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Helen Ahner

Planetarien. Wunder der Technik – Techniken des Wunderns

Göttingen 2023, Wallstein Verlag, 368 Seiten mit Abbildungen, ISBN 978-3-8353-5430-2


Rezensiert von Theresa Perabo
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 14.10.2025

„Wer, wie, was? Der, die, das! Wieso, weshalb, warum? […].“ Das Fragen, so lehrt es uns eine populäre Fernsehsendung, ist konstitutiv für den Erkenntnisfortschritt. Der Antrieb, Antworten zu suchen, bildet die wissenschaftliche Neugier oder basaler ausgedrückt: das Wundern. Helen Ahner führt den Lesenden in ihrer Dissertation „Planetarien. Wunder der Technik – Techniken des Wunderns“ an einen Ort, der von den Zeitgenossen als „das größte Wunderwerk der Gegenwart“ (129) bezeichnet wurde und wo das Wundern zum Programm gehörte. Die ersten Planetarien entstanden in Deutschland in den 1920er und 1930er Jahren. Anhand von vier gut gewählten Beispielen, den Projektionsplanetarien in München, Jena, Wien und Hamburg, zeichnet Ahner den spezifischen Kontext ihrer Entstehung und Etablierung nach. Dabei nutzt sie das Wundern als zentralen Beobachtungs- und Deutungsmodus, der es erlaubt, kulturwissenschaftlich relevante Themen wie Technikerfahrung und Wissensvermittlung, Naturerfahrung und ihre ästhetischen Wahrnehmungsweisen zu Beginn des 20. Jahrhunderts sichtbar zu machen. Passend zum 100-jährigen Jubiläum des Planetariums erschien Ahners Dissertation 2023 im Wallstein-Verlag.

Das Planetarium ist im Grunde ein technischer Apparat in einem Gebäude. Überzeugend gelingt es Ahner, ihn zum „Kristallisationspunkt zivilisatorischer Reflexion“ (20) zu machen, indem sie herausarbeitet, wie die Apparatur im Raum als Ort konzipiert wurde, der Staunen bei den Besucherinnen und Besuchern evozieren sollte. Sie lehnt sich dafür an die Wunder-Definition der Historiker Till Kössler und Alexander C.T. Geppert an, die die Transgression, also das Überschreiten von existierenden Wissens- und Denkgrenzen, als ein wesentliches Merkmal dieser Emotion kennzeichnen. Für Ahner wird das Planetarium damit zum „lieux de l’avenir“ (116) ausweisen. Ihre Herangehensweise steht damit zunächst in der Tradition der Untersuchung von materieller Kultur und der zentralen Idee, dass sich in Dingen gesellschaftliche Verhältnisse konzentrieren bis hin zur Denkrichtung des New Materialism. Diesen Ansatz kombiniert sie mit den fast schon klassisch gewordenen (kultursoziologischen) Praxistheorien der letzten zwei Jahrzehnte (beispielsweise Bruno Latour und Andreas Reckwitz) sowie mit Ansätzen der kulturwissenschaftlichen Emotionsforschung jüngeren Datums (insbesondere Monique Scheer).

