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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Gerd Holzheimer

Über die Schwelle. Die Familie Haushofer in Kunst, Wissenschaft und Politik

München 2023, Allitera, 215 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Nicola Bassoni
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 04.03.2025

Der Name Haushofer kursiert schon lange in der Geschichtsschreibung über die NS-Diktatur, den Zweiten Weltkrieg und den deutschen Widerstand – und zwar hauptsächlich dank zweier Figuren: Der des Geographieprofessors, Generalmajors a.D. und Hauptvertreters geopolitischen Denkens in der Zwischenkriegszeit in Deutschland, Karl Haushofer (1869–1946), und seines ältesten Sohnes, des Hochschullehrers und Mitarbeiters von Joachim Ribbentrop, Albrecht Haushofer (1903–1945), der nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 inhaftiert wurde und kurz vor seiner Ermordung durch die SS am 23. April 1945 die berühmten „Moabiter Sonette“ verfasste. Die einschlägige Literatur zu den beiden Persönlichkeiten ist bereits sehr umfangreich und von sehr unterschiedlichen, oft kontroversen Interpretationsvorschlägen geprägt. Hauptthemen sind dabei der angebliche Einfluss Karl Haushofers auf die Entstehung der NS-Expansions- und Lebensraumpläne, die tatsächliche Rolle Albrechts im Widerstand und der brisante Widerspruch ihrer scheinbaren Nähe zu einem biologistisch-rassistisch begründeten Regime, das ihre familiäre und persönliche Existenz prinzipiell gefährdete, da Martha Haushofer (1877-1946) - Karls Ehefrau und Albrechts Mutter - „Halbjüdin“ war.

Vor diesem Hintergrund bietet das Buch von Gerd Holzheimer eine erfrischende Perspektive auf die beiden Persönlichkeiten durch die Einbettung in eine mehrere Generationen umfassende Familiengeschichte, die mit dem Landschaftsmaler Maximilian Haushofer (1811-1866) und seinen Söhnen, dem Mineralogen Karl Haushofer „dem Älteren“ (1839-1895) und dem Nationalökonomen Max Haushofer (1840-1907) im Königreich Bayern beginnt und bis zu den heutigen Nachfahren im wiedervereinigten Deutschland reicht. Der Autor stellt die Geschichte der Familie Haushofer anhand einer Reihe von lebendigen Porträts ihrer Mitglieder dar. Darunter sind anerkannte Hochschullehrer, Schriftsteller, Maler und Dichter, aber auch hochbegabte Frauen, die sich ebenso wie die Männer der Familie wissenschaftlich, literarisch und künstlerisch, aber auch als frühe Frauenrechtlerinnen engagierten. Insgesamt ergibt sich ein spannender Einblick in die historische Entwicklung des bayerischen Bildungsbürgertums mit seinen Licht- und Schattenseiten, seinem sozialen Aufstieg, seinen kulturellen Ansprüchen jenseits der Trennung von Kunst und Wissenschaft, seiner Wendung vom Liberalismus zum Nationalismus und schließlich zur gefährlichen Faszination für den Nationalsozialismus bis hin zum Untergang in den Trümmern des zusammenbrechenden Dritten Reiches und der schwierigen Aufgabe, im Nachkriegsdeutschland mit seiner kompromittierenden Vergangenheit umzugehen.

Die Rekonstruktion der Geschichte der Familie Haushofer gelingt dank der Existenz von Familienchroniken, Lebens- und Tagebüchern sowie Privatarchiven, welche auf dem Familiengut des Hartschimmelhofs aufbewahrt und der Forschung zur Verfügung gestellt werden, in bemerkenswerter Weise. Ebenso zahlreich sind die Bildmaterialien wie Gemälde, Zeichnungen und Fotografien, die die wichtigsten Etappen dieser Familiengeschichte veranschaulichen und im gedruckten Format von Holzheimers Buch ihren Platz gefunden haben. Im Mittelpunkt steht die biographische Erzählung, wobei sich der Autor nicht dem Anspruch verschreibt, streng wissenschaftliche Ziele zu verfolgen, sondern vielmehr die wichtigsten historiographischen Fragen thematisiert und diese bisweilen ausführlich behandelt. Eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen Literatur bleibt jedoch unzureichend. Dies betrifft insbesondere die Analyse von Karl Haushofer, die sich hauptsächlich auf das 1979 erschienene Standardwerk von Hans-Adolf Jacobsen stützt, ohne jüngst erschienene und entscheidende Beiträge wie Christian W. Spangs „Karl Haushofer und Japan“ (2013) zu berücksichtigen. Darüber hinaus mangelt es in der gesamten Diskussion über die ambivalenten Beziehungen der anderen Familienmitglieder zum Nationalsozialismus an Hinweisen auf aussagekräftige Aspekte, wie beispielsweise die Rolle von Albrecht Haushofer in der politischen Reorientierung der Zeitschrift für Geopolitik zugunsten der Nationalsozialisten 1931 bis 1932 oder den intimen Zusammenhang zwischen geopolitischen Theorien und den zum Teil mystisch gedeuteten Agrarmythen, die noch in den Werken von Karls jüngstem Sohn Heinz Haushofer (1906-1988) auffindbar sind.

Abgesehen von den vorgebrachten kritischen Anmerkungen ist Holzheimers Geschichte der Familie Haushofer als eine angenehme und informationsreiche Lektüre zu bewerten, die sich insbesondere an eine breitere, nicht spezialisierte Leserschaft wendet. Es wäre jedoch wünschenswert gewesen, dass die wenig bekannten Familienmitglieder noch mehr Beachtung erhalten hätten, da allein die Betrachtung von Karl und Albrecht Haushofer nahezu die Hälfte des Buches einnimmt und die Bedeutung anderer spannender Figuren wesentlich überschattet.