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Kommission für bayerische Landesgeschichte

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Patricia Lippert

Vereine im Dienste der Heimat. Ausprägungen von Heimatschutz und Heimatpflege in Regensburg 1871–1918

(Regensburger Beiträge zur Regionalgeschichte 27), Regensburg 2024, edition vulpes, 156 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-939112-59-4


Rezensiert von Thomas Naumann
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 14.10.2025

Die vorliegende Arbeit ist eine „geringfügig überarbeitete Version“ (9) einer im Jahr 2018 an der Universität Regensburg eingereichten, sehr anspruchsvollen Masterarbeit.

Sie gliedert sich nach der Einleitung (11–20), in der das Forschungsziel dargestellt und die Gliederung erläutert wird, in vier Kapitel: Kapitel 1 (21–40) widmet sich der Definition und der Genese der Heimatbewegung. Kapitel 2 (41–58) untersucht das Verhältnis von Vereinswesen und Heimat und erörtert die Entwicklung und Charakteristik fünf ausgewählter Regensburger Vereine. Im Einzelnen geht es um den „Verschönerungsverein Regensburg“ (gegründet 1871), die „Sektion Regensburg des Bayerischen Waldvereins“ (gegründet 1902/1883), die Ortsgruppe Regensburg des Wandervereins der Arbeiterschaft mit Namen „Die Naturfreunde“ (seit 1905 mit dem Zusatz „Touristenverein“ versehen, wobei man damals unter „Tourist“ einen Wanderer verstand), der „Gebirgstrachten-Verein Edelweiß“ (gegründet 1898 als Verein „D’Schuahplattler“) sowie der „Gebirgstrachten-Erhaltungsverein Almrausch“ (gegründet 1905). Hier stehen vier „bürgerliche“ Vereine einem „proletarischen“ Verein, nämlich dem der „Naturfreunde“, gegenüber.

Diese Vereine, die sich zunächst keineswegs als „Heimatvereine“ im heutigen Sinne gründeten, sondern das Bewusstsein für „Heimat“ erst nach und nach entwickelten (120), werden in Kapitel 3 (59–112) hinsichtlich ihres Engagements im Rahmen variierender Tätigkeitsbereiche und ihrer identitätsstiftenden, gemeinschaftsbildenden Funktion diskutiert. Die Aktivitäten und Interessen der Vereine konnten sich auf die nähere Umgebung über den Bayerischen Wald bis zum Alpengebiet erstrecken und sich sächlich auf so unterschiedliche Dinge wie die Erschließung und Markierung von Wegen, das Wandern, die Verschönerung der Stadt Regensburg, die Pflege alpenländischer Tracht und von Sitten und Bräuchen (vgl. 120) beziehen. So werden folgerichtig in umfänglicher Analyse sowohl räumliche, geografische, abstrakte, kulturelle, naturbezogene und sprachliche Aspekte berücksichtigt. Kapitel 4 (113–122) enthält ein sehr gut gelungenes Fazit der Arbeit und bietet einen Ausblick an. Der sich anschließende Bildteil (123–132) enthält Abdrucke aus Vereinszeitschriften wie Vereinsabzeichen, Titelseiten, Landschaftsdarstellungen, die einen visuellen Einblick in die damalige Mentalität der Vereine wiedergeben. Die Arbeit schließt mit Verzeichnissen (133–150) der in der Untersuchung benutzten Quellen, Literatur und Abbildungen und mit einem Orts- und Personenregister (151–155).

