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Aktuelle Rezensionen


Silke Meyer/Claudius Ströhle (Hg.)

Remittances as Social Practices and Agents of Change. The Future of Transnational Society

Cham 2023, Palgrave Macmillan, 465 Seiten, ISBN 978-3-030-81503-5


Rezensiert von Jana Stöxen
In: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Erschienen am 20.10.2025

Mehr als nur Geld. Hervorgegangen aus der gleichnamigen, zugleich internationalen wie interdisziplinären Konferenz „More than Money: Remittances as Social Practices“, haben Silke Meyer (Innsbruck) und Claudius Ströhle (inzwischen Laxenburg) einen umfassenden Band vorgelegt. Indem ihr Ansatz – klassisch (europäisch-)ethnologisch – multi-sited als ein „Follow the Money“ angelegt ist, ermöglichen sie eine transnationale Perspektive auf diverse, sich überkreuzende und interagierende flows, die das Feld ebenso bedingen, wie sie aus ihm entstehen. In dieser Perspektive verbinden sie so Herkunftsländer und Destinationen sowie Machtstrukturen innerhalb global ungleicher Bedingungen. Insofern betonen sie die Agency der Akteurinnen und Akteure in diesen von sozialem Zusammenhalt und seinen Zäsuren geprägten Lebenswelten. Auf dieser Basis fordern sie teleologische Sichtweisen – etwa den „migration-development nexus“ – heraus. Silke Meyer führt in diese Thematik besonders mit Blick auf die Subjektivierung von Migrantinnen und Migranten sowie ihre Positionierung durch Remittances ein und setzt so die engagierte Maxime des Bandes, „not to reduce people to their migrant positionalities, but explain what is particular about being a migrant in specific local and transnational conditions“ (19).

Der Band ist anschließend in vier Teile untergliedert, denen jeweils überblicksartige Einleitungen in die einzelnen Themen und Texte vorangestellt sind. Beginnend mit „Historical Perspectives in Remittance Research“ scheint auf, wie wesentlich – und gleichzeitig unterrepräsentiert – der Einbezug der Historizität des Phänomens ist: Dirk Rupnow und Aleksandar R. Miletić evaluieren die österreichische Migrations- und Remittanceforschung seit den 1970er Jahren („When Austria Discovered Immigration“, 32) beziehungsweise das jugoslawische Missverständnis um den Zusammenhang von Diaspora, Remittances und Repatriierung und zeigen so je den Wert von Diskursen, die mehr als die ökonomische Seite beleuchten, auf. Ihre Texte können als Empfehlungen für die staatliche wie wissenschaftliche Positionierung in einer transnationalen Gegenwart gelesen werden. Ivana Bajić-Hajduković und Sara Bernard sowie Annemarie Steidl thematisieren derweil konkrete flows nach Serbien beziehungsweise zwischen dem Habsburger Reich und den USA und beleuchten so nicht nur Richtungen, sondern auch Generationendynamiken – „Dear Brother, Please, Send Me Some More Dollars…“ (Steidl, 99) versus die als amoralisch abgelehnten Geldsendungen von Kindern der serbischen Mittelschicht an ihre Eltern – , die sich etwa auf das Selbstverständnis der Sendenden und Empfangenden von Remittances niederschlagen. Marie J. Karner schließt das Kapitel mit der Studie eines libanesischen Dorfes und dessen Neo-Diaspora (122), in deren transnationaler Einbettung Remittances den „sozialen Klebstoff“ (121) aus affektiver Verbundenheit und Moral bilden. Obgleich diese Erkenntnis fast Allgemeinplatz ist, sind es doch in der Vergangenheit angelegte, womöglich sogar vor-staatliche Transnationalismen wie diese, die die Verstehensprozesse heutiger Ausprägungen bereichern.

