Aktuelle Rezensionen
Timo Luks
In eigener Sache. Eine Kulturgeschichte der Bewerbung
Hamburg 2022, Hamburger Edition, 431 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-86854-366-7
Rezensiert von Burkhart Lauterbach
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 14.10.2025
Der Autor, Timo Luks, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieser Studie als habilitierter wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Neuere Geschichte des Historischen Instituts der Justus-Liebig-Universität Gießen tätig, geht von der Erkenntnis aus: „Wer seinen Lebensunterhalt nicht durch unternehmerische Tätigkeit bestreitet oder von einem (ererbten) Vermögen leben kann, ist darauf angewiesen, sich eine Anstellung zu suchen. Diese Stellensuche ist in modernen Gesellschaften über den Arbeitsmarkt vermittelt“, was bedeutet, dass der „moderne Mensch“ primär ein „Arbeitssuchender“ sei, „willens und auch in der Lage, sich mittels eigenverantwortlicher und selbsttätiger Positionierung auf dem Arbeitsmarkt ein Ein- und Auskommen zu sichern“, was sich zunächst im Vorgang des aktiven und produktiven Sich-Bewerbens äußert (11). Das Ziel der hier anzuzeigenden Studie ist es, herauszuarbeiten, wer wann und wo, aus welchen Beweggründen, in welchen Kontexten, mit welchen Zielen welche Praktiken realisiert, die es ermöglichen, dass man fortan von einer regelrechten „Kulturtechnik der Bewerbung“ sprechen kann (15). Und es ist die Aufgabe des Autors, auf der Basis eingehender Auseinandersetzung mit zwei verschiedenen Quellengattungen, einerseits der einschlägigen Ratgeberliteratur aus der Zeit des späten 18. bis frühen 20. Jahrhunderts sowie andererseits zahlreicher archivalisch überlieferter Bewerbungsschreiben für unterschiedliche Arbeitsfelder aus dem gesamten 19. Jahrhundert, zu einer Art Gesamtbild des dazugehörenden Geschehens zu gelangen.
Die Studie ist so aufgebaut, dass man zunächst mit einer gewissermaßen dreifachen Einleitung konfrontiert wird. Dazu gehören eine Einführung in die traditionellen Gepflogenheiten des Arbeitsmarktes (Leistungen und Konkurrenzverhältnisse) und die Vorformen dessen, was man unter dem Begriff der Vermittlung verstehen kann (Empfehlungen und Patronage), sodann eine Klärung des Begriffs „Bewerbung“ sowie, schließlich, eine Einführung in die eigentliche Anleitungsliteratur einschließlich ihrer Formen, Inhalte und dazugehörigen Wandlungen. Das nächste Kapitel widmet sich der Bewerbungskultur um 1800, konkret den Handlungen und den dazugehörigen Beweggründen in verschiedenen sozialen Gruppen, seien es Handwerker, verabschiedete Soldaten, Diener oder die sogenannten Qualifizierten (Lehrer, Amtsärzte, Hofmusiker, Buchhalter, Notare, Handlungsmakler). Es wird der Themenbereich rund um den aufkommenden Kameralismus erörtert, dies unter Berücksichtigung des dazugehörigen wissenschaftlich ausgebildeten Personals. Unter dem Titel „Übergänge“ werden dann „Verwaltungsprofis“ und „Handelsleute“ in den Blick genommen, dazu Praxisformen des Qualifikationsnachweises, der Bewerbung und der Beförderung. Es folgt ein Kapitel, welches sich den weiblichen Bewerbern widmet und es wird konkret und exemplarisch eine Art Überblick über die Bewerbungskultur Mitte des 19. Jahrhunderts geliefert, im folgenden Kapitel gar über die Bewerbungskultur um das Jahr 1900, dies unter besonderer Berücksichtigung neuerer Tendenzen wie dem Einbezug von typischen Frauenberufen (Stenotypistin) und von Wandlungen im Bereich der Arbeitsorte (Fabriken). In einem Ausblick wird noch einmal „die Geschichte der Kulturtechnik der Bewerbung“ (389) rekapituliert, dies unter besonderer Berücksichtigung jener drei Bestandteile des Verfahrens, welche Bewerber und Bewerberinnen selbst herstellen, nämlich den „Dreiklang von Deckblatt, Anschreiben und Lebenslauf“ (396).
Eine Besonderheit im Bereich der Darstellung hat sich der Autor insofern ausgedacht, als er, um seine verschiedenen, Konkretisierendes und Abstrahierendes enthaltenden Kapitel exemplarisch vertiefen zu können, mehrere kürzere Kapitel einfügt, die er jeweils als „Zwischenstück“ bezeichnet, also Texteinheiten, in denen er zusätzliche Themenvertiefungen einbringt. Da geht es um prominente Bibliothekare, um das Verhältnis von Vätern und Söhnen, um den höfischen Dienst bei einem bestimmten Groß- und Erbprinzen, um verschiedene Ausprägungen von Verfahrensdynamik, auch um die praktische Funktion der Gesandtschaft eines Landes im Zusammenhang mit dem Problem der Suche nach einer Anstellung.
Insgesamt haben wir es mit einer ausgesprochen interessanten und wohl formulierten Studie zu tun, die, was für die kulturwissenschaftlichen Disziplinen von besonderem Interesse ist, auch auf ganz vordergründig-basal erscheinende Alltagsphänomene eingeht, welche sich in den unterschiedlichen Handlungsfeldern im Bereich der Arbeitssuche ausmachen lassen. Im Grunde genommen hat der Autor eine Form von Vor- und Frühgeschichte des Bewerbungswesens verfasst, welche sich auf jegliche einschlägigen Vorgänge konzentriert, die im Vorfeld der übergreifenden, mit dem frühen 20. Jahrhundert einsetzenden sowie an der Realisierung von Effektivität orientierten Organisationsphase der Arbeitsvermittlung stattfinden.
Apropos Effektivität: Der Autor der Studie „In eigener Sache“ ist zwischenzeitlich in eigener Sache unterwegs gewesen, dies mit dem Ergebnis, dass er seit dem Jahr 2023 in unserer Disziplin lehrt und forscht, dies als Senior Lecturer am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Universität Münster. Dort dürfte er mit dafür sorgen, dass uns ein wesentlicher Bestandteil des Faches, die historische Ausrichtung nämlich, nicht verloren geht.