Patricia Lippert möchte im Rahmen einer lokalen Studie einen Beitrag zur Erforschung des „facettenreichen Begriff[s]“ (11) Heimat leisten, den die Autorin als „komplexe Struktur“ bezeichnet, „die verschiedene, sich in unterschiedlicher Weise manifestierende Dimensionen in sich vereint“ (11). Den geistigen Rahmen und kulturgeschichtlichen Zeitraum bildet dabei die Heimatbewegung beziehungsweise „Heimatschutzbewegung“ seit den 1870er Jahren, wie sie vor allem von Ernst Rudorff (1840–1916) und dem „Bund Heimatschutz“ ins Rollen gebracht worden war. Somit umfasst der Untersuchungszeitraum das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts sowie, als mental zugehörig, die Zeit bis 1918, also der gesamte Zeitraum des deutschen Kaiserreiches. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die „unterschiedlichen Formen des Engagements, das im Dienste der ‚Heimat‘ geleistet wurde“ (11). In „exemplarischer Nahsicht“ (11) will die Studie ergründen, „welche Initiativen und Aktivitäten ergriffen wurden, um ‚Heimat‘ zu schützen sowie zu pflegen“ (11). Im Hinblick auf das Forschungsziel, „den Facettenreichtum an erkennbaren Formen des Engagements für die ‚Heimat‘ darzustellen und dabei insbesondere die impliziten Formen von Heimatschutz und Heimatpflege herauszuarbeiten“ (12–13), dienen der Autorin Zusammenschlüsse in Gestalt der fünf genannten, im Untersuchungszeitraum gegründeten Regensburger Vereine, die sich in unterschiedlicher und vielgestaltiger Weise der „Heimat“ widmen, so dass damit zu rechnen ist, dass hierbei eine breite Palette dessen gewinnbringend analysiert werden kann, was der „Heimatpflege“ zuzurechnen ist und somit auch der damals existierende Heimatbegriff – wenn anfangs noch nicht explizit, aber immer implizit vorhanden – von dieser Seite her beleuchtet werden kann. Dieser Heimatbegriff wird in seiner Entwicklung bis zu jenem Stadium untersucht, wo er, „als Brücke zwischen der Bezugsgröße der Region und derjenigen der Nation“ (86) diente und, spätestens seit den 1890er Jahren, untrennbar „an die Sphären von Natur und Landschaft gekoppelt“ (86) wird mit dem Ziel, über die mit zeitspezifischen Bedeutungsinhalten aufgeladenen Kulturlandschaften lokale und regionale Identitäten zu fördern; außerdem der „modernitätskritische“ Gehalt des Heimatkonzepts immer stärker betont“ [wurde] (86). In diese Richtung hatte sich, als geistiger Vorbereiter, schon der erwähnte Ernst Rudorff ausführlich betätigt. Unmissverständlich unterstreicht die Autorin, die einschlägige Literatur einarbeitend, dass es sich bei allen mit „Heimat“ verbundenen Begriffen um von den Akteuren geschaffene Konstrukte handelt, dass etwa der Blick auf die Landschaft und ihre kulturellen Inhalte und der Blick auf die geografischen Räume, deren Erschließung sich zum Beispiel die „Naturfreunde“ zur Aufgabe gesetzt hatten, „mit Bedeutungsinhalten angereichert und mit dem romantisierenden Blick verklärt [wird]“ (84). In diesem Zusammenhang ist auch die Feststellung der Autorin im Kontext ihrer Analyse des in den Schriften verwendeten Dialekts interessant, dass, insbesondere in den beiden Gebirgstrachtenvereinen – nicht nur sprachlich – eine „folkloristische Aneignung des Oberbayerischen im Mittelpunkt“(106) stand, und man also den Grund für das Engagement nicht darin suchen kann, dass ein besonderes Bedürfnis bestand, eine Regensburger oder gar eine Oberpfälzer Identität zu befördern. Man zielte offensichtlich auf „Höheres“, wie die Autorin verschiedenen Vereinsschriften entnimmt: Über Rückgriffe auf „typische“ deutsche Lyriker – aus Zeiten, als die Welt zum Beispiel nach Rudorff sozusagen „noch in Ordnung“ war –  beziehungsweise in Versen, die deren Sprachstil verwenden, wird eine „romantisierende, ästhetisierende Wirkung“ (110) erzielt und angestrebt, eine identitätsstiftende, nationale Dimension über die Sprache aufzuzeigen, wo es sonst nicht viel Nationales gab. Sowohl der Regensburger „Verschönerungsverein“ als auch die die Arbeiterbildung anstrebenden „Naturfreunde“ taten sich in ihren Schriften in dieser Richtung besonders hervor (110).

