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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Dorothée Goetze/Lena Oetzel (Hg.)

Early Modern European Diplomacy. A Handbook

Berlin/Boston 2024, De Gruyter Oldenbourg, VIII + 830 Seiten


Rezensiert von Regina Dauser
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 02.10.2025

Ein Handbuch zur frühneuzeitlichen Diplomatiegeschichte, das grundlegende Informationen zu diesem Forschungsfeld bietet und aktuelle Forschungsperspektiven wie den gegenwärtigen Forschungsstand umreißt – wahrlich seit vielen Jahren ein Desiderat. Dorothée Goetze und Lena Oetzel haben sich als Herausgeberinnen dieser Lücke angenommen und das mehr als 800 Seiten starke englischsprachige Werk unter dem Titel „Early Modern European Diplomacy“ 2024 publiziert. Von „Einleitung“ bis „Epilog“ sind insgesamt 39 Beiträge eines internationalen Kreises von Expertinnen und Experten versammelt, gegliedert in sieben Abteilungen und mit einer kleinen Auswahlbibliographie zu Quellen bzw. Quelleneditionen ergänzt.

Mit ihrer Einleitung formulieren die Herausgeberinnen die zentrale Frage, die Vertreterinnen und Vertreter der „Neuen Diplomatiegeschichte“ seit gut 20 Jahren aus verschiedenen Blickwinkeln bearbeiten: „How to Approach Early Modern Diplomacy in Its Diversity?“ (S. 1) Mit der Weitung der Perspektiven auf den diplomatischen Austausch über eine traditionell ereignis-, politik- und rechtsgeschichtliche Orientierung hinaus ist eine neue Konjunktur diplomatiegeschichtlicher Forschung entstanden. Deren Perspektiven und Ergebnisstand will das Handbuch präsentieren, ohne die nach wie vor bestehenden Forschungslücken oder bislang nur punktuell bestellten Forschungsfelder angesichts einer für lange Zeit bestehenden Konzentration auf west- und südeuropäische Mächte zu negieren, nicht zuletzt angesichts der Gefahr eurozentrischer stereotyper ‚Entwicklungsgeschichte‘ infolge unserer nach wie vor bescheidenen Kenntnis frühneuzeitlicher diplomatischer Usancen außereuropäischer Mächte. Die kulturgeschichtlich und historisch-anthropologisch grundierte Weitung des Blicks, wesentlich von einer mikrogeschichtlichen Fokussierung auf Akteurinnen und Akteure und deren Praktiken getragen, prägt denn auch die Gliederung der sieben Sektionen des Handbuchs, zwischen denen selbstredend vielerlei Querbeziehungen bestehen (müssen). Sektion I greift mit „Historiographical perspectives“ die zentralen Ansätze der Neuen Diplomatiegeschichte, die in der Einleitung umrissen wurden, vertiefend auf: im Hinblick auf Akteurszentriertheit und praxeologische Perspektive, auf außereuropäische Sichtweisen, weiters bezogen auf die Verbindung zur politikwissenschaftlichen Perspektivierung „Internationaler Beziehungen“. Sektion II widmet sich „(Contemporary) Diplomatic Discourses“, wofür die Forschung zu Handbüchern über den Diplomaten und seine Tätigkeit, die Repräsentation diplomatischer Aktivitäten in frühneuzeitlicher Literatur und schließlich der Gebrauch der bildenden Kunst in Kontexten der Diplomatie beleuchtet wird. Etwas schade aus medien- und wissensgeschichtlicher Sicht ist in diesem Abschnitt freilich, dass die zeitgenössische publizistische Verarbeitung diplomatischen Wirkens nicht herangezogen wird (vgl. hierzu beispielsweise Benjamin Durst, Archive des Völkerrechts, 2016).

Diachrone, nach den entsendenden Mächten sortierte Zugänge zur Diplomatiegeschichte kennzeichnen Sektion III. Der Zugriff mag auf den ersten Blick konventionell erscheinen, ist jedoch unverzichtbar. Es gilt nicht nur, den Erwartungen an ein Handbuch, zumal für „Einsteiger“ in die Thematik, gerecht zu werden. Für manche der hier dargestellten Mächte sind kompakte diplomatiegeschichtliche Überblicke neueren Datums ein Desiderat. In ihrer Summe verdeutlichen die Beiträge dieser Sektion erst recht die bisweilen extrem unterschiedlichen Kontexte und Vorbedingungen diplomatischer Aktivität. Dass hier Schwerpunkte gesetzt werden müssen und der Zuschnitt der Kapitel, etwa zu Nord- und Osteuropa, auch Forschungslücken bzw. ‚blinde Flecke‘ früherer Forschung spiegelt, stand zu erwarten. Zugleich zeigt die mehrfache Repräsentation osmanischer diplomatischer Aktivitäten in diesem Band, wie groß gerade das Potential der Erforschung des politischen Austauschs mit Akteuren und Kulturen ist, die beide Seiten vor besondere Herausforderungen stellten.

