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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Aktuelle Rezensionen


Manuela Rienks

Ausverkauft. Arbeitswelten von Verkäuferinnen in der Bundesrepublik Deutschland

(Quellen zur Zeitgeschichte, hg. v. Institut für Zeitgeschichte 143), Berlin/Boston 2024, Walter de Gruyter,  531 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-11-114135-0


Rezensiert von Annegret Braun
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 07.10.2025

In ihrer Dissertation befasst sich Manuela Rienks mit den Arbeitsbedingungen und sozialen Strukturen von Verkäuferinnen in der Bundesrepublik von den 1950er bis zu den 1990er Jahren. Die Forschung beschränkt sich nicht auf reine Arbeitsplatz- und Betriebsanalysen, sondern bezieht auch soziale Prozesse und den gesellschaftlichen Kontext ein. Der Aufbau der Arbeit umfasst vier Themenkomplexe: 1. Die Sozialfigur der Verkäuferin, 2. die sozialen Strukturen, 3. die Arbeitsräume und 4. die Arbeitszeiten. Als Quellen verwendet die Autorin vor allem archivalische Dokumente von Betrieben aus dem Lebensmittel- und Textilbereich sowie Fachzeitschriften, Ratgeberliteratur und Ego-Dokumente wie Briefe, Tagebücher und Meinungsäußerungen.

Im ersten Themenkomplex „Die Sozialfigur der Verkäuferin: Allseits beliebt, trotzdem unterbezahlt“ kommen die Verkäuferinnen als Akteurinnen selbst zu Wort. Zudem zieht die Autorin Stellenanzeigen heran, die zeigen, welche Erwartungen an die Verkäuferin in den 1950er und 1960er Jahren gestellt wurden. Sie sollte Freude an der Arbeit haben und „zuverlässig“ und „tüchtig“ sein. Auch ein gepflegtes Äußeres war wichtig. In den 1950er und 1960er Jahren hatte die Verkäuferin den Quellen zufolge ein positives und selbstbestimmtes Bild von sich. Mit dem Aufkommen der Selbstbedienung in den 1970er Jahren ändert sich dies, weil sie sich in einer marginalen Rolle sah. In den 1980er Jahren zeigen die Selbstbeschreibungen der Verkäuferinnen, dass sie die Bedeutung des Berufs reflektierten und Ungleichheiten kritisierten.

Den zweiten Themenkomplex überschreibt Rienks mit dem Titel „Arbeit im Verkauf – (K)ein Bund für’s Leben“. In den 1950er und 1960er Jahren galt der Mann als Ernährer, während die Ehefrau für den Haushalt und die Versorgung der Familie zuständig war. Dies wirkte sich auch auf das Beschäftigungsverhältnis aus. So wurden bei dem Textilunternehmen C&A verheiratete Frauen nicht eingestellt oder entlassen, weil die Geschäftsleitung der Ansicht war, dass die verheiratete Frau ihren hausfraulichen Verpflichtungen nicht gerecht werden könne. Erst 1956 wurde verheirateten Frauen Teilzeitarbeit angeboten. Das Lebensmittelunternehmen Gaissmaier hingegen richtete Kinderbetreuungsstätten ein, um die Frauen zu halten, zumal Arbeitskräfte fehlten. Bei männlichen Beschäftigten spielte die Vereinbarkeit von Beruf und Familie keine Rolle.

Die Autorin widmet sich nicht nur den weiblichen Beschäftigten im Einzelhandel, sondern auch den männlichen. In der Hierarchie standen Männer über den Frauen, da sie in der Regel Führungspositionen innehatten, obwohl die weiblichen Beschäftigten in der Überzahl waren. Im Lebensmittelunternehmen Gaissmaier waren zwar zunächst auch Frauen in Führungspositionen, aber auch dort übernahmen zunehmend Männer eine leitende Stellung. Da die Arbeit im Einzelhandel vor allem von einem großen Frauenanteil und geringen Verdienstmöglichkeiten geprägt war, versuchten die Unternehmer männliche Beschäftigte zu gewinnen, indem sie ihnen Aufstiegschancen versprachen.

Der dritte Themenkomplex trägt den Titel: „Weniger bedienen, weniger wert: weibliche Beschäftigte im Verkaufsraum“. Das Aufkommen der Selbstbedienung betraf vor allem die Frauen „und wirkte sich auf das Ansehen des Verkaufspersonals im gesamtgesellschaftlichen Gefüge aus“ (210). Manuela Rienks stellt differenziert die veränderten Verkaufspraktiken für Kundschaft und Verkaufspersonal dar. Drehkreuze, Ladenmusik und Einkaufswagen standen am Beginn des Einkaufens anstelle der Kundenbegrüßung. Die Beratung fiel weg, da die Informationen nun auf der Verpackung standen. Im Textilgeschäft sollte das Kaufen zum Erlebnis werden. Eine besondere Belastung für das Verkaufspersonal war der Schlussverkauf, der großes Gedränge mit sich brachte.

