Aktuelle Rezensionen
Norbert Fischer/Sonja Windmüller (Hg.)
Spuren des Maritimen. Kulturwissenschaftliche Erkundungen an Nord- und Ostsee
(Fördeblick – Kieler Schriften zur Alltagskultur 3), Münster 2024, Waxmann, 292 Seiten, ISBN 978-3-8309-4895-7
Rezensiert von Burkhart Lauterbach
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 14.10.2025
Maritim – ist das nicht eines jener Zauberwörter, das uns an Ferien und Urlaub, Wegfahren und Meeresrauschen, Baden im kühlen Nass und Flanieren entlang der Strandpromenade erinnert? Es gibt in Italien Orte, die den Begriff im eigenen Namen tragen, gleich ob sie nur in der Nähe oder gar direkt am Meer liegen: Rosignano Marittimo, Massa Marittima, Monterotondo Marittimo oder Milano Marittima. In Deutschland gibt es nicht nur in Hamburg und Kiel Beherbergungs- und Verpflegungsbetriebe der im In- und Ausland tätigen, im Jahr 1969 gegründeten Kette Maritim Hotelgesellschaft mbH, die in Bad Salzuflen ihren Sitz hat, sondern auch etwa in Darmstadt, einem Ort weit entfernt von jeglicher Meeresküste. Ein kurzer Blick in das Inhaltsverzeichnis des hier anzuzeigenden Bandes zeigt allerdings, dass es in dem umfangreichen Sammelband keineswegs primär um die Erörterung von touristischen Praktiken geht, sondern insgesamt um ein vielfältiges Konglomerat von 16 Texten, welche sich, aus den Federn von ebenso vielen Autorinnen und Autoren stammend, Themen widmen, die sich, neben einer Einführung des herausgebenden Duos Norbert Fischer und Sonja Windmüller, vier übergreifenden Themenfeldern widmen. Ausgangspunkt stellt insgesamt, so der Einleitungstext, eine so benannte Lehr-Lern-Kooperation zwischen den einschlägigen empirisch-kulturwissenschaftlichen Instituten der Universitäten Hamburg und Kiel dar. Und es geht insgesamt darum, „das Maritime, hier an Nord- und Ostsee, im Kontext von Erinnern und Gedächtnis, in seinen vielfältigen Verknüpfungen und Perspektivierungen, seinen Atmosphären und Ästhetiken wie auch seinen gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Dimensionen“ (8) zu beschreiben und zur Analyse zu bringen.
Nach grundsätzlichen Überlegungen zur Begrifflichkeit rund um das Maritime sowie zur disziplinären Lage der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der einschlägigen Thematik geht es im ersten Aufsatz-Teil, „Auf dem Wasser“, um das spezifische Verhältnis von Kanu-Rennsport betreibenden Menschen zum Element des Wassers, unter besonderer Berücksichtigung der verschiedenen Bedeutungen. Daran anschließend wird eine Forschung präsentiert, welche sich mit dem Untergang eines bestimmten, 1950 vor Helgoland gesunkenen, nachgebauten Wikingerschiffs, kritisch die politischen Entwicklungen der Nachkriegszeit sondierend, befasst. Ein weiterer Text setzt sich eindringlich mit Musealisierungs- und Vermittlungskonzepten im Zusammenhang mit dem Museumshafen Hamburg-Övelgönne auseinander.
Der zweite Aufsatz-Teil, „Ufer und Strand“, präsentiert dann tatsächlich Texte zur Tourismusforschung, konkret zum Verhältnis des Menschen zu seinem eigenen Körper, dies unter den realen und erkennbaren Bedingungen eines Strandaufenthaltes, zu gastronomischen Ausprägungen entlang der Kieler Förde, zur Frage des maritimen Umweltschutzes am Beispiel des Umgangs mit Plastikmüll sowie zu auditiven Wahrnehmungen und Vorstellungen in einem bestimmten Kieler Stadtteil (Stichwort: Klanglandschaft).
Im Anschluss folgen Auseinandersetzungen mit „Bildern[n] und Narrative[n]“, zunächst mit der Malerei von Franz Radziwill (1895–1983), sodann mit traditionellen Tätowierungen aus dem Seefahrermilieu und ihrem Transfer in heutige Milieus, mit der Bedeutung des Wetter- und Klimaelements Wind in seiner ganzen Vielfalt sowie sozio-kulturellen und sozio-ökonomischen Bedeutungen für das meeresnahe nördliche Deutschland in Vergangenheit und Gegenwart, schließlich mit den Legenden rund um das – reale oder vermeintliche – Leben und Wirken von Klaus Störtebeker, den dazugehörigen Hintergründen und Entwicklungen.
„Aneignungen maritimer Vergangenheit“ ist der vierte und letzte Aufsatzteil betitelt. Da geht es um die Auseinandersetzung mit verschiedenen Kategorien von Objekten (Heringszaun, Kogge, Grabsteine), aber auch um die übergreifende Betrachtung und Interpretation von „kulturelle[n] Objektivationen an Elbe, Weser und Nordseeküste“, wobei gerade in diesem Zusammenhang von „Chiffren des Maritimen“ die Rede ist, welche – als „alltägliche Regionalisierungen“ – zum Set der „lebensweltliche[n] Praktiken in einer kompensatorischen Gegenbewegung zur Globalisierung“ (289–290) betrachtet werden müssten.
Insgesamt haben wir es mit einer thematisch, methodisch und theoretisch vielseitigen, gegenwarts- wie auch historisch orientierten, darüber hinaus von einer Anschaulichkeit vermittelnden Auswahl von Abbildungen begleiteten Sammelband-Publikation zu tun, welche, wie das durchgängig bei Veröffentlichungen, die aus Studienprojekten hervorgehen, der Fall ist, zu weiteren, breiter angelegten wie auch vertiefenden, Erkundungen der verschiedenen Handlungsfelder rund um das maritime Geschehen einladen. Zu wünschen ist ein diesbezügliches gutes Gelingen – die Daumen seien gedrückt!