Die nachfolgende Sektion IV widmet sich den Schauplätzen der diplomatischen Interaktion und rückt damit neben den für lange Zeit in der Forschung dominierenden diplomatischen Zentren der Fürstenhöfe und der Kongresse auch Städte sowie Reichstage des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation ins Licht. Dass die Sphäre „Hof“ dabei mit drei Beiträgen vertreten ist, da dem Osmanischen Hof sowie der Kurie eigene Artikel aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für die europäische Diplomatie gewidmet werden, erscheint angemessen. Für ständische Versammlungen über den Reichstag hinaus bleibt zwar in dieser Sektion nur ein Seitenblick, doch dazu können weitere einschlägige Artikel des Handbuchs, so aus der Mächte-Sektion III, grundlegende Informationen, Anhaltspunkte und Referenzen auf zentrale Werke der Forschung liefern – diese gegenseitigen Verflechtungen und Ergänzungen sind zweifelsohne eine Stärke der Konzeption dieses Bandes.

Sektion V gehört schließlich mit vier Artikeln diversen Gruppen von Akteurinnen und Akteuren des diplomatischen Austauschs. Den entsendenden Personen und Institutionen in ihrer Vielfalt, bis hin zu einer Handelsorganisation wie der Vereinigten Ostindischen Kompanie, sodann den im offiziellen diplomatischen Verkehr Tätigen, weiters speziell Frauen in der Diplomatie, deren Rolle mittlerweile in vielen Facetten erforscht ist, und schließlich frühneuzeitlichen Konsuln und ihren diplomatischen Aktivitäten ist jeweils ein eigener Beitrag gewidmet. Nicht zuletzt an der Rolle von Frauen im diplomatischen Austausch, abhängig von deren verwandtschaftlichen Verbindungen und bzw. oder ihrem persönlichen Zugang zu politisch einflussreichen Personen, lassen sich sowohl die Quellenproblematik der Erforschung von Akteursgruppen, die jenseits der offiziösen Sphäre tätig wurden, als auch die wichtigen Erträge und noch zu bestellenden Forschungsfelder der Neuen Diplomatiegeschichte intensiv verfolgen.

Sektion VI, den Praktiken gewidmet, ist nach der Darstellung einzelner entsendender Mächte nicht von ungefähr der zweitumfangreichste thematische Abschnitt des gesamten Bandes und illustriert noch einmal die Breite der neuen diplomatiegeschichtlichen Forschung, unter der Ausweisung weiterer Desiderate. Die Beiträge reichen vom diplomatischen Zeremoniell über die soziale Strukturierung von Akteursbeziehungen, etwa durch Patronagestrukturen, weiter zu Kommunikationspraxis und Spionage, Gabentausch, Theater- und Festkultur, Finanzen, Deeskalations- und Vermittlungspraktiken bis hin zu exemplarischen Fragen des Kulturtransfers am schwedisch-osmanischen Beispiel und schließlich auch rezenten emotionsgeschichtlichen Zugängen.

Der Epilog weist schließlich ein Feld aus, mit dem Hochschullehrerinnen und -lehrer regelmäßig konfrontiert werden: der Repräsentation frühneuzeitlicher Diplomatie in den heutigen Medien, exemplarisch anhand von Film- und TV-Produktionen und eines Twitter-Accounts, der begleitend zur Arbeit am Handbuch ins Leben gerufen wurde. Filmproduktionen und soziale Medien prägen die Ansichten von Diplomatie, sie konturieren Bilder von diplomatischen Aktivitäten, sie vermitteln ein ‚Vorwissen‘, mit dem es auch von wissenschaftlicher Seite umzugehen und das es in der Kommunikation wissenschaftlicher Erkenntnisse zu reflektieren gilt.

Mit ihren Literaturhinweisen in den Fußnoten und den Auswahlbibliographien am Ende jedes Beitrags geben die Autorinnen und Autoren wichtige Hinweise zur Konturierung ihres jeweiligen Forschungsfeldes. Für Einsteigerinnen und Einsteiger stellt die kleine Quellenbibliographie im Anhang einen nützlichen Ausgangspunkt weiterer Recherchen dar. Nicht zu vergessen ist der Index, der für einen Band wie diesen nahezu unabdingbar, gleichzeitig durchaus aufwändig ist. Um so erfreulicher, dass sich das Herausgeberinnenteam, unterstützt von Georg Buchbauer, für die Erstellung entschieden hat.

Den Herausgeberinnen ist ein gewichtiges Handbuch gelungen, das als ein veritables Grundlagenwerk anzusprechen ist, in dem, klug organisiert, unverzichtbare Basisinformationen mit der Explikation von Forschungsperspektiven, dem gegenwärtigen Forschungsstand und der Ausweisung weiterer Desiderate verbunden werden. Für alle, die sich über das Forschungsfeld der Neuen Diplomatiegeschichte fundiert informieren möchten, wird es ein unersetzlicher Zugang werden und dabei helfen, Orientierung in einem derart facettenreichen, sich in Bewegung befindlichen Forschungsfeld zu gewinnen.