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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Franz X. Keilhofer

„Ich habe niemals ein Verbrechen begangen.“ Die Karriere des NSDAP-Kreisleiters Josef Glück – angeklagt wegen Massenmordes in der Ukraine

Regensburg 2023, Pustet, 512 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Teresa Lindner
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 06.06.2025

Die neuere regionalgeschichtliche Forschung konzentriert sich auf die Bedeutung lokaler NS-Funktionäre für Aufbau, Konsolidierung und Durchsetzung der Staatsgewalt. Schließlich waren es die mittleren und unteren Funktionäre in Partei und Verwaltung, die als Vertreter dieses Staats den „Volksgenossen“ am nächsten waren. Franz X. Keilhofer leistet mit seiner Biografie des NSDAP-Kreisleiters Josef Glück einen Beitrag zu diesen Forschungen. Sein Buch ist in neun Kapitel gegliedert. Jedes behandelt eine Station im Leben Glücks.

Die ersten drei Kapitel beschreiben den Weg Glücks bis zur sogenannten „Machtergreifung“ der NSDAP im Jahr 1933. Keilhofer beleuchtet dabei zunächst die Jugendzeit und den Werdegang des Hauptakteurs an der Glasfachschule in Zwiesel. Dabei geht er parallel auf die Entwicklung der NSDAP-Ortsgruppe in Zwiesel ein, die bereits 1921 eine der mitgliederstärksten Ortsgruppen Bayerns war (S. 16). Glück trat der SA mit 16, der NSDAP mit 18 Jahren bei. Keilhofer stellt die wichtigsten Akteure und Meilensteine der Parteigeschichte im regionalen Kontext ebenfalls vor. Nach der Neugründung der NSDAP im Februar 1925 weitet der Autor seinen Forschungsradius auf den Umkreis von Vilshofen und Regen aus und verknüpft dabei Ereignisse auf Lokalebene und aus Stationen in der Biografie Glücks mit der Parteigeschichte auf Gau- und Bayernebene. Im Winter 1932/33 trat Glück in Aldersbach, im heutigen Kreis Vilshofen, erstmals ins politische Rampenlicht: Er konkurrierte mit einem weiteren „Alten Kämpfer“ um die Leitung der dortigen Ortsgruppe.

Die Zeit nach dem 30. Januar 1933 war für Josef Glück einerseits durch Konflikte mit anderen Parteigängern um Leitungspositionen geprägt. Andererseits war er mit der Knüpfung von wertvollen Kontakten zu Funktionären aus übergeordneten Parteiebenen beschäftigt. Keilhofer gelingt es hervorragend, die Seilschaften rund um die Person Glücks aufzudecken. Er geht neben Glück auf weitere einflussreiche lokale Parteifunktionäre (zum Beispiel Kreis- und Ortsgruppenleiter sowie SA-Führer und SA-Sonderkommissare) ein. Dadurch wird deutlich, welchen Einfluss sie bei Aufbau und Sicherung der Diktatur, aber auch bei der Durchsetzung der Regierungsgewalt innehatten. Ihre breiten Handlungs- und Ermessensspielräume im Alltag wie beispielsweise bei der Personalpolitik in den Gemeinden und der Verfolgung politischer Gegner werden ebenfalls verdeutlicht. Glück knüpfte Verbindungen in die höheren Ebenen der Parteistruktur. Unter anderem näherte er sich dem stellvertretenden Gauleiter Ludwig Ruckdeschel an, der einer seiner wichtigsten Unterstützer werden sollte (S. 84). Das Beispiel Josef Glücks ermöglicht einen tiefen Einblick in die Verzahnung der beiden Parteiinstanzen Gau- und Kreisleitung.

Die Kapitel vier bis sieben wenden sich der Karriere Glücks in seiner Heimatregion zu. 1934 übernahm er die Kreisleitung für den Kreis Regen sowie das Amt des Bürgermeisters der Stadt. 1936 wechselte er als Bürgermeister von Regen nach Zwiesel. Später wurde ihm die Kreisleitung für Grafenau angetragen. Bis 1940 war Glück verantwortlich für die Kreise Regen, Grafenau, Wolfstein sowie Bergreichenstein. Letzteres war durch den Anschluss der Annexionsgebiete im „Sudetenland“ hinzugekommen. Glück wurde damit zu einem der mächtigsten Kreisleiter im Gau „Bayerische Ostmark“. Ein weiterer Schwerpunkt der Biografie liegt auf der Durchsetzung der NS-Gewaltherrschaft im Kreis Regen, wobei Glück sich gleichermaßen konsequent wie skrupellos zeigte. Er nutzte seine Handlungsspielräume gekonnt aus und ließ unliebsame politische Gegner verfolgen. Glück trieb auch die Maßnahmen gegen jüdische Mitbürger rigoros voran. Die Thematik wird anhand von Einzelschicksalen aus dem Kreis Regen besonders anschaulich und lebendig nacherzählt. Keilhofer geht hierbei auf drei jüdische Familien, die 1936 noch in Zwiesel lebten (S. 149–159), ein. Die Verfolgung der Gebrüder Fritz, die als sogenannte „Asoziale“ im KZ Mauthausen starben (S. 160–166), rekonstruiert er ebenfalls. Als Quelle dienen ihm hierzu Spruchkammerakten aus dem Staatsarchiv Landshut.

