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Andreas Steffens
Heimkehr in die Fremde – Pariser Ankünfte. Mit Fotografien von Claudia Scheer van Erp: „More than ten steps“
Würzburg 2024, Königshausen & Neumann, 176 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8260-8571-0
Rezensiert von Burkhart Lauterbach
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 14.10.2025
Im Einführungskapitel zu einem Ausstellungsbegleitband der Deutschen Schillergesellschaft aus dem Jahr 2018 findet sich der folgende Passus:
„Paris hat Hunderte von Erfindern. Nicht wenige davon sind deutsche Autoren. Über Jahrhunderte hinweg wird die französische Hauptstadt gelesen, erdacht und erschrieben. In der Dichte ihrer Wirklichkeit und in der Schwindel erregenden Allgegenwärtigkeit ihrer Zeichen verkörpert sie beides: ein offenes Buch und eines mit sieben Siegeln. Auf seinen Seiten lesen die Wissbegierigen und die Träumenden, die Avantgarden und Archäologen, die Enzyklopädisten und Strukturalisten. Die Maler und Fotografen, Touristen und Sammler nicht zu vergessen. Die einen finden die Stadt der Liebe, die anderen die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts.“ Vom „Sehnsuchtsort Paris“ ist gar die Rede.1
Just diese These könnte den Ausgangspunkt für die hier anzuzeigende Essaysammlung des Philosophen, Schriftstellers und bildenden Künstlers Andreas Steffens gebildet haben, welche in einer Art von Diskursanalyse die Dialektik von Fremde und Heimat am Beispiel von Paris peu à peu herausarbeitet. Zur Betrachtung gelangen einzelne Äußerungen oder ganze Texte von Theodor W. Adorno, Walter Benjamin, Franz Blei, Arno Breker und Adolf Hitler, von Franz Grillparzer, Undine Gruenter, Friedrich Hebbel, Franz Hessel und Ernst Jünger, von Franz Kafka, Wolfgang Koeppen, Paula Modersohn-Becker, Paul Nizon und Rainer Maria Rilke, von Friedrich Sieburg, Albert Speer, Georg Stefan Troller und vielen weiteren, vorwiegend männlichen Persönlichkeiten vorwiegend deutscher Zunge.
Thematisch geht es um die Lesbarkeit der französischen Metropole, der „Hauptstadt des 19. Jahrhunderts“, ebenso wie um die Bedeutung der Kunst, vor allem der Baukunst, für die Rezeption der Stadt durch die verschiedenen Kategorien von Besuchern, um die Dialektik von Begeisterung und Enttäuschung auf Seiten dieser Besuchenden, um die durch das Erlebnis der spezifischen Stadtkultur ausgelöste Selbstbegegnung und viele weitere Themen, wobei die im Titel erscheinende Formulierung „Pariser Ankünfte“ auf keinen Fall allzu wörtlich zu nehmen ist. Es geht nicht zentral um den Moment des Ankommens, sondern um das Verhältnis der verschiedenen Individuen zu Paris insgesamt; es geht in den verschiedenen Miniaturen um die Analyse von Einflüssen, Selbstbespiegelungen, Projektionen und Assoziationen, was auch dazu führt, dass der Autor Äußerungen einbringt, welche die Gegenperspektive signalisieren: Wie und warum wird in etlichen Fällen das Verlassen der Stadt angestrebt, bisweilen gar vollzogen? Die Notwendigkeit einer weiteren Untersuchung deutet sich an…
Andreas Steffens hat eine thematisch ausgesprochen interessante und konstruktive Studie vorgelegt, kein Zweifel. Dieser Eindruck wird lediglich dadurch, wenn auch eher marginal, unterlaufen, dass sogenannter Tourismus, mit dem ja die Besuchenden durchaus auch zu tun haben, ohne nähere Erklärung der Beweggründe eine Art von unterschwelliger Ablehnung erfährt (93, 136). Zudem erklärt sich der Stellenwert der 16 Abbildungen nur partiell: Wir haben es mit sogenannten Alltagsfotografien zu tun, soviel ist sicher. Die jeweiligen Bildtitel, die auf Englisch daherkommen, lassen sich zwar als originell bis witzig einschätzen, jedoch nicht auf den wissenschaftlichen Text beziehen. Was zu bedauern ist.
Anmerkung
1 Susanna Brogi u. Ellen Strittmatter: Eingang. In: dies. (Hg.): Die Erfindung von Paris (Marbacher Katalog, Bd. 71). Marbach am Neckar 2018, S. 7–18, hier S. 9.