Das Material der Studie stellen „gut 900 historische Dokumente“ (29) dar, die Ahner aus dem Staatsarchiv Hamburg, dem Stadtarchiv Wien, dem Verwaltungsarchiv des Deutschen Museums, dem Zeiss-Archiv sowie mit Hilfe des Online-Zeitungs- und Zeitschriftenarchivs ANNO der österreichischen Nationalbibliothek zusammengetragen hat. Diese enorme Zahl an Quellen ist, wie Ahner ausführlich darstellt, dem Einsatz neuer Technik(wunder) zu verdanken. Die Digitalisierung archivalischer (nicht wie auf S. 31 archivarischer) Quellen ermöglicht neue Dimensionen des Suchens und Findens, was in den letzten fünf Jahren unter dem Schlagwort „Digital Literacy“ interdisziplinär verstärkt diskutiert wird. Dabei sollte immer auch der Mehrwert eines Mehr-an-Quellen reflektiert werden. Laut Verzeichnis im Anhang bilden die Zeitungsartikel die größte Quellengruppe. Handelt es sich dabei um eine vollständige Aufstellung der zeitgenössischen Presseartikel? Welcher Erkenntnisgewinn wird erzielt, wenn 50 oder 100 oder 200 Zeitungsberichte genutzt werden? Eine eingehende Quellenkritik gehört zu einer historischen Ethnografie. Das darf sich nicht auf die Reflexion der eigenen Position im archivischen Feld beschränken, sondern muss immer auf eine Einordnung der Quellen und auf die Bestimmung ihres Aussagewertes zielen. Es beginnt bei den grundlegenden Fragen zur Quellenkritik (zum Beispiel: wer steht hinter der Zeitung? Herausgeber, politische Ausrichtung, wirtschaftliche Abhängigkeiten, Leserschaft etc.) und sollte in Bezug zur Fragestellung gesetzt werden. Wenn also die „Erfahrungen, Gefühle, Imaginationen und Erzählungen der Menschen“ (19) untersucht werden sollen, dann muss auch kritisch dargelegt werden, was die Quellen dazu leisten können und was nicht. Das kommt in der vorliegenden Arbeit etwas zu kurz. Die hier bemühten Quellengruppen zeichnen das Planetarium eindeutig als Presseliebling der damaligen Zeit, die durch ihre Darstellung eine Art Rezeptionsrahmen vorgaben. Es bleibt aber unklar, inwiefern dadurch eine „starke Betonung der Besucher:innenperspektive“ (24) erzielt wird.

Das Buch ist in drei zentrale Kapitel – „Planetarien“, „Wunder der Technik“ und „Techniken des Wunderns“ – aufgeteilt. Im ersten Abschnitt führt die Autorin in die kulturwissenschaftliche Betrachtung von Planetarien ein. Dabei konzentriert sie sich auf die Darstellung des Forschungsmodus „Historische Ethnografie“. Die Einordnung in die bestehende Forschungslandschaft ist vergleichsweise knapp gehalten, was schade ist, da es eine Möglichkeit gewesen wäre, noch differenzierter die Planetarien als Wissensräume darzustellen. Anknüpfungspunkte an die empirische Kulturwissenschaft werden zunächst vertagt und später teilweise eingelöst, da die Studie „so zahlreiche Anknüpfungspunkte im Fach [habe], dass sie an dieser Stelle unmöglich alle benannt werden können“ (25). Diese Beobachtung ist nicht falsch; trifft sie doch auf fast alle Objekte eines kulturwissenschaftlichen Blicks zu. Wie hilfreich aber für den Lesenden eine solche Einordnung zu Beginn des Werks sein kann, zeigen die spannenden Ausführungen zur „Anthropology of Outer Space“ (25, 26).

Nach einer gelungen und konzis gestalteten Übersicht über die Entstehungsgeschichten der vier zentralen Untersuchungsgegenstände (den Planetarien in München, Jena, Wien und Hamburg), stellt der zweite Teil des Buches die technischen Aspekte in den Vordergrund, die es ermöglichten, den Sternenhimmel realitätsnah zu projizieren. Unklar bleiben die Ausführungen zur kulturwissenschaftlichen Technikforschung, bei der Ahner sich von den Science and Technology Studies distanziert (153), obwohl es doch das erklärte Ziel der Arbeit war, alle Akteure (und damit auch die technischen Akteure) als Teil des Feldes zu begreifen und zur Sprache zu bringen. Für diese Vorgehensweise stehen ja gerade Kapitel wie „Vergnügliche Verkörperungen: Der Lichtzeiger“. Es handelt sich dabei um lesenswerte Ausführungen zur Genese eines Vorgängers des heutigen Laserpointers und wie daraus eine neue Wissenspraxis das bis dato geläufige Zeigen mit dem Rohrstock ergänzte, um neue Sehgewohnheiten zu etablieren.

