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Holger Böning

Das Intelligenzblatt. Gemeinnutz und Aufklärung für jedermann. Studie zu einer publizistischen Gattung des 18. Jahrhunderts, zur Revolution der Wissensvermittlung und zu den Anfängen einer lokalen Presse; Band I: Entstehung und Entwicklung einer neuen publizistischen Gattung; Band II: Inhaltliche Vielfalt und reichsweite Intelligenzblätter

(Presse und Geschichte. Neue Beiträge 160/161), Bremen 2023, Edition Lumière, 2 Bde., 1.208 Seiten, ISBN 978-3-948077-30-3 (Bd.1) und 978-3-948077-31-0 (Bd.2)


Rezensiert von Christiane Schwab
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 20.10.2025

Holger Bönings zweibändiges Werk zum Intelligenzblatt stellt eine umfangreiche Untersuchung dieses bislang in der literatur- und medienhistorischen Forschung noch wenig beleuchteten Mediums dar. Aufbauend auf seinen zahlreichen Studien zum Gebiet der praktischen Aufklärung, etwa der 2017 erschienenen Studie „Justus Möser. Anwalt der praktischen Vernunft. Der Aufklärer, Publizist und Intelligenzblattherausgeber“ (Edition Lumière), zeigt der im Mai 2024 verstorbene Medienhistoriker abermals, dass die Aufklärung mehr war als eine literarisch-philosophische Bewegung. Die Intelligenzblätter spielten, so eine von Bönings Thesen, eine zentrale Rolle in der gemeinnützig-praktischen Aufklärung und in der Entfaltung einer Öffentlichkeit, in welcher Wissen von „unten“ ebenso wie von „oben“ zusammengetragen wurde und in welcher – wenn nicht alle – so doch sehr viele mitdiskutierten. Böning verweist in seiner Studie immer wieder auch auf Verbindungen des Intelligenzblatts zur literarischen und politischen Entdeckung des „Volkes“ seit der Mitte des 18. Jahrhunderts.

Die Bände „Entstehung und Entwicklung einer neuen publizistischen Gattung“ (Band 1) und „Inhaltliche Vielfalt und reichsweite Intelligenzblätter“ (Band 2) bieten einen materialreichen Einblick in die Inhalte und thematische Vielfalt des Intelligenzblatts sowie seine Bedeutung im Rahmen des Netzwerks der Aufklärung. Mit zahlreichen, teils auch recht langen Zitaten will Böning „die Quellen selbst sprechen lassen und die dabei gewonnenen Eindrücke möglichst anschaulich vermitteln“, um anschließend „zu Urteilen und Typisierungen“ (X) zu gelangen. Tatsächlich sind systematische Analysen und Einordnungen der Präsentation des umfangreichen Materials untergeordnet. Nicht zuletzt erschwert auch die Unterteilung der Monografie in 26 Hauptkapitel und 136 Unterkapitel einen vollständigen Überblick über die Systematik der Studie. Ihr erster Band beginnt mit einer sehr knappen Einführung zum Intelligenzblatt und verzichtet dabei auf eine umfassende Charakterisierung und Definition des Periodikums (vergleichende Gedanken etwa zu den mit dem Intelligenzblatt verwandten Provinzialblättern und Zeitungen erfolgen unverständlicherweise erst am Ende des zweiten Bandes). Böning erläutert die Entwicklung der Intelligenzblätter ab den 1720er Jahren (das erste deutschsprachige Blatt erschien 1722 in Frankfurt am Main unter dem Titel „Wochentliche Frag- und Anzeigungs-Nachrichten“; bis Ende des 18. Jahrhunderts lassen sich im deutschen Reich über 200 und bis 1848 fast 600 Gründungen verzeichnen) und geht dabei auch auf ihren Entstehungskontext der Adressbüros ein, in denen Menschen Waren und Dienstleistungen nachfragen und anbieten konnten. (Bei dieser Darstellung fehlt eine europäisch-vergleichende Sicht auf diese Entwicklungen etwa mit Hinblick auf das 1630 in Paris gegründete „Bureau d’adresse“ und die ein Jahr später davon ausgehende „Gazette de France“.) Die zunächst auf überwiegend lokale Anzeigen und obrigkeitliche Mitteilungen fokussierten Intelligenzblätter, die als Eckpfeiler in der Entwicklung einer ländlichen und kleinstädtischen Presse gelten können, widmeten sich im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zunehmend auch der Vermittlung und Diskussion praktisch-aufklärerischen Wissens. Dies führt Böning in Abschnitten zu Programmatiken und Titeln der Blätter und zu ihrer Rolle als Vermittlungsinstanzen zur Landbevölkerung weiter aus. Der umfassendste Teil des ersten Bandes, „Aufklärerische Programmatik und Praxis in den Intelligenzblättern“ (180–522), stellt handbuchartig weit über 70 Periodika mit ihren Programmatiken, thematischen Schwerpunkten, zentralen Akteuren und ihren Funktionen für die jeweilige (Klein-)Stadtgesellschaft vor. Es folgen wieder systematische Kapitel zu den Intelligenzblättern als Wirtschaftsunternehmen (mit Angaben zu Preisen für Inserate, Auflagen, Einnahmen und Ausgaben) und zum Widerstand gegen die Veröffentlichung von Marktinformationen.

