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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Gerd Schwerhoff

Der Bauernkrieg. Geschichte einer wilden Handlung

München 2. Aufl. 2025, C.H.Beck, 720 Seiten, 21 Abbildungen, 6 Karten


Rezensiert von Wolfgang Wüst
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 26.05.2025

Die interdisziplinäre und internationale Bauernkriegsforschung ist wahrlich kein Nebenschauplatz in den Publikations- und Tagungsforen vergangener wie gegenwärtiger Tage. Unter den bereits zahlreich erschienenen Tagungsbänden, die mit Blick auf Verkaufs- und Rezeptionszahlen frühzeitig publiziert wurden, kann man zum jetzigen Zeitpunkt (Mai 2025) in Auswahl nennen: (1.) den von Kurt Andermann und Gerrit Jasper Schenk herausgegebenen Band „Bauernkrieg. Regionale und überregionale Aspekte einer sozialen Erhebung“, Ostfildern 2024, (2.) den von Peer Frieß und Dietmar Schiersner begleiteten Band „‘Beschwert und überladen‘. Die Rolle regionaler Ressourcenkonflikte im Bauernkrieg von 1525“, Tübingen 2024, sowie schließlich (3.) den von Erika Kustatscher und Thomas T. Müller besorgten Band „Bauernkrieg im Vergleich. Tirol und Thüringen“, Innsbruck 2024, der sowohl die Reihe der Veröffentlichungen der Hofburg Brixen als auch die Schriftenreihe der Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung ziert. Ferner führen vier Monographien die Hitliste wissenschaftlicher Neuerscheinungen an. Zum Quartett aktueller Bauernkriegsforschung im klassischen zeitlichen Zuschnitt auf die europaweit relevanten, umstürzenden Freiheits- und Krisenjahre 1524/25 zählt (4.) die deutsche, 672 Seiten starke Ausgabe „Für die Freiheit. Der Bauernkrieg 1525“ aus der Feder der in Oxford lehrenden, australischen „Bestseller-Autorin“ Lyndal Roper. Die multilinguale Kulturhistorikerin ist für die entscheidenden Reform- und Reformationsjahre in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bereits durch wichtige Vorarbeiten bekannt geworden, zu denen ihre Lutherbiographie („Der Mensch Martin Luther – Die Biographie“, 2016) und das 1999 erschienene Buch zum „fromme[n] Haus. Frauen und Moral in der Reformation“ zählen. Ferner legte (5.) der in Göttingen lehrende evangelische Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann, seit 2011 Vorsitzender des Vereins für Reformationsgeschichte, seit 2016 Abt des Klosters Bursfelde und seit 2024 auch wissenschaftlicher Gesamtleiter der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, seine Monographie „Der Bauernkrieg. Ein Medienereignis“ im Herder Verlag vor. Der Bauernkrieg, der trotz blutiger Niederschlagung neben der Reformation die Neuzeit einleitete, wurde dabei vor allem im Spiegel von Flugschriften und anderen publizistischen Urteilen neu interpretiert, wobei die zum Teil ideologisch aufgeladenen Bewertungen ihrer zweckdienlichen Absichten für die herrschenden Stände systematisch entlarvt werden. Der an der Technischen Universität Dresden lehrende, renommierte Frühneuzeithistoriker Gerd Schwerhoff legte ebenfalls zeitig zum 500-jährigen Gedenken des Bauernkriegs gleich zwei gewichtige Werke zum Thema vor. Die Titel lauten: (6.) „Auf dem Weg zum Bauernkrieg. Unruhen und Revolten am Beginn des 16. Jahrhunderts“, Tübingen 2024, und (7.) „Der Bauernkrieg. Geschichte einer wilden Handlung“ 1. Aufl., München 2024, 2. Aufl. München 2025. Die größere der beiden Ausgaben – sie liegt mittlerweile in zweiter durchgesehener Auflage von 2025 vor – ist hier anzuzeigen.