Im vierten Kapitel des zweiten Teils beschäftigt sich Ahner mit dem Verhältnis von Natur(en) und Kultur(en). Dafür stellt sie die Breite des Forschungsfelds mit den zentralen Ideen verschiedener Forschungen (STS, ANT, Praxistheorien, New Materialism) vor. Unberücksichtigt bleibt die Geschichte der Naturwissenschaften beziehungsweise die Entwicklung eines naturwissenschaftlichen Weltbildes, wofür übrigens besonders viele Beispiele aus der Himmelssphäre zu entnehmen gewesen wären, die auch nochmals einen ganz neuen Blick auf das Planetarium erlaubt hätten. Der Erfolg der Naturwissenschaften beruhte nicht nur auf dem Wissen über Natur, sondern auch auf der aus dem Wissen resultierenden Beherrschbarkeit der Natur, was wiederum eine Trennung von Natur und Kultur impliziert. Dieser ideengeschichtliche Hintergrund hätte das Planetarium als Experimentierraum der Moderne viel deutlicher herausgestellt. Dennoch gelingt es der Autorin gut, unterschiedliche Verflechtungen sichtbar zu machen. Spannend ist beispielsweise der Gedanke des Naturschutzes durch das Planetarium (188). Ahners stringente Argumentation bleibt hauptsächlich theoretisch und verzichtet darauf, konkrete Quellen sprechen zu lassen. Der Abdruck eines historischen Plakats (191) lädt zwar zu Interpretationen ein, wird aber nicht umfänglich genutzt. Überwiegend wird das historische Bildmaterial eher für illustrative Zwecke als für eine intensive Quellenarbeit fruchtbar gemacht. Kritisch muss an dieser Stelle auf die Praxis aufmerksam gemacht werden, aus den Originalquellen Wörter unkenntlich zu machen, die aus heutiger Sicht beispielsweise einer rassistischen Sprache zuzuordnen wären (68). Konkret betrifft es, darauf lässt der Satzkontext schließen, das Wort „Naturvolk“. Wenn wir historische Ethnografie betreiben möchten, dann dürfen wir nicht Sachverhalte tilgen, indem wir Wörter streichen, sondern müssen es zum Anlass nehmen, das vergangene Geschehen kritisch zu diskutieren.

Im letzten Abschnitt analysiert Ahner die Erfahrungen und Wahrnehmungen der Besucherinnen und Besucher. Sie argumentiert, wie die spezifische Atmosphäre durch die technischen Effekte in den Planetarien Gefühle des Wunderns erzeugte. Damit ermöglicht die Autorin eine neue Perspektive auf das Thema Wissensvermittlung (von der kognitiven Dimension hin zur emotional-affektiven Komponente). Konkret stehen die Körpererfahrungen „Sehen“, „Hören“ und „Sitzen“ im Vordergrund. Ahner gelingen hier gute Beobachtungen an den Quellen und daraus entstehen wiederum gute Schlussfolgerungen. Aufschlussreich sind die Ausführungen zur damals populären Kinderbuchreihe „Professors Zwillinge“ von der Autorin Else Ury (1877–1943), deren kindliche Protagonisten im vierten Band ein Planetarium besuchen (278). Ahner verdeutlicht damit sehr gelungen, wie die Erfahrungen des Planetariums in vielfältige gesellschaftliche Bereiche diffundierten. Eine stärkere Reflexion der zeitgenössischen Kontexte hätte die Analyse noch bereichern können (zu denken wäre etwa an die Lebensreformbewegung, die Forschungen von Edwin Hubble, Gustav Holsts Planetensymphonie etc.).

Ahners Arbeit zeichnet sich durch eine klare und stringente Struktur aus. Der Sprachstil ist insgesamt gut verständlich, wenngleich stellenweise theoretisch dicht. Gelegentlich führt die Verwendung vieler theoretischer Konzepte und Fachbegriffe zu einer gewissen Komplexität, die für Lesende ohne tiefere Vorkenntnisse herausfordernd sein kann; dazu ein Beispiel: „Der Haeckel’sche Monismus als Spielart des Szientismus baute auf Sozialdarwinismus und Positivismus, die sich zu einem fortschrittsbezogenen und wissenschaftsgläubigen Weltbild fügten“ (298).

Mit ihrer Dissertation hat Helen Ahner ein spannendes Thema für die empirische Kulturwissenschaft erschlossen. Das liegt vor allen Dingen an dem von ihr gewählten Zugang über das Wundern, der von der Originalität der Autorin zeugt und produktive Perspektiven auf die emotionale und ästhetische Dimension von Technikvermittlung bietet. Damit liefert das Werk wertvolle Impulse für die Forschung zur Astrokultur, zur historischen Wahrnehmungsforschung und zur Popularisierung von Wissen im frühen 20. Jahrhundert.