Aktuelle Rezensionen
Johanna Montanari
Kuratierte Öffentlichkeit. Eine postkoloniale Ethnografie journalistischer Praxis in Jordanien
Bielefeld 2023, transcript, 265 Seiten, ISBN 978-3-8376-6875-9
Rezensiert von Felix Gaillinger
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 08.10.2025
Öffentlichkeit zu beforschen, stellt für empirische Kulturwissenschaften eine besondere Herausforderung dar. Begriffsgeschichtlich und -theoretisch ist sie normativ stark geprägt, sie bezeichnet eine im ständigen Wandel begriffene Anrufungspraxis und – mitunter utopisch gedachte – Herstellungsleistung. Was darüber hinaus aber häufig unbeachtet bleibt, so Johanna Montanari in ihrer Dissertation, ist der Entstehungskontext prominenter Öffentlichkeitstheorien selbst, welche sich nur bedingt dazu eignen, „westliche“ Perspektiven zu dezentrieren und eine verstehende Analyse postkolonialer Verhältnisse zu entwickeln. Die hier besprochene und im Zusammenhang des Berliner Instituts für Europäische Ethnologie entstandene Forschung widmet sich diesem Dilemma und wirft ein Licht auf die Produktion journalistischer Öffentlichkeit in der Jordan Times. Wie die Bezeichnung bereits vermuten lässt, handelt es sich dabei um eine englischsprachige Tageszeitung mit Sitz in Jordanien, die sich insbesondere an ein internationales Publikum und in Jordanien lebende Expats richtet und von jenen auch relativ konkurrenzlos rezipiert wird.
Im Zuge einer achtmonatigen ethnografischen Feldforschung von 2019 bis 2020 ging Johanna Montanari als Expat und in Teilen selbst als praktizierende Redakteurin der Positionierungsarbeit von Journalistinnen und Journalisten und Leserschaft nach und konnte so eine emische Perspektive auf das Werden einer medialen Publizität werfen. Der gewählte Zugang überzeugt deshalb besonders, weil Zeitungen in liberalen und bürgerlichen Konzeptionen, etwa bei Jürgen Habermas, die Aufgabe einer kritischen Dezentrierung hegemonialer staatlicher Positionen und monopolisierter Macht zugeschrieben wird. Eine solche Formation trifft für das beforschte Feld in Jordanien nicht zu, handelt es sich doch um ein durch die Regierung kofinanziertes Organ, das – mit Nancy Fraser argumentiert – mit keiner englischsprachigen „Gegenöffentlichkeit“ konfrontiert ist, welche ein kritisches Korrektiv einseitiger Vermittlungspraxis darstellen könnte. Um diese machtvolle Dynamik nun zu greifen, entwickelt Montanari eine postkoloniale Öffnung des vor allem aus musealen Kontexten bekannten Begriffs des „Kuratierens“. Im Anschluss an ein populäres Verständnis des Kuratierens lasse sich eine „kuratierte Öffentlichkeit“ als bewusste und gezielte Gestaltung von öffentlichen Diskursfragmenten zum Zwecke einer kritischen journalistischen Publizität denken. Diesem Gedanken wäre, so die Autorin, allerdings entgegenzuhalten, dass er üblicherweise die Auswahl in einer Situation des Überflusses meint und damit an westlichen Universalismen festhält. Folgerichtig plädiert Montanari für eine Öffnung und praxistheoretische Umdeutung des „Kuratierens“ als eine „Technik der Verfremdung“ (54), die insbesondere auch das Auslassen und Ausbleiben von Informationen beinhaltet.
