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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Peer Frieß/Dietmar Schiersner (Hg.)

„Beschwert und überladen“. Die Rolle regionaler Ressourcenkonflikte im Bauernkrieg von 1525

(Forum Suevicum. Beiträge zur Geschichte Oberschwabens und der benachbarten Regionen 16), Tübingen 2024, UVK, 453 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Wolfgang Wüst
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 16.09.2025

Der im Auftrag des 1986 begründeten „Memminger Forums“ von Peer Frieß und Dietmar Schiersner herausgegebene neue, 453 Seiten starke Tagungsband stand wie viele andere innovative Publikationen zum 500-jährigen Gedenken des deutschen Bauernkriegs (1524/25) trotz quellennaher regionaler Fokussierung vor dem Problem, einen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gepflegten wissenschaftlichen Diskurs um die strukturellen Gesellschaftskrisen und bäuerlichen Aufstände der Zeit mit neuen Fragestellungen zu erweitern oder zu präzisieren. Unterschiedlichste Interpretationen spiegelten sich schon bisher in der Terminologie wider, die je nach Sichtweise von Revolte, Revolution – darunter Peter Blickles Klassiker „Die Revolution von 1525“ (4. Aufl., 2004) –, frühem Klassen- und Kulturkampf, Freiheitstaumel, Aufruhr oder Unruhe bis zu den von Gerd Schwerhoff eingeführten „wilden“ Jahren reichte.

Bauernaufstände und Bürgerunruhen im späten Mittelalter und die Revolten des „Gemeinen Mannes“ zu Beginn der Neuzeit fanden dann vor allem in der sozial- und wirtschaftshistorischen Forschung der 1960er und 1970er Jahre ihre Autoren. Der Bauernkriegshype vom vergangenen und diesem Jahr (2024/25) hatte seine Vorläufer. 1975 gab es in der Rückschau auf 450 Jahre Bauernkrieg bereits Anlass zu einer förmlichen Flut von Ausstellungen, Katalogen, historischen Sachbüchern und wissenschaftlichen Publikationen. Es entstand ein international beachtliches Forum und man rieb sich an ideologisch ausgerichteten Meinungsmonopolen. In grenzüberschreitender Intention beschäftigten sich Bauernkriegsforscher im Zeichen des damals strukturprägenden West-Ost-Konfliktes auf der östlichen Seite des Eisernen Vorhangs mit der frühbürgerlichen (und bäuerlichen) „Revolution“, die im Klassenkampfkonzept marxistisch-leninistischer Auslegung den Auftakt bildete für soziale Widersprüche und das Anwachsen respektabler Volksbewegungen. Dieser Ansatz fand durchaus auch seine engen regionalen Bearbeitungsfelder und wurde zeitlich fortgeschrieben. Auf der westlichen Seite differenzierte sich – nicht zuletzt als Folge der Annäherung zwischen Ost und West – die durch Günther Franz seit 1933 in zahlreichen Auflagen noch einseitig politisch-rechtlich initiierte Deutung des Krieges zugunsten einer Sicht, die nicht nur politische und religiös-rechtliche, sondern auch soziale und ökonomische Aspekte gleichberechtigt sah.

Wo lag also 2024 die Lücke zu den Musternarrativen der Vergangenheit? Aufschlussreich ist hier der Merksatz der beiden Herausgeber aus der Bandeinleitung („Einführung. Ressourcenkonflikte als Zugriff auf die Geschichte des Bauernkriegs“, S. 11–18): „Im Zentrum unserer Konzeption stand die These, dass der Kampf für politische Partizipation, für Abschaffung der Leibeigenschaft und Verwirklichung reformatorischer Ideale von vielfältigen, latent wirksamen Ressourcenkonflikten beeinflusst wurde.“ (S. 14) Es ist daraus seitens der Herausgeber und Autoren die bemerkenswerte konzeptionelle Leistung entwickelt worden, 16 Beiträge mit unterschiedlichsten Themen in das Tagungskonzept einzubinden. Die Themenpalette war groß. Sie reichte, dreifach sektionsgeschieden, von Christian Pfister („Wärme, Kälte und eine angesagte Katastrophe. Klimatische Interpretationselemente zur Entstehung des Bauernkriegs 1471–1524“, S. 21–37) über Arman Weidenmann („Die Gotteshausleute beklagen sich beim Fürstabt. ‚Viler beschwärden, burdinen und lästen, als sie vermeinend, unzimlich beladen‘“, S. 95–120) und Wolfgang Scheffknecht („Im Kampf um die Ressourcen. Vorarlberg am Vorabend und zur Zeit des Bauernkrieges“, S. 121–159) bis zu Christoph Engelhards Lokalkolorit („Eine gesprächsbereite Herrschaft. Die Reichsstadt Memmingen und ihre Bauern vor und während des Bauernaufstandes 1525“, S. 247–286) und Thomas Pfundner („Die Beschwerden der Bauern des Irseer Klostergebietes von 1527“, S. 407–450). Dieser an das Gliederungsende gesetzte Beitrag zeichnete sich durch die Edition der Bauernbeschwerden aus der ostschwäbischen Reichsabtei Irsee aus – eine Handschrift des Staatsarchivs Augsburg mit der Signatur „Fürststift Kempten Archiv, Bd. 560/1, fol. 1–107“, in der von „empörung“, „beschwehrung“ und „underthänig bitten“ (S. 410 f.) die Rede war. Ferner wurde hier, ebenso wie von Gerhard Immler („Der Memminger Vertrag von 1526. Ein Meilenstein auf dem Weg zu einer kooperativen Agrarverfassung im Fürststift Kempten“, S. 385–405), dessen Beitrag auch das 17. und 18. Jahrhundert behandelt, die im Kontext des Bauernkriegs selten ernst genommene Untersuchungsperspektive der longue durée berücksichtigt. Das war auch 2024/25 das monographisch ausgeführte Anliegen des in Göttingen lehrenden (evangelischen) Kirchenhistorikers Thomas Kaufmann („Der Bauernkrieg. Ein Medienereignis”, 2024 im Herder Verlag in Freiburg/Breisgau erschienen) und des Dresdner Frühneuzeithistorikers Gerd Schwerhoff, der sich neben seiner luziden, aber minutiös auf die Jahre 1524/25 fokussierten Gesamtschau („Der Bauernkrieg. Geschichte einer wilden Handlung“, C.H. Beck Verlag 2024) auch auf die Vorgeschichte des Bauernkriegs einließ. Ebenfalls im UVK Verlag erschien dazu 2024 als 43. Band der Reihe „Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven“: „Auf dem Weg zum Bauernkrieg. Unruhen und Revolten am Beginn des 16. Jahrhunderts“.