Leider wird der Begriff „Heimatschutz“ schon im Titel nicht apostrophiert und auch in der Untersuchung etwas zu unkritisch und zu häufig benutzt, so dass die diesem Begriff gegenüber notwendige kritische Distanz nicht eingehalten ist. So hat etwa der leider in der Arbeit nicht berücksichtigte Rainer Schmitz in seiner Publikation „Heimat, Volkstum, Architektur“ aus dem Jahr 2022 (vgl. dazu die Rezension in Bayer. Jahrbuch .für Volkskunde 2023, 259–262) ausführlich dargestellt, dass die organisierten, dem anti-emanzipatorischen Bürgertum zuzurechnenden „Heimatschützer“ bereits im 19. Jahrhundert latenten bis offenen Rassismus äußerten und deren Jünger sich später dann auch zur Zeit des Nationalsozialismus sehr unrühmlich betätigten. Wie die Autorin selbst konstatiert, stammt der Begriff „Heimatschutz“ zunächst aus dem militärischen Bereich (14), wo er auch heute unter anderem noch angesiedelt ist. Erst durch den in dieser Arbeit manchmal zu unkritisch rezipierten Ernst Rudorff – einem Schüler des nationalistischen und rassistischen Historikers Heinrich von Treitschke (1834–1896) – dem Gründer des „Bundes Heimatschutz“ und sozusagen dem Vater der „Heimatschutzbewegung“, wurde der Begriff umgedeutet beziehungsweise erweitert, und dies in einer oftmals dem Germanenwahn verfallenen, rigid nationalistischen Weise. Das gehört nun mal zu den Wurzeln von „Heimatschutz“ und somit klebt an diesem Begriff etwas Toxisches. Die Autorin hätte es bei dem Begriff „Heimatpflege“ belassen sollen, denn, so ergibt ja die Untersuchung im Einzelnen meist: um Pflege der näheren und weiteren Umgebung und deren Erschließung und Begehbarmachung, um Pflege von Bräuchen aller Art und um soziale und auch politische Interaktion ging es ja den untersuchten und in ihrer gesellschaftlichen Funktion verdienstvollen Vereinen im Wesentlichen. Aber ein „Schutz“ im Kontext mit „Heimat“ wurde und wird politisch sehr oft instrumentalisiert – wie auch der Heimatbegriff selbst –, um alles als fremd Empfundene und Neue in reaktionärer Weise abzuwehren. Dies lag den beschriebenen Vereinen aber nicht im Sinn. In ihrem Ausblick weist die Autorin zu Recht darauf hin, dass neben den „Angehörigen einer breiten, sich nach Überschaubarkeit und Orientierung sehnenden Öffentlichkeit“ (121) auch – angesichts der „Uneindeutigkeit und Facettenreichtums“ (121) des Begriffs „Heimat“ (und damit auch von „Heimatschutz“) – die heutige „politische Rechte“ (121) sich dieser Begriffe in bekanntem Sinne bedient. Abgesehen von dieser begrifflichen Unschärfe zwischen „Heimatschutz“ und „Heimatpflege“ aber ist es Patricia Lippert gelungen, im Hinblick auf das von ihr formulierte Forschungsziel zu ergründen, welchen Beitrag die Vereine in welcher Weise mit welchem Heimatbegriff zur Gestaltung der „Heimat“ – und damit zu einer wie auch immer ausgerichteten Identität – geleistet haben und welche gesellschaftlichen und kulturellen Funktionen das erfüllen konnte.

Die sehr verständlich geschriebene, methodisch einwandfreie und gut gegliederte Arbeit ist schließlich von höchster Qualität hinsichtlich ihrer empirischen Forschung bei den vier noch existierenden untersuchten Vereinen, zu denen die Autorin, wie sie im Vorwort schreibt, enge und stetige persönliche Kontakte pflegte. Sie ist aber auch eine Glanzleistung hinsichtlich der – bis auf die erwähnte wichtige Ausnahme – umfangreich eingearbeiteten einschlägigen Literatur, die ständig in die Untersuchung eingeflochten wird und mit der sie sich höchst fruchtbar auseinandersetzt. Auch wenn die Untersuchung sich auf die fünf lokalen Regensburger Vereine, bei denen gute Quellenlage vorhanden war, beschränkt (die aber stets in ihren Kontext und Entstehungskontext zu anderen Regionen gestellt werden), so kann doch festgestellt werden, dass sich das Ergebnis auf andere gleichgerichtete Vereine auch anderer Regionen übertragen lässt. Somit ist ein Beitrag entstanden, der die Absichten und Funktionen organisierter heimatbezogener Aktivitäten im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und zu Anfang des 20. Jahrhunderts umfänglich offenlegt.