Aktuelle Rezensionen
Oliver Kruk/Michaela Schmölz-Häberlein (Hg.)
Sündige Seelen. Geistliche und deviantes Verhalten im Hochstift Bamberg des 18. Jahrhunderts
(Stadt und Region der Vormoderne 13), Baden-Baden 2024, Ergon, 309 Seiten
Rezensiert von Norbert Jung
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 14.07.2025
Der sexuelle Missbrauch durch Geistliche ist seit einigen Jahren in aller Munde. Insbesondere wird den Verantwortlichen in der Kirchenleitung übelgenommen, die Taten vertuscht und deshalb kaum etwas zur Verhinderung weiterer Verbrechen durch dieselben Täter beigetragen zu haben. Für Historiker ergibt sich daraus die bisher wenig erforschte Frage, wie man in früheren Jahrhunderten mit Geistlichen umging, die sich nicht den kanonischen Normen entsprechend verhalten haben, denn der Zölibat galt damals wie heute. Gibt es zu dieser Fragestellung überhaupt aussagekräftige Quellen? Vor diesem Hintergrund fand im Sommersemester 2016 an der Universität Bamberg eine Lehrveranstaltung zum Thema „Deviante Geistliche im Hochstift Bamberg im 18. Jahrhundert“ unter der Leitung von Michaela Schmölz-Häberlein statt, deren Ergebnisse im vorliegenden Band veröffentlicht werden. Tatsächlich fanden sich im Archiv des Erzbistums Bamberg im Bestand „Criminalia“ sowie in den Akten zum ehemaligen Klerikergefängnis im ehemaligen Kloster Schlüsselau zeitgenössische Unterlagen, die entsprechende Informationen bereithielten. Die Auswertung zeigte, dass schon damals von einer wirklich ernsthaften Verfolgung abweichenden bis verbrecherischen Verhaltens nur selten die Rede sein konnte. Vielmehr wurden die Delinquenten oft lediglich versetzt bzw. nach einer relativ kurzen Besinnungszeit in der domus demeritorum wieder in der Seelsorge eingesetzt. Die Opfer kommen in den Akten kaum je einmal zu Wort, Hinweise auf Wiedergutmachung finden sich nicht – soweit, so schlecht.
Der Begriff der „Devianz“, verstanden als „Verhaltensweisen, die von Normen und gesellschaftlichen Erwartungen abweichen“ (S. 24), wird – so die Einleitung – als Analysekategorie verwendet: Es handle sich um eine sozial konstruierte, fluide Zuschreibung. Sie trat vor allem in Form von Liebesbeziehungen, Gewalt und Schulden auf und hatte natürlich auch eine soziale Komponente: Das Umfeld, in dem der Geistliche Dienst tat, regelte das Zusammenleben nach anderen (ungeschriebenen) Gesetzen als die des Vikariats. In diesem Kräftedreieck (Behörde, soziales Umfeld und „Abweichler“) kam es nicht selten zu einer regelrechten „Normenkonkurrenz“ – ein Phänomen, das im Übrigen bis heute zu beobachten ist, wenn man z.B. den aktuellen Fall des vom Passauer Bischof abgesetzten Pfarrers von Hauzenberg betrachtet, für dessen Verbleib in der Gemeinde hunderte von Gemeindemitgliedern auf die Straße gehen. Damals wie heute ist natürlich auch von einer hohen Dunkelziffer nicht erfasster Fälle auszugehen. Sanktionen konnten ausbleiben (das abweichende Verhalten also geduldet werden), es konnte zur Stigmatisierung der Betroffenen bzw. zu Spott im Dorf führen, aber auch ernsthafte Maßnahmen wie etwa Ermahnung, Versetzung, Amtsenthebung, Gehaltsentzug bis hin zur Haft waren möglich. Ein Hauptziel der Vorgesetzten scheint es gewesen zu sein, dass der Skandal nach Möglichkeit nicht öffentlich werden sollte.