Was kann zum Bauernkrieg, der seit Jahrhunderten Teil der deutschen wie der internationalen Geschichtsschreibung geworden ist, Neues beigetragen werden? Diese Frage stellten sich Autoren wie Leser erneut zum 500-jährigen Gedenken dieses Ereignisses, das schon im Werk des zeitgenössischen Chronisten Peter Harers nicht als Krieg, sondern als Empörung, Aufruhr oder Widersetzlichkeit bezeichnet wurde. Man ist auch deshalb gespannt, weil Gerd Schwerhoff, unter Berufung auf das in der Geschichtsschreibung lange als naiv geltende Ereignisfeld der Narrative, ausgerechnet die Ereignisgeschichte des Bauernkriegs zum „Herzstück“ (S. 16) seiner Abhandlung wählte. Damit ist allerdings eine neue Perspektive verbunden, wenn die Geschehnisse der Jahre 1524/25 nicht primär von den Ursachen her beobachtet werden und der implizite „Zirkelschluss“ auf die sozioökonomischen Anlässe als Teil eines zu „mechanistischen Verständnisses“ entlarvt werden. Primär soll deshalb erst von den Ereignissen her auf die Ursachen geschlossen werden. Ferner wird reklamiert, dass die bisherige Bauernkriegsforschung die räumliche und zeitliche Dimension der Ereignisse gerade angesichts einer von der Landes- und Rechtsgeschichte betonten verfassungshistorischen Diversität des Alten Reiches nicht ausreichend berücksichtigt hätte. Zu wenig Aufmerksamkeit wurde den Bewegungen und den Orts- und Landschaftswechseln der Akteure – Bauern wie Herren – gezollt. Und dann ist da noch der Untertitel „wilde Handlung“ erklärungsbedürftig. Der Verfasser bezieht sich dabei nicht so sehr auf die abwertende Sicht des Adels auf die aufständischen Bauern als ungebildete, ungehorsame wilde Horden („Haufen“), sondern auf die Struktur des Aufstands als einer komplexen und dynamischen Abfolge von Interaktionen und Kommunikation (S. 11). Was kündigt darüber hinaus der Klappentext des Verlags an? „Der Bauernkrieg von 1525 gilt als die größte Erhebung in Europa vor der Französischen Revolution. Er wurde als Aufstand für die Einheit der Deutschen, frühbürgerliche Revolution und Revolution des gemeinen Mannes gedeutet. Gerd Schwerhoff hat die Quellen neu gelesen und beschreibt anschaulich, was vor 500 Jahren geschah. Wer künftig über den Bauernkrieg mitreden will, wird an dieser fesselnden Darstellung nicht vorbeikommen.“

Die Arbeit gliedert sich in 18 Kapitel, eingerahmt von der Einleitung und dem abschließenden Epilog. Im Einzelnen wurden die Grundlagen gelegt mit 1., „Auf dem Weg zum Bauernkrieg“ (S. 17–62), einem Kapitel, das notwendigerweise in Teilen korreliert mit Gerd Schwerhoffs zweitem, gleichlautendem Buch, „Auf dem Weg zum Bauernkrieg“, sowie mit 2., „Vorboten und Beginn des Kriegs“ (S. 63–105) und 3., „Ausweitung und Bündnis“ (S. 107–129). Zu Beginn wird bereits eingelöst, was zuvor methodisch in Aussicht gestellt wurde. So differenzierte der Verfasser, anders als das Gros bisheriger Bauernkriegsforscher, zwischen den Bundschuh-Bewegungen am Oberrhein und dem Armen Konrad in Württemberg, da nur Letzterer als eine Art von Massenbewegung anzusprechen sei. War es die Massenbewegung, die zum späteren Signum des Bauernkriegs zählte, so zeichnete sich auch aus dem am Oberrhein und im Schwarzwald entstandenen Konflikt ab, der dann über die oberschwäbische Nachbarschaft in andere Teile des Alten Reiches getragen wurde, dass ab einem gewissen Zeitpunkt sich „diese territoriale Verflochtenheit geradezu zu einem Brandbeschleuniger für die Vernetzung der Untertanen“ auswuchs (S. 129).

Mit den Kapiteln 4., „Die Geburt einer Vision“ (S. 131–162), 5., „Frühes Ende der Illusion“ (S. 163–193), 6., „Ein Neues Kerngebiet des Aufruhrs“ (S. 195–249), 7., „Die heiße Flamme der Empörung“ (S. 251–296), 8., „Der Flächenbrand bleibt aus“ (S. 297–331), 9., „Höhepunkt des Bauernkriegs?“ (S. 333– 350), 10., „Verdikte und Visionen“ (S. 251–369), 11., „Eine Kette von Katastrophen“ (S. 371–402) und 12., „Untergang und Beharrung“ (S. 403–434), betritt der Autor systematisch die Schauplätze des Aufstands, die von März bis Juni 1525 von Memmingen über Leipheim und Weingarten in den deutschen Südwesten mit dem Elsass und der Neckarregion, nach Franken und Thüringen reichten. Eine Karte zur Verbreitung der Zwölf Artikel aus Memmingen, die auf ihre Art Weltgeschichte schreiben sollten, hätte der Abhandlung hier gutgetan, in Ergänzung beispielsweise zur Übersicht der Züge der fränkischen und württembergischen Haufen zwischen März und Juni 1525 (S. 203). Insgesamt kann man sich auf jeden Fall der Pressenotiz anschließen, die zum Schluss kommt: „Gerd Schwerhoff versteht es meisterhaft, den ganz unterschiedlichen Schauplätzen gerecht zu werden und ein neues farbiges Gesamtbild zu zeichnen.“ In diesen Abschnitten werden sicherlich viele bekannte Details ausgebreitet, doch führt Schwerhoff den Leser immer wieder auf neue und kritische Erkenntnisse. So schreibt er beispielweise zu den Zwölf Artikeln: „Den zahlreichen Drucken stehen keinerlei handschriftliche Fassungen gegenüber, und verlässliche Angaben zur Verfasserschaft fehlen ebenso wie Nachrichten über ihr Zustandekommen. So werden die zwölf Artikel seit rund einhundertfünfzig Jahren in der Forschung hin und her gewendet.“ (S. 146)  