Im zweiten Band finden sich vergleichend-zusammenstellende Kapitel zu spezifischen Themen, die in den Intelligenzblättern diskutiert wurden (z. B. „Mensch und Natur im Intelligenzblatt“, „Debatten über Schulreformen“, „Die Stallfütterung und der gemeine Mann – Debatte über Agrarreformen“), aber auch zu medienhistorischen („Intelligenzblätter und Zeitungen“), ideengeschichtlichen („Intelligenzblätter als Medien einer nachdenklichen Aufklärung im Netzwerk der praktischen Aufklärung sowie ein Exkurs zu Albrecht Daniel Thaer und seinen Lehrmeistern“) und lesehistorischen („Intelligenzblätter und ihre Leser“) Aspekten. Zu letzteren schreibt Böning, dass die Verfasserinnen und Verfasser der Intelligenzblätter („Frauen finden wir unter ihnen nur ausnahmsweise“, 1012) zwar gemeinhin den höheren und mittleren Ständen angehörten, dass ihre Texte aber „ausdrücklich auch für den gemeinen Mann bestimmt“ (928) waren. Dies zeige sich in den vielfältigen Inhalten und der verwendeten Sprache sowie in den Anzeigen und Nachrichten, die offensichtlich sehr diverse gesellschaftliche Gruppen ansprechen sollten (was, so wendet Böning selbst ein, nicht immer auch zwangsläufig funktioniert haben muss). Den größten Teil des Bandes nimmt der Abschnitt „Reichsweite Intelligenzblätter am Ende des 18. Jahrhunderts“ ein, in welchem der „Reichs-Anzeiger“ (1793 hervorgegangen aus dem „Anzeiger“ und ab 1806 umbenannt in „Anzeiger der Deutschen“) mit seiner Gründungsgeschichte, seinen tragenden Akteuren und seinen Inhalten im Zentrum steht (673–814). Auch bei der Vorstellung dieses Periodikums legt Böning den Schwerpunkt auf die Verbindungen zwischen Intelligenzblatt und praktischer Aufklärung (in Unterkapiteln wie „Der Reichs-Anzeiger als Mitteilungsblatt gemeinnütziger Gesellschaften“, „Der Reichs-Anzeiger als Beobachter und Organisator aufklärerischen Fortschritts“ oder „Debatte über Pfuscherey in der Heilkunde“). Der Band endet nach einer kurzen Zusammenfassung mit einem umfangreichen Anhang. Dieser enthält auf über einhundert Seiten „Eine kleine Geschichte des Intelligenzblatts in Abbildungen“, welche den Leserinnen und Lesern der Studie das Intelligenzblatt und seine Entwicklung auch visuell nahebringt. Ebenso enthält der Anhang ein ausführliches Sachregister zu in den Intelligenzblättern besprochenen Themen der praktischen Aufklärung und der Volksaufklärung (von „Aberglauben“ bis „Zahnschmerzen“), welches eine sehr gute Handreichung für den Gebrauch des Intelligenzblatts als alltagshistorische Quelle bietet.