Die einzelnen Beiträge behandeln das Priesterhaus in Schlüsselau als Gefängnis und Versorgungsanstalt (Katharina Kempski, S. 39-79); den Fall des Bamberger Kanonikers Veit Pröstler, der eine der längsten Haftstrafen in Schlüsselau absitzen musste (Mark Häberlein, S. 81-110); einen skurrilen Fall verbotener Schatzsuche (Alissa d’Abbé, S. 111-139); die Karriere des Pfarrers Josef Maria Stern, der gleich mehrfach aktenkundig wurde (Oliver Kruk, S. 141-164); das Verfahren gegen den Kaplan Johann Blasius Ebertsch, bei dem es explizit um sexuellen Missbrauch bzw. um Vergewaltigung eines minderjährigen Mädchen ging (Michaela Schmölz-Häberlein, S. 165-199) sowie die delikaten Liebesbriefe des Kaplans Neubauer, die sich in den Ermittlungsakten erhalten haben und im Anhang des Sammelbandes ediert werden (Miriam Mulzer, S. 201-242, die Edition S. 243-272). Neubauer, der die Briefe offenbar angeregt durch literarische Vorlagen eigenhändig verfasste, gewährt uns damit einen seltenen Einblick „in die Gedanken- und Gefühlswelt eines katholischen Geistlichen“. Die „offene Thematisierung von sexuellen Phantasien“ sowie die „explizite Beschreibung von Geschlechtsverkehr“ können wohl wirklich als „exzeptionell“ bezeichnet werden (S. 239 f.). Offenbar scheint er aber auch mit einer gehörigen Portion Naivität gesegnet gewesen zu sein, denn es hätte ihm eigentlich klar sein müssen, dass die Beziehung mit seiner Anna Maria keine Zukunft hatte, jedenfalls nicht in einem katholischen Hochstift. Reizvoll wäre es gewesen, etwas über das weitere Schicksal seiner Partnerin zu erfahren – nach dem Quellenverzeichnis haben die Autoren nicht versucht, z.B. über die Pfarrmatrikel Näheres in Erfahrung zu bringen.
Formal ist das Werk sauber gearbeitet, Tippfehler, von denen doch einige stehen geblieben sind, fallen kaum ins Gewicht (jedoch: S. 134: recte „Monita secreta“ statt „Moneta secreta“; S. 141 f.: „der“ oder „das“ Zölibat? Ärgerlich auch der kleine Schönheitsfehler auf S. 46, Anm. 39, wo es statt „Schönborn“ irrtümlich „Schönberg“ heißt). Durch die Rezeption lokalgeschichtlicher Studien bzw. von aus Anlass von Jubiläen veröffentlichten Pfarrgeschichten (die durchweg in der Bibliothek des Diözesanarchivs vorhanden sind) hätte man die biographischen Angaben zu den behandelten Geistlichen in einigen Fällen noch erweitern können. Naturgemäß weisen die Beiträge zum Teil erhebliche Qualitätsunterschiede auf, stehen doch in diesem Band Aufsätze des Lehrstuhlinhabers neben erkennbaren Erstlingsarbeiten, was sich etwa bei theologischen Zusammenhängen durch Unsicherheiten der Terminologie zeigt (S. 111: die konsekrierte Hostie als „liturgisches Objekt“; S. 116: „Letzte Ölung“). Eine der Abbildungen (Abb. 7) aus den Liebesbriefen Kaplan Neubauers, die ein stilisiertes weibliches bzw. männliches Geschlechtsteil zeigen (S. 253 f.), ist im Editionsteil falsch zugeordnet und gehörte auf S. 267. Ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein unverzichtbares Orts- und Personenregister schließen den Band ab.
Der Sammelband versteht sich als Beitrag zum langwierigen Prozess der Aufarbeitung (sexuellen) Fehlverhaltens durch Kleriker. Es bleibt zu hoffen, dass die Kultur des Wegsehens, Vertuschens und Versetzens aufgrund der durchgreifenden Maßnahmen der aktuellen Diözesanleitungen endgültig der Vergangenheit angehört. Wie die vorliegenden Aufsätze zeigen, war es schon immer vergeblich und falsch zu hoffen, das Fehlverhalten von Klerikern unter der Decke halten zu können – irgendwann kommt sowieso alles ans Licht. Dafür ist der Archivleitung, den Autoren und den Herausgebern herzlich zu danken.