Mit den Kapiteln 13., „Den Erzherzog herausfordern“ (S. 435–459), 14., „Aufstand in den Bergen“ (S. 461–477), 15., „Endgültige Liquidierung“ (S. 479–496) und 16., „Gaismairs Krieg“ (S. 497–510), rücken punktuelle Ereignisse in den Mittelpunkt der Abhandlung. Man merkt diesen Kapiteln an, dass die Ankündigung des Verfassers ernst gemeint ist, die quellennahen Narrative des Bauernkriegs nicht soziologisch abzukürzen oder beiseite zu schieben, sondern sie leserfreundlich zu zelebrieren, um anschließend die Ursachen analytisch zu klären. So wird diese Lesart am Beispiel der weniger bekannten Schlacht der einstigen Reichsstadt Pfeddersheim bei Worms über die Blutseite des Bauernkriegs und das in der Forschung lange vernachlässigte Zusammenspiel von Stadt und Land bei der Niederschlagung des Aufruhrs Ende Juli 1525 deutlich. „Als die Bauern allerdings in Schlachtordnung aus den Weinbergen herauszogen, wurden sie von der fürstlichen Artillerie [des pfälzischen Kurfürsten] schwer dezimiert. Sie drängten zum Rückzug in die Stadt, stauten sich aber vor der engen Stadtpforte. Um die 4000 Flüchtende schafften es nicht mehr hinter die schützenden Mauern und wurden in den Weinbergen und Wiesen vor der Stadt massakriert.“ (S. 480)

Weiterführende Analyse und perspektivische Interpretation werden im 17. Kapitel („Folgen und Nachwirkungen“, S. 511–529) deutlich, wenn es um die Opferzahlen des Bauernkriegs geht, die in den Chroniken, wie der des fränkischen Ritters Ambrosius Geyer, ziemlich unpräzise mit „über hunderttausend“ Toten angegeben wurden. Schwerhoff bleibt dabei nicht beim statistischen „body count“ stehen, sondern zeichnet auch den „Höllensturz“ der Überlebenden nach, der viele Aufständische am Ende nachhaltig traumatisierte (S. 512).

In der Gesamtbilanz der mit ausführlichem Anmerkungsapparat, einem Quellen- und Literaturverzeichnis, das keine erkennbaren Lücken enthält, sowie einem sorgfältig ausgearbeiteten Personen- und Ortsregister ausgestatteten Veröffentlichung ist keinesfalls der kurzgehaltene, aber aussagekräftige Epilog (S. 585–594) zu übersehen. Die Erinnerung an den Bauernkrieg wird hier seit der ersten wissenschaftlichen Gesamtdarstellung durch den Göttinger Historiker Georg Sartorius (1795) lebendig. Aufschlussreich ist die im Zuge der innerdeutschen Teilung nach 1945 erfolgte Instrumentalisierung des Bauernkriegs in der DDR als erste antifeudale frühbürgerliche Revolution, der das spezielle Gedenken an Thomas Müntzer in Thüringen und das am Ende nicht mehr haltungsgetreue Bauernkriegspanorama von Bad Frankenhausen folgten. In der BRD fiel das Gedenken deutlich geringer aus und war zudem stark regionalisiert. Bezeichnend war auch, dass die 1933 veröffentlichte Darstellung „Der Deutsche Bauernkrieg“ von Günter Franz noch vierzig Jahre später in Westdeutschland als Standardwerk zur Bauernkriegsforschung angesehen wurde. Der Epilog endet mit einem prognostischen Ausblick auf 2024/25, ohne vorher auf die zahlreichen Deutungstraditionen der „Revolution des Gemeinen Mannes“ des bedeutenden Bauernkriegsforschers Peter Blickle einzugehen. Bei aller berechtigten Kritik an dem 2017 in Saarbrücken verstorbenen Historiker wurden jedoch mit den von ihm verfassten, 28 einschlägigen und im Literaturverzeichnis genannten Publikationen Grundlagen gelegt, die auch der regional sehr ausgewogenen „wilden Handlung“ von Gerd Schwerhoff zugutekamen. Es waren schon die Zeitgenossen, die die Ereignisse als „wilde Handlung“ wahrgenommen hatten. Gerd Schwerhoff verstand es dabei meisterhaft, den ganz unterschiedlichen Schauplätzen gerecht zu werden und ein neues, farbiges Gesamtbild zu zeichnen. Die mit weitreichenden Deutungen interpretierten Ereignisse erscheinen so in neuem Licht, das durch die Vielzahl weiterer Publikationen zum 500-jährigen Gedenken 2024/25 nicht relativiert wird.