Mit der Entwicklung zur Selbstbedienung änderte sich auch das Kassieren. Die Autorin gliedert die Arbeitsräume in Verkaufsraum und Kassenraum. Der Kassenarbeitsplatz wurde ein eigener Bereich mit neuen Anforderungen, so auch die Computerisierung. In den 1980er Jahren lösten der Barcode und das Einscannen das Eintippen der Preise und Artikelnummern ab. Computerisierte Warenwirtschaftssysteme waren eine weitere Neuerung, die auch die Verwaltung der Waren und des Lagers umfasste. Eine letzte große Neuerung entstand mit den „Self-Scanning-Systemen“, bei denen die Kunden selbst die Waren einscannen. Die Praktik des Kassierens trug dazu bei, die Arbeit der Verkäuferin zu marginalisieren und das soziale Ansehen der arbeitenden Frau zu minimieren.

Im vierten Themenkomplex „Tante Emma macht jetzt Teilzeit: Arbeitszeit und Ansehen im Einzelhandel“ befasst sich die Autorin mit den Arbeitszeiten.  Zunehmend waren auch verheiratete Frauen berufstätig. Mitte der 1980er Jahre waren 70 Prozent Frauen im Einzelhandel beschäftigt. Aufgrund der Vereinbarkeit von Beruf und Familie arbeiteten viele Frauen – bis zu 97 Prozent – in Teilzeit oder als Aushilfe. Die Autorin untersucht, welche Auswirkungen dies auf das Ansehen und die weibliche Erwerbsbiografie hatte. In den 1960er und 1970er Jahren bot Teilzeitarbeit verheirateten Frauen zwar die Möglichkeit, berufstätig zu sein, doch eine eigenständige Erwerbsbiografie ließ sich darauf nicht aufbauen. Die meisten Frauen blieben in untergeordneten Positionen. Mitte der 1980er Jahre wurden die strukturellen Nachteile der Teilzeitarbeit juristisch behandelt. Die Gerichte bis zum Europäischen Gerichtshof urteilten, dass Frauen nicht aufgrund ihrer Teilzeitarbeit diskriminiert werden dürfen. Auch staatliche Stellen informierten Frauen, wie sehr sie durch Teilzeitarbeit benachteiligt waren, etwa durch fehlende Aufstiegsmöglichkeiten und Benachteiligung in der Sozialversicherung. Die Argumentation, dass Teilzeit zwar häufig auf Wunsch der Frauen geschah, kontert Rienks damit, dass dieser Wunsch auf die Erfordernisse ihrer Lebenssituation zurückzuführen ist, weil die Frauen für die Kinderbetreuung und Haushalt zuständig waren.

Die Autorin thematisiert auch den Einfluss der Ladenschlussgesetze und die Auswirkungen auf die Arbeit der Verkäuferinnen. Sie zeigt die verschiedenen Interessen auf, die diskutiert wurden: Auf der einen Seite standen die Bedürfnisse der Berufstätigen, die kaum Zeit fanden, nach der Arbeit einzukaufen und auf der anderen Seite stand die Arbeitsbelastung der Verkäuferinnen. Die gesellschaftliche Debatte zeigte eine geringe Wertschätzung weiblicher Arbeit.

Manuela Rienks Dissertation ist ein wichtiger historischer Beitrag zu einem sehr verbreiteten Beruf, der bis heute vor allem von Frauen ausgeübt wird. Die Autorin schließt damit eine Forschungslücke, auch indem sie arbeits- und geschlechtsgeschichtliche Perspektiven mit einer Mikroperspektive auf Einzelhandelsbetriebe verknüpft. Es ist ein sehr vielschichtiges Thema, das Rienks umfassend und fundiert bearbeitet hat. Stellenweise geht sie sehr ins Detail. Die Arbeit ist jedoch gut strukturiert und zeigt auf, wie sich der Beruf entwickelt hat und wie sich diese Entwicklung auf die Gegenwart auswirkt. Die Autorin arbeitet heraus, wie die Strukturen im Einzelhandel dazu beigetragen haben, dass die Verkäuferinnen an den Rand gedrängt wurden. Das soziale Ansehen verringerte sich und infolgedessen wurde der Beruf weiblicher. Am Schluss macht Rienks einen Bogen zur Gegenwart. Auch heute noch gibt es den Gender Pay Gap. Arbeit hat in unserer Gesellschaft einen höheren Status als Familie oder Freizeit. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Beschäftigung. Dass es auch anders geht, zeigt die Autorin am Beispiel Finnland. Dort haben Väter und Mütter je sieben Monate Elternzeit. „Finnische Frauen sind in der Arbeitswelt nahezu gleichberechtigt. Sie arbeiten fast genauso häufig wie Männer und meist in Vollzeit.“ (487).