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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Kristin Knebel/Cornelia von Hessberg/Arne Schönfeld (Hg.)

Vor 1000 Jahren. Leben am Hof von Kunigunde und Heinrich II.

Regensburg 2024, Schnell und Steiner, 256 Seiten


Rezensiert von Norbert Jung
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 21.07.2025

„Das von der Kinoleinwand und von allerlei Mittelalterspektakeln geprägte Bild der Zeit hat mit der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen rund um die erste Jahrtausendwende nach Christus recht wenig zu tun“ – vor diesem Hintergrund sieht der oberfränkische Regierungspräsident Florian Luderschmid in seinem Vorwort des hier zu besprechenden Katalogs den Zweck der Ausstellung „Vor 1000 Jahren“ darin, einen „authentischen Blick auf die Menschen und auf die Gesellschaft des ausgehenden Frühmittelalters aus der Perspektive des gemeinen Volkes“ zu ermöglichen.

Der Band nähert sich seinem Thema in vier Kapiteln, die sich mit den Themenbereichen der „Alten Hofhaltung“ in der Bischofsstadt Bamberg (die sowohl Schauplatz der Ausstellung als auch authentischer Ort der kaiserlichen Pfalz war), „Macht und Herrschaft“ (hier geht es vor allem um die Herrschaftsstrukturen im Reich sowie die beiden Protagonisten Heinrich und Kunigunde), „Menschenleben“ (es wird ein Einblick in die Lebenswelt des einfachen Volkes geboten) sowie „Krieg und Gewalt“ (welche die damalige Gesellschaft in einem heute kaum mehr vorstellbaren Ausmaß prägten) beschäftigen. Die Kapitel werden jeweils mit einer durchweg flüssig geschriebenen Einführung aus der Feder des Kurators Arne Schönfeld thematisch eröffnet. Die relativ wenigen, für den Band exemplarisch ausgewählten Exponate sind zwischen die Essays eingestreut und meist doppelseitig durch eine ganzseitige Abbildung und eine trotz reichlich bemessenen Raumes auffällig kurze Beschreibung erschlossen.

Im ersten „Bamberger“ Kapitel überzeugen die beiden Beiträge des Stadtarchäologen Stefan Pfaffenberger mit ihrem gekonnten Überblick zu den Erkenntnissen der Archäologie hinsichtlich der Stadtentwicklung sowie der ländlichen Siedlungen der Region. Die Beiträge von Hildegard Sahler zur Baugeschichte der Hofhaltung sowie zu den lokalen Sakralbauten machen Appetit auf den für die nahe Zukunft angekündigten Kunstdenkmalinventarband zu den Hofhaltungsbauten, in dem sie ihre Erkenntnisse näher begründen und darlegen wird.

Im Kapitel „Macht und Herrschaft“ beleuchtet Ludger Körntgen den Herrschaftsaufbau und die Struktur des ottonischen Reiches und kommt dabei zum Fazit, es habe sich um eine „konsensuale Herrschaft mit geringer institutioneller Absicherung“ gehandelt, weshalb die Präsenz des Königs und symbolische Kommunikationsformen umso wichtiger gewesen seien. Der Beitrag von Klaus Rupprecht zu Siegeln als Symbol des Herrschaftsverständnisses setzt sich vertieft und detailliert mit seinem Thema auseinander, verwertet neueste wissenschaftliche Forschung und geht daher in seiner Qualität weit über andere Beiträge hinaus, die teilweise lediglich summarisch bereits allgemein Bekanntes zusammenfassen wollen, so z.B. der Aufsatz von Frauke Stange-Methfessel zu weiblicher Herrschaft am Beispiel Kunigundes. Karin Dengler-Schreiber beleuchtet gekonnt das Verhältnis von Kaiser und Kaiserin. Die von ihr als wahrscheinlich vermutete Behinderung Heinrichs ist inzwischen durch kürzlich durchgeführte anthropologische Untersuchungen an den Reliquien seiner Oberschenkelknochen nachgewiesen. Altmeister Bernd Schneidmüller blickt aus ungewöhnlicher Perspektive auf das „Wechseljahr 1024“, wobei er den Aspekt der Kontinuität betont, und Johannes Staudenmaier bespricht knapp den Zweck mittelalterlicher Urkunden. Ob am Anfang der Verehrung des heiligen Kaiserpaars tatsächlich „lokaler Ehrgeiz und päpstliche Machtansprüche“ (S. 113) standen, wie Antonia Anstatt in ihrem Beitrag resümiert, sei dahingestellt – sie schreibt ja selbst, dass die Entstehung beider Kulte aufgrund der Quellenlage schwer zu greifen sei (S. 110). Wahrscheinlich waren es doch eher Regungen der Volksfrömmigkeit, die von der Geistlichkeit beider Ebenen aufgegriffen wurden, und nicht umgekehrt.