Die folgenden beiden Kapitel gehen sehr ausführlich auf die zwei Auslandseinsätze Glücks ein, wobei ein Schwerpunkt insbesondere auf seiner Zeit in der heutigen Ukraine liegt. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs mussten sich NS-Funktionäre, die aufgrund ihrer Tätigkeit für die Partei nicht für den Kriegsdienst eingezogen wurden, zu einem zeitlich begrenzten Einsatz beim Militär freiwillig melden. Glück entschied sich für die Waffen-SS. Doch einen Kriegseinsatz musste er aufgrund seiner Vernetzung in die oberen Parteiebenen nicht fürchten. Über seine Kontakte zur Gauleitung geriet Glück auch mit Alfred Rosenberg in Verbindung, der ihn in seiner Funktion als Reichsminister für die besetzten Ostgebiete nach Luzk in die heutige Ukraine abkommandierte. Luzk befindet sich in der Nähe der polnischen Grenze und lag damit weit genug von der Front entfernt. Als „Sonderbeauftragter“ in der Zivilverwaltung beteiligte sich Glück dort an den Massenerschießungen der jüdischen Bevölkerung, die zwischen August und Dezember 1942 stattfanden. Polizeieinheiten ermordeten mehr als 25.000 Jüdinnen und Juden. Die detailgetreue Rekonstruktion dieses Verbrechens und die Aufarbeitung der Rolle Josef Glücks dabei besitzt einen besonderen Mehrwert. Auf fast 200 Seiten widmet sich Keilhofer den Vorgängen in Luzk. Er arbeitet hier besonders mit direkten Zitaten, die er den Aussagen von Überlebenden und Zeugen entnommen hat. Diese Quellen stammen hauptsächlich aus den Akten des Mordprozesses gegen Glück in Hannover (Institut für Zeitgeschichte München und Niedersächsisches Landesarchiv) sowie aus Editionen von Zeitzeugenberichten. Das Stilmittel der direkten Rede hat Keilhofer nicht ohne Grund für die gesamte Biografie gewählt, wie er in seinem Vorwort herausstellt. Seine Absicht sei es, die handelnden Personen unmittelbar zum Leser sprechen zu lassen und es ihm dadurch zu ermöglichen, sich in die Geschehnisse hineinzuversetzen (S. 13).

Durch seinen lebendigen Erzählstil eignet sich die Biografie in gleicher Weise für die Lektüre durch fachfremdes Publikum. Der Autor bettet die Ereignisse in Niederbayern, aber auch die Geschehnisse in der Ukraine in den übergeordneten historischen Kontext ein. Methodisch verfolgt die Biografie eher den Ansatz einer quellennahen Nacherzählung der Ereignisse. Das Buch profitiert von dem vielseitigen Quellenkorpus, den Keilhofer als Grundlage verwendet. Bei seinen Recherchen hat er eine große Zahl von Archiven besucht. Neben den für die Lokalforschung relevanten Stadt- und Bistumsarchiven in Niederbayern sichtete der Autor eine große Zahl von Personal-, Entschädigungs- und Verwaltungsakten in den verschiedenen bayerischen Staats- und Hauptstaatsarchiven und weitete seinen Radius auf die Bestände des Bundesarchivs in Berlin aus. Bei einer so fundierten Quellengrundlage, wie Keilhofer sie in seiner Biografie präsentiert, hätte er leicht auf die Nutzung von Wikipedia verzichten können. Zusätzlich hat eine Vielzahl an Fotografien in das Buch Einzug gefunden, die jedoch eher der einfachen Illustrierung von Ereignissen und Akteuren dienen und keinen methodischen Mehrwert bieten. Sein im Vorwort formuliertes Ziel erfüllt der Verfasser: Er zeigt auf, welch wichtige Rolle Parteifunktionäre wie Josef Glück für den Aufbau und die Durchsetzung der NS-Diktatur spielten. Durch Glück wird deutlich, dass eine solche Karriere nicht an den Grenzen des eigenen Parteikreises enden musste. Die innerparteilichen Intrigen und Seilschaften, die Keilhofer ausführlich rekonstruiert, verhalfen Josef Glück zu einflussreichen Positionen wie der des „Sonderbeauftragten“ des Ministeriums Rosenberg. Das Buch leistet somit einen wichtigen Beitrag zur regionalgeschichtlichen Forschung.

Seine Verbindungen nutzte Glück stets zu seinem Vorteil. Als sich abzeichnete, dass der Krieg im Osten in einer Niederlage enden würde, erwirkte er durch seine Kontakte eine Versetzung nach Italien und entging damit erneut dem Fronteinsatz. Dort wirkte er als Experte für Zivilverwaltungsfragen. Das Buch endet mit einem Kapitel zur Internierung und Entnazifizierung des Hauptakteurs. Eine Verurteilung Glücks nach einer Anklage wegen Mord in mehreren Fällen sowie Beihilfe zum Massenmord kam nicht zustande. Das Verfahren in Hannover wurde wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten aus gesundheitlichen Gründen im April 1973 eingestellt. Josef Glück wurde niemals für seine Verbrechen belangt.