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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Daniela F. Eisenstein/Carsten L. Wilke (Hg.)

Mayer Bretzfeld (1747–1823) – der letzte bayerische Landesrabbiner. Briefe aus dem privaten Nachlass mit geschichtlichen Studien

(Franconia Judaica 11), Baden-Baden 2025, Ergon, 190 Seiten


Rezensiert von Michaela Schmölz-Häberlein
In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte
Erschienen am 13.10.2025

Dieser von der Direktorin des Jüdischen Museums Franken, Daniela Eisenstein, und dem an der Central European University in Wien lehrenden Carsten Wilke herausgegebene Sammelband, der anlässlich einer Ausstellung in Schnaittach erschienen ist, erschließt mit den Briefen des Rabbiners Mayer Bretzfeld einen singulären Quellenbestand aus den Jahren 1785 bis 1820, der sich heute im Jüdischen Museum in Fürth befindet. Die 39 Briefe an den Schnaittacher Rabbiner, die von Paula Somogyi, Avner Shuam und Carsten Wilke ediert wurden, sind vorwiegend privater Natur; amtlichen Charakter haben lediglich acht Schreiben. Die in hebräischen Lettern geschriebenen Briefe wurden für die Edition transkribiert, in lateinische Umschrift übertragen und die hebräischen Passagen ins Deutsche übersetzt. Für Sprachwissenschaftler bieten diese jiddisch-deutschen Texte reichhaltiges Material zum Gebrauch des Fränkischen im jüdischen Alltag sowie Einblicke in die Adaption weiterer Sprachen wie des Französischen.

Die sorgfältig edierten und annotierten Briefe werden durch vier wissenschaftliche Beiträge ergänzt. Daniela Eisenstein bietet einen knappen Überblick über die Geschichte jüdischen Lebens in Schnaittach zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert. Carsten Wilke verortet Mayer Bretzfeld als Landesrabbiner zwischen dem Ende des Alten Reiches und der Entstehung des Königreichs Bayern, das sich mit der Verfassung von 1818 als konstitutionelle Monarchie konstituierte. Die Umbrüche dieser Epoche veränderten auch das Anforderungsprofil an den Beruf des Rabbiners, da einige Aufgaben wie die innerjüdische Gerichtsbarkeit damit wegfielen. Gleichzeitig wurden die Funktionen des Beschneiders oder des Ehevermittlers weiterhin intensiv nachgefragt. Die Auswirkungen der staatlichen Reformpolitik der Montgelas-Ära werden somit in der Biographie Bretzfelds sichtbar. Zusammen mit dem Juristen und Lokalhistoriker Ignaz Joseph von Obernberg, der zu dieser Zeit Mitglied der Staatsschuldenliquidationskommission war, legte der Rabbiner eine Neubearbeitung von Christian Kirchners 1726 in Nürnberg erschienenem Werk „Jüdische Ceremonien“ vor. Das 1813 in München veröffentlichte Buch tilgte zwar die judenfeindlichen Äußerungen des Konvertiten Kirchner, nahm jedoch zeitgenössische christliche Kritik an jüdischen Traditionen auf, die zu „verbessern“ seien.

Der Beitrag von Franziska Strobel analysiert die Tätigkeit Mayer Bretzfelds und seines Schwiegersohnes Moses Wannbach als jüdische Heiratsvermittler im fränkischen Raum. Er bietet Einblicke in die räumliche Struktur des Heiratsmarktes und das Engagement der beteiligten Akteure bei der Aushandlung von Eheverträgen und Mitgiften. Alisha Meininghaus ordnet zwei Amulette, die der erkrankte Mayer Bretzfeld 1811 von dem Michelstadter Kabbalisten und Wundertäter (Baʼal Schem) Seckel Löw Wormser erhalten hatte, in den Kontext der vormodernen Amulett-Tradition ein. Dabei weist sie auf gedruckte und handgeschriebene Amulette hin, die der Genesung von Kranken bzw. dem Schutz von Müttern und Neugeborenen im Kindbett (Lilith-Amulette) dienen sollten.

Den Anhang bilden ein Verzeichnis der Familienangehörigen Bretzfelds, ein Verzeichnis der in den Briefen vorkommenden Orte sowie ein Glossar hebräischer Abkürzungen. Der Katalogteil beschreibt die Objekte, die in der Ausstellung über Mayer Bretzfeld zwischen dem 27. Mai 2023 und dem 3. März 2025 in Schnaittach gezeigt wurden. Ein gemeinsames Geleitwort des Bezirkstagspräsidenten Peter Daniel Forster und der ehemaligen Bezirksheimatpflegerin von Mittelfranken, Andrea Kluxen, ein Grußwort des Beauftragten der bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben, Ludwig Spaenle, und Vorbemerkungen der Herausgeber sind dem Buch vorangestellt.

Der Sammelband gewährt tiefe und neuartige Einblicke in die jüdische Geschichte im fränkischen Raum um 1800 und erschließt mit der vorbildlichen Briefedition einen hochinteressanten Quellenbestand, der zugleich auf bestehende biographische, familien- und regionalgeschichtliche Forschungsdesiderate hinweist. Gleichzeitig veranschaulicht er die Potenziale, die sich aus der Zusammenarbeit zwischen Judaisten, Historikern und Sprachwissenschaftlern ergeben können.