Im zweiten Teil bilden „Migrants as Game Changers“ den Fokus, um Gemeinschaft und Agency im Remittancewesen zu überdenken: Ihre oberflächlich individuellen Akte interagieren mit tieferliegenden Werten und Einstellungen, sodass Remittances auf allen Ebenen ihre Wirkmacht entfalten und nicht Einzelentscheidung, sondern weitläufige soziale Praxis sind. Kollektive Gabenformen wie etwa die islamische Almosensteuer „Zakat“ navigieren, so Marta Bivand Erdal, zwischen Remittance und Wohltätigkeit. Sie geben ebenso wie die von Hasan Mahmud thematisierten, sich abhängig von Aufnahmekontext, Residenzbedingungen und Zukunftsaussichten verändernden relationalen Remittancedynamiken von Migrantinnen und Migranten aus Bangladesch Einblick in Moralvorstellungen und ihre Übersetzungen in gelebte, unter anderem emotionale und materielle, Praxis. Die – positiven wie negativen – Effekte dessen, bemessen wiederum Eric Bayala sowie Eveline Odermatt in ihren Beiträgen: Während in Bayalas Fall „hometown associations“ in der Lage sind, die Gesundheitsversorgung und mit ihr Genderdynamiken in ihren Herkunftsgegenden in Burkina Faso zum Besseren zu verändern und damit gleichsam an resilienten Gesellschaftsstrukturen aus der Ferne mitbauen, benennt Odermatts Fall stärker das Trennende, denn das Gemeinsame am Remitting. Ihr Beitrag zu moldauischen Migrantinnen und Migranten und deren Verhältnis zum Herkunftsland zeigt auf, wie vielfältig die Beweggründe sein können: Als solidarische – und nicht als mildtätige – Akteurinnen und Akteure (203) betten sie ihr Handeln stark in biografische Erfahrungen und Zukunftsabsichten ein, in denen etwa der (postsozialistische) Argwohn gegenüber „dem Staat“ eine wesentliche Rolle spielt. Obgleich das Staatliche also keineswegs stets positiv gerahmt wird, zeigen alle Beiträge auf, dass Nationalstaaten eine entscheidende Referenzebene bleiben. Durch territoriale Prinzipien, die sich auf das Soziale erstrecken, sind sie zwar nicht gegenläufig zur transnationalen Mobilität, stellen aber eigene Bedingungen daran und sind so im Remittancegeschehen institutionelle Akteure, die Einfluss auf Transformationspotenziale ausüben. Remittances können insofern als Netzstrukturen gedacht werden, in denen unterschiedliche Interessen und Vorgehensweisen verschiedener Kräfte die Dynamik bedingen.

Mit Häusern, Haushaltsgeräten und Handwerkswaren fokussiert Teil drei sodann die objektbezogene Seite der Remittanceforschung und leuchtet über fotografische Dokumentationen von „Exchange, Embodiment, and Transformative Effects“ besonders anschaulich die Materialitäten in ihrer sozialen Verwobenheit sowie ihrem Transformationspotenzial – etwa vom Geld zum Haus zum Heim – aus. Stefanie Bürkles „visual essay“ sticht dabei besonders hervor: Mit ihren Bildern gebauter Umwelt wird deutlich, wie Migration Landschaften infrastrukturell und ästhetisch, sozial und biografisch prägt und sich so kulturell eingräbt. Dass sie die Bilder dabei nicht explizit den Ländern zuordnet, ist ein geschicktes Detail, das das analytische Potenzial ihrer unerwarteten Betrachtungsweise verdeutlicht. Räumlich verortet in – beziehungsweise: eher zwischen – der Türkei und Westeuropa sind indes die Beiträge von Gökhan Mura sowie von Claudius Ströhle. Muras zum Teil autoethnografischer Ansatz greift Produkte des Massenkonsums als „Medium of Migrant Narratives“ (256) auf und zeigt anhand dessen Wertverschiebungen auf, wie sich etwa anhand von (ehemaligen) Remittancewaren im heutigen Angebot von Secondhand-Shops zeigt. Ströhles ethnografische Arbeit führt indes unter anderem in einen Schlachterladen: Sein „following“ der Stubaier Messer und Metallwaren verknüpft geschickt objektbiografische Zugänge mit kulturanalytischen Perspektiven auf die Werkzeuge, ihre Wertigkeit und Nutzung – konkret: auf ihre Affordanz – und beleuchtet so die sich darin materialisierende Beziehungsebene zwischen Senderinnen und Sender und Empfängerinnen und Empfänger. Diese Verbindung thematisiert auch Rochelle Bailey in ihrem Beitrag zum Inselstaat Vanuatu: Einerseits sind positive Effekte der Remittances auf unter anderem die Lebensqualität zu verzeichnen, andererseits stellt vor allem das Aufkommen von Müll auch eine erhebliche und ungekannte Herausforderung dar. Sie macht deutlich, wie zweischneidig Remitting im Zwiespalt von Intention und Aneignung stets sein kann.