Historisch exakt bettet die Ethnografin ihre Eindrücke in koloniale Bedingtheiten und tagesaktuelle Konjunkturen ein, befragt die Rolle von Entwicklungshilfen und das redaktionelle Bestreben einer tendenziell liberalen Öffnung zum internationalen Publikum hin. Genauso interessiert Johanna Montanari das in journalistischer Praxis und auch narrativ durch Redakteure bekräftigte Ziel lokaler Anschlüsse ebenso wie die Rolle des jordanischen Königshauses und des Staates. Es gelingt dadurch die Entfaltung einer postkolonial-diagnostischen Lektüre der Felderfahrungen und analysierten Stilpraktiken des Lokalteils der Jordan Times, die Verflechtungen wie lokale Modernisierungsversprechungen und demokratisierende Bestrebungen ebenso kritisch einordnet, wie sie interpretatorischen Engführungen westlicher Öffentichkeitskonzeptionen entgegenarbeitet. Das beobachtete Spannungsfeld, das auf nach wie vor wirkenden globalen Abhängigkeitsbeziehungen fußt, führt Johanna Montanari letztlich zum Begriff des „verteilten Regierens“, womit sowohl der machtvolle Charakter von Diskursräumen bezeichnet ist, als auch das Ringen darum, sowohl der jordanischen Regierung gerecht zu werden, als auch den Geberländern, lokalen Botschaften und NGO’s, deren internationale Vertreterinnen und Vertreter die Jordan Times als Informationsquelle heranziehen.
Montanaris Einblicke begleiten ausführliche Situationsbeschreibungen, die den Lesenden dabei helfen, sich in den lokalen Kontext hineinzudenken. So nimmt die Autorin ihre Leserschaft auch zum Besuch eines Buchladens mit, auf dessen Türschwelle eine israelische Flagge geklebt wurde, die überschritten werden muss, um einzutreten. Hierin sei ein „makabres Übergangsritual“ (57) zur Ablehnung Israels zu erkennen, das mit der offen suggestiven Frage einherging, ob „das eine Metapher dafür war, dass ich die Diskurse, die ich gewohnt war, ab jetzt hinter mir lassen und möglicherweise Antisemitismus in Kauf nehmen musste“ (ebd.). An dieser und einigen anderen Stellen wünschte man sich womöglich eine noch genauere Situationsbeschreibung und die damit verbundene Situierung und Erfahrung der eigenen Forscherinnenrolle. Dies wäre auch für eine sich (zu) dekolonisierende Europäische Ethnologie aufschlussreich, zumal die Autorin mehrmals explizit macht, ähnlich einem Expat aufzutreten und in Jordanien nicht ihre Heimat zu wissen. Vor dem Hintergrund Montanaris Einordnung ihrer Studie im Kontext der postkolonialen Anthropologie und die breite Rezeption internationaler Veröffentlichungen ist es zwar nicht verwunderlich und gewiss zu rechtfertigen, Diskussionen der Europäischen Ethnologie nicht in den Vordergrund zu rücken; doch sei zumindest darauf hingewiesen, dass gerade zur ethnografischen Beforschung von Öffentlichkeit als Soll-Größe und Herstellungsleistung einige Ansätze vorliegen, zu denen sich eine postkoloniale anthropologische Forschung stärker hätte verhalten und Synergien entwickeln können. Auch ließe sich weiterführend fragen, wie sich die Jordan Times, die Montanari explizit als eine Institution versteht, in ihrer Agency stärker zu öffentlichkeitstheoretischen Diskussionen in Beziehung setzen ließe, die neben der Diskursmacht auch nach der materiellen und räumlichen Infrastrukturierung von Öffentlichkeiten fragen.
Als Rezensent möchte man Johanna Montanaris ertragreicher Ethnografie eine breite und aufmerksame Rezeption wünschen, handelt es sich doch um ein erfahrungsnah geschriebenes, größtenteils sehr differenziert einordnendes und in postkoloniale Perspektiven einführendes Beispiel für den Umgang mit nur scheinbar bewährten Analysekategorien. Im Interesse einer postkolonialen Perspektive gilt es, den Eurozentrismus nicht erst im Theoriegewand zu vermuten, sondern auch an so alltagssprachlichen Begriffen wie dem Kuratieren oder der Öffentlichkeit zu arbeiten, sie weiterzuentwickeln, zu dezentrieren und womöglich – wie in Montanaris Studie gelungen – auch umzudeuten.