler auch die Kooperations- sowie Konkurrenzrolle der Museen nicht außer Acht.

An zahlreichen Transaktionen exemplifiziert er die Geschäftstätigkeiten Böhlers. Hierbei schöpft er fortwährend aus den erwähnten Geschäftsbüchern, die Käufer und Verkäufer, Werktitel und Preis transparent werden lassen. Begleitend hierzu werden die besprochenen Käufer, Verkäufer, Kauf- und Verkaufsobjekte in zahlreichen Abbildungen für den Leser sichtbar. Es bleibt hierbei jedoch kaum bei der schlichten Nennung von Transaktionsdetails. Vielmehr gelingt es Winkler, die Tätigkeit Böhlers organisch in die ihn umgebenden kunsthändlerischen Mechanismen einzuordnen und – so etwa im dritten Teil der Monografie – Bilanzzahlen, kunsthistorische Expertisen und die Steuerung von Preisbildung in einen dimensionserweiternden Zusammenhang zu stellen. Gerade die enge Kopplung an die herangezogene Quellengattung erweist sich hierbei für Leser jedweden Vorwissens als besonders anschaulich. Sicherlich hätte – auch im Hinblick auf den Titel der Monografie „Vom Hausierer zum Multimillionär“ – eine Verbindung ebenjener (kunsthändlerischer) Erfolgsgeschichten mit dem oftmals anhaftenden Narrativ des „Parvenüs“ – gerade während des Aufschwunges am Kunstmarkt zur Zeit des Ersten Weltkrieges – durchaus noch Erwähnung finden können. Hierbei hätte insbesondere im Rahmen des fünften Monografieteils ein Blick auf Zeit- und Professionsgenossen wie etwa Alfred Flechtheim (1878-1937) geworfen werden können. Trotzdem überzeugt der Band durch die Transparentmachung des umfangreichen Quellenmaterials, welche Wirtschaftsgeschichte, Kunstgeschichte und den Kunsthandel in Einklang zu bringen vermag.