Von den Formen und ihren inkorporierten Funktionen und Bedeutungen, schwenkt der vierte Teil auf Konflikte, Umweltphänomene und postkoloniale Sichtweisen als „Contemporary Issues and Upcoming Challenges“, die an Remittancepraxen gestellt werden: Lore van Praag betont besonders die nicht individuell verortbare Verantwortung für einen grüneren Wandel und nimmt Institutionen als Akteure der nachhaltigen Governance von Remittances in die Pflicht, um aus dem Klimawandel hervorgehende Vulnerabilitäten zu reduzieren. Justice Issah Musah-Surugu und Samuel Weniga Anuga zeigen indes an einem Beispiel aus Ghana auf, wie Remittances als Zusatzverdienst von Kleinbauern zur Anpassung an den Klimawandel effektiv beitragen können. Als Maßnahmen werden hier sowohl der Erwerb von gegenüber Dürren widerstandsfähigerem Saatgut als auch die Schulbildung von Kindern genannt, die im Anschluss nicht unbedingt in der Landwirtschaft tätig sein würden. Auf das Generationengefüge zielt dann auch Rina Malagayo Alluris Betrachtung von tamilischen Migrantinnen und Migranten der Schweiz im und nach dem Bürgerkrieg auf Sri Lanka ab: Während die erste Generation angesichts des Konflikts stark auf Remittances als Mittel des Kontakts setzte und die Sendungen so auch eine politische Dimension erhielten, verlassen sich deren Kinder weniger auf dieses Medium und engagieren sich auf immateriellen Wegen. Dass sie also deutlich weniger und insgesamt anders remitten, deutet darauf hin, dass ihr translokales Lebensprojekt einen anderen Schwerpunkt als das ihrer Eltern besitzt und sie sich so weniger in der Verantwortung für deren Herkunftsland fühlen.

Gewissermaßen eine Synopse der akademischen Betrachtung dieser Phänomene bietet abschließend Brigitte Bönisch-Brednich an, wenn sie die Wissensproduktion darum sowie die Wertbeimessung von Remittances an sich als von (neo)kolonialen Vermächtnissen geprägt charakterisiert. Um dem zu begegnen, müssen wir „the directions in which remittances flow“ (430) bedenken und uns bewusst machen, welche Macht etwa westliche Währungen und Wissenshierarchien in unserer Welt nach wie vor besitzen. Bönisch-Brednich nahm im Epilog ihres Aufsatzes dieser Rezension außerdem ein Urteil über den Einsatz der beiden Herausgeberinnen und Herausgeber vorweg: Sie verdeutlichte, dass bei ihnen eine Art „Austrian Gaze“ zwar beinahe notwendigerweise vorhanden sei, sich Silke Meyer und Claudius Ströhle aber ernsthaft daran versucht haben, Remittances in internationaler Reichweite zu kartieren und entsprechende Autorinnen und Autoren – viele davon selbst mit nicht nur thematischer, sondern (akademisch-)biografischer Migrationserfahrung – für dieses Unterfangen zu gewinnen. Und dies mit Erfolg: Wir finden hier daher in den Aufsätzen und ihrer Zusammenstellung „a level of reflexivity and willingness to engage with new academic politics of hospitality and perspectives from different peripheries“ (431) vor, das seinesgleichen sucht.

Die fachlich und räumlich breit gestreuten Aufsätze weisen trotz ihrer disziplinären Breite dennoch zahlreiche Gemeinsamkeiten – so etwa den Bezug auf Carlings „remittance scripts“ (2014) – auf, die Vergleiche anregen. Ihre Zusammenstellung verdeutlicht, dass Migrations- und mit ihr Transnationalismus- sowie Remittanceforschung keineswegs einhellig verortet werden kann. Vielmehr muss sie – angelehnt an Abdelmalek Sayad – als Wissenschaft eines „sozialen Totalphänomens“ die Breite und Tiefe der Prozesse abbilden. Daher aus der fachlichen Vielfalt zu schöpfen, ist logische Konsequenz – und zugleich ein Verdienst des Bandes: Silke Meyer und Claudius Ströhle haben mit ihrer titelgebenden Einordnung Remittances als soziale Praxen und wirkmächtige Transformationspotenziale gerahmt und so eine überzeugende Grundlage für die Diskussion um die Zukunft einer transnationalen Gesellschaft – insbesondere unter dem Eindruck einer krisenumwitterten Gegenwart – geschaffen. Ihr Fazit spiegelt dies, wenn sie populären Erfolgserzählungen einen „multiscalar approach, taking into account the complexities and ambiguities“ (437), den sie hier eindrücklich präsentiert haben, vorziehen.

Meyers und Ströhles Band bietet insofern eine überaus anknüpfungsfähige Lektüre, die in künftigen Arbeiten der (kulturwissenschaftlichen) Migrationsforschung und insbesondere zum vielgestaltigen Phänomen der Remittances kaum ausgelassen werden kann.