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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Tobias Frese/Lisa Horstmann/Franziska Wenig (Hg.)

Sakrale Schriftbilder. Zur ikonischen Präsenz des Geschriebenen im mittelalterlichen Kirchenraum

(Materiale Textkulturen 42), Berlin/Boston 2024, De Gruyter, 297 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Klaus Herbers
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 28.04.2025

Es geht in diesem Band um die Bildlichkeit von Schrift. Diese Aspekte werden in den Beiträgen vor allem aus kunsthistorischer Perspektive in den Blick gerückt. Der Ansatz ist umso bedenkenswerter, als gerade im Mittelalter bei Leseunkundigen die Betrachtung von Schrift vielleicht wichtiger war als deren Entschlüsselung. Im Fokus steht also die Schriftbildlichkeit, wie dies nicht zuletzt in zahlreichen mittelalterlichen Handschriften – aber nicht nur dort – beobachtet werden kann.

Die Beiträge des Bandes gehen auf eine in Heidelberg 2022 durchgeführte Tagung des Sonderforschungsbereichs „Materiale Textkulturen“ zurück. Die verschiedenen Beiträge müssen sich auch mit der Tradition der im frühen Mittelalter umstrittenen figürlichen Bilder – denkt man nur an den Bilderstreit des 8. und 9. Jahrhunderts – indirekt auseinandersetzen. Zumal in den Libri Carolini wurde der Gegensatz von Schrift und Bild sehr deutlich unterschieden. Gleichzeitig zeigen zahlreiche Handschriften wie sehr Schrift „gemalt“, verziert und dekoriert werden konnte, so daß diese Unterscheidungen fließend ineinander übergehen konnten. Schriftzeichen konnten damit zugleich Sinnbilder werden, beispielsweise in liturgischen Büchern. Aber auch das Schriftbild insgesamt konnte ikonische und räumliche Dimensionen andeuten.

Sieht man auf die insgesamt elf Beiträge, die in einem einleitenden Text von den Herausgebern überzeugend situiert und vorgestellt werden (S. 1–15), so dominieren in den Einzelstudien Beobachtungen zu Inschriften, zu Handschriften sowie zu künstlerischen Werken, auf denen Schrift mit dargestellt wird. Es überwiegt der lateinisch-christliche Bereich, allerdings beschäftigt sich Katharina Theil mit einer arabisch-islamischen Inschrift in einem lateinischen Manuskript des frühen Mittelalters aus dem Bamberger Dom. Die vorgestellte Gemme als „islamisches Amulett“ wurde später bei der Einfügung in eine Evangelienhandschrift christologisch umgedeutet (S. 47–73). Lisa Horstmann untersucht ihrerseits hebraisierende Pseudoinschriften, vor allem in der Tafel- und Buchmalerei Stefan Lochners. Hier dienen Schriftzeichen dazu, das Spannungsverhältnis zwischen jüdischem und christlichem Verständnis von Schrift zu veranschaulichen (S. 163–184).

Mit Inschriften auf Altären, die im südfranzösischen und katalanischen Raum anzutreffen sind, beschäftigt sich Matthias Untermann und kann dabei vor allem individuelle Bedürfnisse für die Gestaltung verantwortlich machen (S. 17–45). Eine Pyxis aus der Neuwerkkirche (Goslar) wird durch die Inschriften nach der Ansicht von Jochen Hermann Vennebusch in ihrer Bedeutung der eucharistischen Theologie weiter aufgeladen (S. 75–102). Estelle Ingrand-Varenne untersucht die Inschriften am Heiligen Grab in Jerusalem in den Pilgerberichten des 12. Jahrhunderts und unterstreicht deren exegetische, liturgische und bildhafte Bedeutung (S. 253–273), Dennis Disselhoff beschäftigt sich mit Inschriften zur Helftaer Mystik und deren Aufladung mit Mirakeln (S. 275–293).

Der weitaus größte Teil der Beiträge handelt von der Schriftbildlichkeit im Zusammenhang mit Malerei und anderen künstlerischen Werken. Leo Pistorius beobachtet das Zusammenspiel von Schrift und Figurenbildern auf dem Braque-Triptychon des niederländischen Malers Rogier van der Weyden (S. 133–161). Fiammetta Campagnoli erschließt die Tafelmalerei „Der Ratschluß der Erlösung“ (1444–47) von Conrad Witz unter der Fragestellung, inwieweit hier das Verhältnis von Wort und Schrift erfasst werden kann. Sehr eindrücklich zeigt dies eine Darstellung des 15. Jahrhunderts (Fig. 3, S. 189), Maria vor einem Buch und ihrem Neugeborenen, eine treffende Abbildung zum Bibelwort des Johannesevangeliums: „Und das Wort ist Fleisch geworden“ (S. 185–203). Franziska Wenig widmet sich den Tituli in Apsismosaiken Roms, die neben den Bildern auch die Erinnerung an die Stifter auf andere Art und Weise sichtbar machen (S. 205–225). Auf die Wandmalereien katalanischer Apsiden verweist Susanne Wittekind und kann mit mehreren Beispielen deutlich machen, wie Bücher die Ich-Aussagen Christi (Ego sum lux; Ego sum via, veritas, vita) unterstreichen. Das Buch wird zum „Träger der ihm eingeschriebenen, biblisch-liturgischen Worte“ (S. 245); damit werden zugleich biblische Zentralaussagen in den Raum eingeschrieben (S. 227–252).

Das Buch erschließt damit exemplarisch das Thema an zentralen Beispielen, große Akademieprojekte wie das „Corpus Vitrearum Medii Aevi“ oder die „Deutschen Inschriften“ bieten mit ihren zahlreichen Bänden und Datenbanken reichhaltiges Material, um diese Thematik weiter zu vertiefen. Dem rezensierenden Historiker fällt demgegenüber auf, daß Fragen des Layouts mittelalterlicher Urkunden, die vor allem Peter Rück in die Diskussion eingebracht hat, nicht behandelt wurden. Dabei bieten die monogrammatischen Zeichen der Urkunde – nicht nur das Chrismon – ideale Beispiele, um zu zeigen, wie Schrift auf Nichtlesekundige wirken konnte und damit ikonische Präsenz auch beim Legen der Schriften auf den Altar gewinnen konnte. Dies unterstreicht aber nur, daß die Thematik des Bandes fruchtbar ist und noch gerne weitergeführt werden kann.