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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Wilhelm Füßl

Arthur Schönberg (1874-1943). Ein Ingenieurleben im Schatten Oskar von Millers

München 2024, Deutsches Museum, 271 Seiten, zahlreiche Abbildungen


Rezensiert von Susan Splinter
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 23.09.2025

In der Einleitung erklärt der Autor, der ehemalige Leiter des Archivs des Deutschen Museums, seine Fragestellung, Herangehensweise und die Quellenlage. Mit der Biografie zu Arthur Schönberg, Cousin des weltberühmten Musikers Arnold Schönberg, wird eine heute weitgehend vergessene Persönlichkeit untersucht, die seinerzeit als erfolgreicher Mitarbeiter und Teilhaber eines „der bedeutendsten Planungsbüros für Energiefragen“ (S. 10) schon damals im Schatten seines Vorgesetzten, Oskar von Millers, stand. Um diesen „Akteur der zweiten Reihe“ (S. 13) zu biografieren, wurden neben schriftlichen Quellen (vor allem aus dem museumseigenen Archiv) Erinnerungen von Familienmitgliedern herangezogen. Der Autor hat viele Hinweise aus verschiedenen Archiven zusammengetragen, um ein möglichst umfassendes Bild Schönbergs zeichnen zu können.

Das in sechs Kapitel unterteilte Buch beginnt – klassisch für eine Biografie – mit Schönbergs familiärer Herkunft, seiner Kindheit und Ausbildung in Wien und seinem sozialen Umfeld. Der anschließende Berufseinstieg und die Eheschließung werden als geradlinig verlaufende Lebensereignisse geschildert; im Gegensatz zu anderen Biografien (vgl. Ulrike Enke, Emil von Behring, 2023) werden hier keine Zweifel, Sackgassen o.ä. erwähnt. Anhand einer überlieferten Inventarliste skizziert Füßl überzeugend und anschaulich den bürgerlich-repräsentativen und zugleich modernen Haushalt Schönbergs. Im zweiten Kapitel wird Schönbergs Familie ausführlich vorgestellt, indem zuerst seine Ehefrau einschließlich ihrer Herkunftsfamilie und dann die beiden Töchter porträtiert werden. Dies ist dahingehend spannend, weil es Einblicke in die sozialen und kulturellen Hintergründe von Schönbergs Haushalt und Leben gewährt.

Im anschließenden Kapitel wird Schönbergs Karriere im Ingenieurbüro Oskar von Millers insofern dargelegt, als Füßl die Projekte Millers und anhand der raren Quellenbasis Schönbergs Anteil daran vorstellt, beispielsweise an der Projektierung und Realisierung des Walchenseekraftwerks und des Thüringenwerks. Anhand von Schönbergs Buch „Landes-Elektrizitätswerke“ (1926), das in Zusammenarbeit mit seinem Kollegen Ernst Glunk entstand, und einer Pilotstudie zum elektrischen Kochen in Schweinfurt und Schwandorf Ende der 1920er Jahre und zur Reichselektrizitätsversorgung zeigt Füßl die verschiedenen Arbeitsbereiche Schönbergs und präsentiert einleuchtend, dass Schönberg vor allem als Gutachter tätig war. Planung, Koordination und Auswertung von Modellversuchen gewährten erstmals belastbare Aussagen zur Nutzung elektrischen Stroms in Haushalten verschiedener sozialer Schichten und sorgten für eine Ausweitung des Angebots von Elektrizitätswerken. Laut Füßl ermöglichten Schönbergs Publikationen Akzeptanz und vermehrte Nutzung der elektrischen Küche. Die starke Betonung auf Schönberg und Miller verdeckt, dass weitere Faktoren (u.a. Kundenakzeptanz) eine Rolle bei der Durchsetzung der elektrischen Küche spielten. Auch bei der Darstellung zu den von Schönberg erstellten und ausgewerteten Fragebögen – sowohl bei der Gutachtertätigkeit als auch bei musealen Bestrebungen – fehlt eine Einordnung in die bisherige Forschung zu Gutachtertätigkeit. Eine Analyse der konkreten Arbeitspraktiken, deren Herkunft und Weiterentwicklung (in anderen Feldern?) hätte die Perspektive über das rein deskriptiv Biografische hinaus geöffnet.

Schönbergs Engagement bei der Gründung und Etablierung des Deutschen Museums wird im vierten Kapitel vorgestellt. Schönberg war als Leiter der wissenschaftlichen Abteilung des neu entstehenden Museums für Ermittlung, Beschaffung, Anordnung und Erläuterung der Museumsobjekte zuständig sowie für die Mitgliederwerbung und die Stiftungen zum Museumsneubau. In diesem Zusammenhang erledigte Miller vor allem Korrespondenz und bewies Verhandlungsgeschick. Schönberg organisierte die inhaltliche Zuarbeit, warb Objekte ein, leitete das neu eingestellte Museumspersonal an und erledigte die Öffentlichkeitsarbeit, indem er die Tagespresse über Spenden, Objektstiftungen und erfolgreiche Sitzungen informierte. Auch wenn sich Schönberg nach 1907 wieder mehr in das Ingenieurbüro Millers einbrachte, für das er Prokura erhielt, so war er weiterhin als Protokollführer, Redakteur, Autor und Planer (z.B. für den Bau des Bibliotheksgebäudes) für das Museum tätig. Die antisemitischen Ausfälle gegen Schönberg und auch Miller nahmen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zu, wie Füßl beispielhaft anführt. Nach dem Tod Millers 1934 wurde Schönberg bereits im selben Jahr aus dem Deutschen Museum gedrängt, im Ingenieurbüro arbeitete er noch bis 1935 und war 1937 als Gesellschafter ausgeschieden. Diese und weitere entrechtlichende Maßnahmen zeigt Füßl sehr detailliert im vorletzten Kapitel. Erst die Novemberpogrome 1938, bei denen Schönberg in Dachau interniert wurde, verdeutlichten ihm, wie gefährdet er war. In der Folge versuchte er zu emigrieren, was nicht gelang; stattdessen erlebten er und seine Familie Entrechtung, Ausgrenzung und 1942 die Deportation nach Theresienstadt, wo er und seine Frau starben. Abgerundet wird das Buch mit einer Würdigung, die noch einmal Schönbergs Leistungen als Ingenieur in Millers Büro und bei der Gründung des Deutschen Museums zusammenfasst, einem Literatur- und Abbildungsverzeichnis sowie einem Namensregister.

Einige Uneinheitlichkeiten irritieren: So wird Machtergreifung mal mit, mal ohne Anführungszeichen gesetzt (z.B. S. 52 u. 60); geografische Angaben werden verschieden angegeben (rein deutsche Bezeichnung slawischer Ortsnamen, S. 26, in Klammern mit heutigen Namen, S. 61, oder in Klammern mit heutigem Namen und Land, S. 27). Und die Gleichsetzung von „russisch“ und „sowjetisch“ (S. 161 f.) ist schlicht falsch. Trotz dieser Monita hat Füßl mit der Lebensbeschreibung Schönbergs erstmalig und akribisch die Leistungen eines Mannes sichtbar gemacht, der bis heute im Schatten Oskar von Millers steht. Und es ist zu wünschen, dass aufbauend auf diesem Buch Schönbergs vielschichtige Arbeitspraktiken in weiteren Studien analysiert und eingeordnet werden.