Besser gelingt es dem dritten Kapitel, Klischees und Fehlschlüsse im Hinblick auf die damaligen Lebensbedingungen des einfachen Volkes zu hinterfragen. So überzeugt etwa der Beitrag von Andreas Büttner zur räumlichen und sozialen Mobilität einer „Gesellschaft in Bewegung“, und der Aufsatz von Kathrin Kania zur Textil- und Kleidungsproduktion im Mittelalter gewährt einen guten Einblick in ein damals im wahrsten Sinn des Wortes alltägliches Thema. „Weit hergeholt“ wirken hingegen die Ausführungen von Julia Ricken zur Archäologie des Alltäglichen – hätte es keine näherliegenden Grabungsorte als ausgerechnet Soest in Nordrhein-Westfalen gegeben, um die Darstellung zu untermauern? Ebenso referiert der Beitrag von Petra Wolters zur Archäobotanik bzw. -zoologie zwar neuere Forschungsergebnisse, ein Zusammenhang mit Bamberg oder dem Hof Heinrichs II. ist aber nicht erkennbar. Immerhin versuchen die Texte und Exponate dieses Kapitels die auf dem hinteren Einband angekündigte „Perspektive der allgemeinen Bevölkerung“ einzulösen.

Eine Stärke des Bandes liegt nach Meinung des Rezensenten im vierten Kapitel, das sich mit der Rolle des Krieges in der damaligen Gesellschaft auseinandersetzt, ist doch von Heinrich II. das Zitat überliefert: „Mich dürstet nach Krieg“. Arne Schönfeld argumentiert dabei gegen monokausale, allzu einfache und einseitige Erklärungsmuster und möchte von der Filmindustrie geprägte falsche Vorstellungen korrigieren. Es liegt auf der Hand, dass die Landbevölkerung die größte Last bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen tragen musste. Die Aufsätze von Pawel Figurski über den Konflikt des Königs mit Boleslaw Chobry und dessen Rezeption in der Geschichtsschreibung sowie von Philipp bzw. Annika Roskoschinski und Manuel Herper über den Liutizenbund gehören zu den qualitätsvollsten Beiträgen des Bandes und lohnen aufgrund ihrer differenzierten Betrachtungsweise hinsichtlich der Rolle der Kirche die Lektüre besonders.

Ein umfangreicher Anhang mit Exponatlisten, einem sauber gearbeiteten Abkürzungs-, Quellen- und Literaturverzeichnis sowie einem Namens- und Ortsregister schließen den Katalog ab, der jedoch einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt. Optisch und haptisch opulent aufgemacht, wirkt er wie der Begleitband einer Landesausstellung. Der Inhalt wird jedoch stark durch Aspekte geprägt, die auf der Einbandrückseite mit den Stichworten „leicht verständlich und übersichtlich“, „populäre Geschichtskultur“ und „wissenschaftlicher Nachwuchs“ angedeutet sind. Zu diesem Eindruck tragen auch an Karikaturen erinnernde Illustrationen bei. Da es das Anliegen der Kuratoren war, historische Zusammenhänge und Erkenntnisse unters „einfache Volk“ zu bringen, hätte es daher eine einfachere und vor allem erschwinglichere Publikation wohl auch getan. Nicht alle Beiträge bzw. Exponate erreichen das hohe Niveau, das man von einer Jubiläumsausstellung erwarten würde. Dem Rezensenten fielen vor allem in theologiegeschichtlicher Hinsicht Schwächen auf. So erscheint es beispielsweise fragwürdig, wenn im Band mehrfach von der „Feier des Abendmahls“ gesprochen wird, wobei eindeutig die Messfeier gemeint ist. Zumindest missverständlich ist zudem die Formulierung, Heinrich II. habe Bischofsweihen vorgenommen (S. 21) – gemeint sind wohl die entsprechenden Ernennungen. Für den Laien wird auf S. 106 nicht klar, dass im Hintergrund die eigentliche Streitfrage um die Verwendung von ungesäuertem Brot in der Eucharistiefeier steht. Es verwundert auch, dass die Bamberger Kaisermäntel weder im Kapitel „Macht und Herrschaft“ noch im Exkurs „Des Kaisers teure Kleider“ (S. 144) ihrer Bedeutung gemäß angesprochen werden.

Die Herausgeber standen vor der Schwierigkeit, das letzte der vielen 1000-jährigen Jubiläen zu Heinrich II. in Bamberg in eine Ausstellung zu transformieren, ohne nur Altbekanntes zu wiederholen. Sie haben das über bisher weniger ausgeleuchtete Inhalte versucht, was durchaus gelungen ist. Insbesondere bleibt zu hoffen, dass der Blick auf das „einfache Volk“, sei es als Objekt oder als Zielpunkt der Geschichtsvermittlung, Früchte getragen hat.