Sowohl für historisch-anthropologische Fragestellungen als auch für die volkskundlich-ethnologische Wissens- und Wissenschaftsgeschichte bieten die Intelligenzblätter und die Monografie Bönings mit ihrem Fokus auf die praktisch-aufklärerischen Inhalte dieser Periodika einen reichhaltigen Fundus. Angesichts der Entdeckung der ländlichen Arbeitsbevölkerung als tragende Säule eines funktionierenden und prosperierenden Staatswesens rückten im Laufe des 18. Jahrhunderts „die arbeitenden Stände und insbesondere die bäuerliche Bevölkerung als wichtiger Faktor des gesellschaftlichen Lebens und der gesellschaftlichen Weiterentwicklung“ (1010) in den Fokus reformorientierter Autorinnen und Autoren. Diesen Aspekt führt Böning im Kapitel „Intelligenzblätter als Ort einer beginnenden Volkskunde“ (566–597) aus, in welchem er die Hinwendung zum gelebten Alltag in Debatten und Texten nachzeichnet, die sich unter anderem mit Schulreformen, Lesegewohnheiten, Geburtenregelungen, Tanz und Theater, der Abgabenlast der Bauern und einer möglicherweise damit verbundenen Innovationsunlust, der Leibeigenschaft, neuen landwirtschaftlichen Verfahrensweisen, dem Umgang mit Viehkrankheiten, Ackerwerkzeugen, medizinischen Aspekten oder der Schädlingsbekämpfung beschäftigten. In ihrer „Praxisorientierung, bei der die regionalen Bedingungen aller Reformbestrebungen bedacht wurden“ (505), blieben die Autorinnen und Autoren meist dem ständischen Denken verhaftet und beurteilten die Landbevölkerung nicht immer positiv. Dennoch zeichneten sich die Auseinandersetzungen mit den Lebensbedingungen und -formen der ländlichen und arbeitenden Bevölkerung dadurch aus, dass „bäuerliches Erfahrungswissen seinen Platz und Wertschätzung“ (567–568) erhielt. Wie einzelne Intelligenzblattautorinnen und -autoren versuchten, staatliche und bürgerschaftliche Reformbestrebungen mit den tatsächlichen Lebensbedingungen vor Ort in Einklang zu bringen und inwieweit die Generierung und Transformation von Wissen hierbei eine zirkulierende Dynamik aufwies, zeigt Böning mit Verweis auf das Schaffen Justus Mösers (1720–1794), dessen „Patriotische Phantasien“ (1775) zunächst in den ebenfalls von Möser publizierten „Osnabrückischen Intelligenzblättern“ publiziert worden waren. Dass die Intelligenzblätter mit ihren praktischen Ratschlägen und ihren obrigkeitlichen Ankündigungen in der historischen Forschung oftmals als Disziplinierungsagenten angesehen werden, stellt Böning mehrfach klar in Frage. Er will die Intelligenzblätter als „Foren einer öffentlichen Debatte“ begreifen, „in der Privatpersonen sich Urteile über alle Fragen gesellschaftlicher Strukturen und Organisation erlauben“ (1011). Disziplinierung und Kritiknahme gingen nach Böning also „in dialektischer Weise Hand in Hand“ (192), insofern die Öffentlichmachung von Gesetzen und Verordnungen erst die Voraussetzung dafür schuf, obrigkeitliches Denken und Handeln zur Debatte zu stellen und „Anstöße zur Diskussion über Verbesserung und Alternativen“ (ebd.) zu ermöglichen.

Die umfangreiche Monografie Bönings erscheint weniger als eine systematische Studie des Mediums „Intelligenzblatt“, sondern vielmehr als ein Werk, welches die vielfältigen Auseinandersetzungen der praktischen Aufklärung im Spiegel dieses Mediums panoramaartig wiedergibt. Trotz oder möglicherweise gerade angesichts der fehlenden Systematik und der Dominanz deskriptiver Teile gelingt es Böning ganz ausgezeichnet, die „Faszination [zu] vermitteln, die von der historischen Quelle Intelligenzblatt ausgeht“ (X). Für historisch-anthropologisch und volkskundlich Forschende und Interessierte macht Bönings umfassende und mit zahlreichen Zitaten operierende Herangehensweise aus der Monografie ein umfangreiches Repertoire an Daten zu Arbeitsweisen, Lebensformen und Denkarten des 18. und 19. Jahrhunderts und erschließt einen bislang tatsächlich wenig genutzten Quellenschatz sowohl für die historische Anthropologie als auch für die Historiografie volkskundlich-ethnologischen Denkens.