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Aktuelle Rezensionen


Annegret Braun

Die Sekretärin. Frauenkarriere und Lebensträume in den 1950er Jahren

Frankfurt am Main 2024, Frankfurter Allgemeine Buch, 272 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-96251-173-9


Rezensiert von Burkhart Lauterbach
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 14.10.2025

Im November des Jahres 2023 hat Johannes Moser, Lehrstuhlinhaber am Institut für Empirische Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie der Universität München seinen 65. Geburtstag gefeiert – und zu diesem Anlass eine Festschrift überreicht bekommen, welche sich dem übergreifenden und vielfältigen Thema „Kulturelle Figuren“ widmet. Es ging den Herausgebern und Herausgeberinnen darum, ein „empirisch-kulturwissenschaftliches Glossar“ zu erstellen, dies mit dem Ergebnis, dass knapp vierzig Aufsätze versammelt sind, die ein breites Spektrum an Typen und Figuren aus dem Alltagsleben vorstellen. Da geht es um „Aufsteiger:innen“ wie auch um „Autofahrer:innen“, um „Detektiv:innen“ wie auch um Flüchtlinge, um Gäste wie auch um „Professor:innen“, um Tagediebe, um „Tourist:innen“, auch um Zuagroaste.

Eine der Autorinnen, Annegret Braun, setzt sich kritisch mit Heiratskandidatinnen und Heiratskandidaten auseinander. Just diese Autorin, seit geraumer Zeit freiberufliche Kulturwissenschaftlerin und Verfasserin von Sachbüchern, hat inzwischen einen veritablen, durchaus als einführende Studie, nicht nur als erzählendes Sachbuch zu lesenden Band über eine weitere kulturelle Figur vorgelegt, nämlich über Sekretärinnen, wobei sie sich schwerpunktartig mit der Karriere dieser Figur während der 1950er Jahre auseinandersetzt. Der Band verfolgt eine dreifache Zielsetzung, indem es darum geht, die Übergangsphase zwischen dem nationalsozialistischen und dem Nachkriegs-Deutschland bis hin zur Zeit der Emanzipationsbewegungen der 1960er Jahre (Studentenrevolte etc.) näher zu erkunden, darüber hinaus Entwicklungen und Bedeutungen des beruflichen Lebens speziell junger Frauen nach 1945 zu eruieren und schließlich, was die Methodik betrifft, auf der Basis der Auswertung einer ganz bestimmten, in unserer Disziplin eher vernachlässigten Quellengattung ihre eigene Version eines Porträts der 1950er Jahre zu erstellen: „Biografien und historische Rückblicke betrachten die Zeit aus einer Distanz, bei der Ereignisse vergessen oder verklärt werden. Tagebücher jedoch beschreiben die Zeit ungefiltert, offen, ehrlich und oft auch detailliert.“ (8) Die von der Autorin ausgewerteten Quellen (Tagebücher von acht Zeitzeuginnen, Erinnerungen von einer weiteren Zeitzeugin, zudem ein Interview) stammen aus dem Deutschen Tagebucharchiv in Emmendingen.

In den insgesamt zwölf Kapiteln wird ein breites Spektrum an Themen beschrieben und analysiert: Die zunehmende Verweiblichung der Sekretariatstätigkeiten ab den 1920er Jahren; die Einführung der Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern in der bundesrepublikanischen Gesellschaft; die Umgangsformen zwischen den Geschlechtern und die Machtverhältnisse im Berufsleben; Funktionen des Sekretariats; das Image der sogenannten perfekten Sekretärin (Eignung, Styling); die Zugsekretärin, ihr Arbeitsalltag und ihre Kunden (Fallgeschichte); berufliche Praxis von jungen Frauen und männliche Missverständnisse (Zudringlichkeiten); weibliche Missverständnisse (Partnersuche); Freizeitvergnügungen nach Dienstschluss; neues Lebensgefühl in der Zeit des „Wirtschaftswunders“. Eines der Kapitel präsentiert einen umfangreichen Exkurs zum Thema „Sekretärinnen von Machthabern – Rückblick in eine düstere Vergangenheit“, in dem Goebbels und Hitlers Sekretärinnen zu Wort kommen, aber auch auf die in Auschwitz tätigen Sekretärinnen (Häftlinge, die das KZ nicht lebend verlassen haben, 208). Die letzten beiden Kapitel setzen sich einerseits mit der Praxis des Verdrängens und Vergessens nach 1945 auseinander, auch mit Formen des Fortlebens der menschenverachtenden Ideologie und verbrecherischen Praxis, aber ebenfalls mit der eher undurchsichtigen Zeit der 1960er Jahre: Damals „kämpften junge Frauen immer noch mit den gleichen Problemen wie zuvor: Sie hatten Angst, schwanger zu werden und mussten sich in allen Lebensbereichen gegen die Macht der Männer behaupten“ (233).

Auf den allerletzten Seiten ihres Buches liefert Annegret Braun dennoch eine diesbezüglich optimistische Perspektive, indem sie auf das Beispiel von Stephanie Shirley verweist, die „in den 1960er-Jahren in der neu aufgekommenen Computerbranche auf Frauen setzte“ (252), dies mittels freiberuflicher und von zuhause aus erfolgender Mitarbeit in ihrem eigenen Software-Unternehmen. Gesetzt den Fall, dass sich weitere Projekte mit dieser Ausrichtung nicht nur in England auffinden lassen, so könnte kulturwissenschaftliche Forschung der Frage nachgehen, ob, inwiefern und mit welchen Funktionen und Auswirkungen wir es wieder einmal mit Belegen für jenes Phänomen zu tun haben, welches Eric Hobsbawm und Terence Ranger als „Invention of Tradition“ bezeichnen.

 

 

 

Anmerkung

 

1 Daniel Habit u.a. (Hg.): Kulturelle Figuren. Ein empirisch-kulturwissenschaftliches Glossar (Münchner Beiträge zur Volkskunde, 49). Münster, New York 2023.

 2 Eric Hobsbawm u. Terence Ranger (Hg.): The Invention of Tradition. Cambridge 2003.