Betrachten wir für ein Gesamtresümee Teile der vom ehemals in Konstanz ansässigen UVK Verlag – 2018 fusionierte er mit dem Narr Francke Attempto Verlag in Tübingen – vorgenommenen Produktbeschreibung. „Was mit Protestversammlungen und Beschwerdeschriften begann, endete wenige Monate später in blutigen Massakern mit Tausenden von Toten, dem sogenannten ‚Bauernkrieg‘. Wofür starben sie? Starben sie umsonst? Worum ging es wirklich? Die Masse der Bauern kämpfte schlicht für ein würdevolles Leben. Sie wollten ihre Familien ernähren, sie wollten ihre Angelegenheiten selbst regeln und sie wollten ihr Seelenheil sichern können. Das wollten ihre geistlichen und weltlichen Herren auch. Die Ressourcen hätten für alle gereicht.“

Der Schlüssel lag also bei den Ressourcen. Nicht alle Beiträge der hier anzuzeigenden Neuerscheinung tragen aber die alles entscheidende Ressourcenfrage auch im Titel. Zu diesem Kreis offensichtlicher Befürworter einer materiellen wie immateriellen Ressourcenfrage zählen beispielsweise der am Berner „Oeschger Centre for Climatic Change Research“ tätige Ulrich Pfister („Der gesamtwirtschaftliche Kontext von Ressourcenkonflikten. Deutschland in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts“, S. 65–91) und Stefan Huber, der aus Aspekten seiner Arbeiten am Historischen Atlas von Bayern die „Ressource Wald zwischen Landesherr und Untertanen im bayerischen Landgericht Tölz 1476–1528“ (S. 175–196) vorstellt. Ressourcen im Titel führen ferner Helmut Flachenecker („Der Kampf um immaterielle und naturale Ressourcen im Bauernkrieg in Franken. Von Häckern, Bauern und Stadtviertelsbewohnern“, S. 197–219), Uwe Schirmer („Ressourcenkonflikte in Thüringen und in den angrenzenden mitteldeutschen Regionen, 1446–1532“, S. 221–243) sowie der an der Carleton University im kanadischen Ottawa lehrende Johannes Wolfart („Disputes Over Pastoral Care as Resource Conflicts. Examples from Lindau in the Peasant’s War and beyond“, S. 287–314). Wie fruchtbar sich die zugespitzte Sicht auf Ressourcenkonflikte für die Interpretation oft untersuchter Quellen aus dem Bauernkrieg, wie der hundertfach zitierten Chronik des Weißenauer Abtes Jacob Murer (1468–1533) auswirkt, zeigt in überzeugender Weise der Leiter des Hauptstaatsarchivs Stuttgart, der Historiker und Archivar Peter Rückert („Der Abt im Konflikt. Jacob Murer und das Prämonstratenserstift Weißenau im Bauernkrieg“, S. 365–384).

Der redaktionell sorgfältig geführte, aber leider ohne Register gebliebene Tagungsband gibt zeitnah – das ist einerseits lobend hervorzuheben, andererseits blieb deshalb die Rezeption wichtiger jüngst erschienener Neuerscheinungen aus – die überarbeiteten Referate der vom 17. bis 19. November 2023 im Memminger Rathaus durchgeführten vorbereitenden „Konferenz“ wieder. Etwas bescheidener hätte man auch von wissenschaftlicher Tagung sprechen können. Schade ist ferner, dass der Leser nicht erfährt, warum es zwischen dem vorbereitenden Tagungsprogramm und dem gedruckten Tagungsband zu Abweichungen kam. So fehlt beispielsweise der Beitrag von Lea Wegner (Tübingen), die mit dem Titel „Legitimation als Ressource im württembergischen Bauernkrieg“ angekündigt war.

Künftig wird man bei der Frage, warum der Bauernkrieg ausbrach und warum er regional so unterschiedlich verlief, beziehungsweise warum manche Regionen vom Aufruhr 1524/25 völlig verschont blieben, gerne den vom Memminger Forum vorgestellten Terminus Ressource in all seinen natürlichen, materiellen wie immateriellen, sozial-, wirtschafts- und umweltbezogenen, hybriden, bildungsabhängigen sowie kulturellen Facetten in die Überlegungen aufnehmen. Warten wir voller Spannung auf den nächsten Bauernkriegshype.